Alles Schikane? Leo Bartle hat die Nase voll von der Kassenärztlichen Vereinigung. Foto: Cools

Allgemeinmediziner Leo Bartle liegt im Clinch mit der Kassenärztlichen Vereinigung. Ärzteversorgung im Kreis kritisch.

Kreis Rottweil - "Arzt zu sein, ist mein Leben", sagt Leo Bartle. Das wird dem Allgemeinmediziner mit Praxis in Rottweil allerdings zunehmend versalzen, wie er sagt. Schuld ist der Ärztemangel, der auch im Kreis Rottweil deutliche Spuren hinterlässt.

Mittwochmorgen, 10 Uhr: In Leo Bartles Praxis in der Rottweiler Königstraße herrscht Hochbetrieb. In seinem Behandlungszimmer steht das Telefon kaum still. "Das trifft sich gut", meint Bartle, als er erfährt, dass eine Frau von der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) anruft. Als die Dame der KV erfährt, dass Bartle an die Öffentlichkeit gegangen ist, will sie nichts mehr sagen. Das Gespräch wird erst fortgesetzt, als der Arzt mit dem Telefon in ein anderes Zimmer geht. "Typisch, auf ein Gespräch will sich niemand einlassen", meint Bartle.

Der Anlass des Gesprächs ist eine Regress-Forderung von rund 85 000 Euro für den Zeitraum von 2015 bis 2017, die der Mediziner zahlen soll. Grund sind laut Schreiben der KV "zeitlich auffällige Tage mit mehr als 14 Stunden pro Tag". Unverschämt, findet Leo Bartle. Schließlich fange er mit den vielen Arbeitsstunden die Patienten auf, die aufgrund des kreisweiten Ärztemangels sonst quasi "leer ausgehen" würden.

"Ich bin auf der Suche nach einem Kollegen, der mich unterstützt, aber die Probleme sind überall dieselben", weiß der Allgemeinmediziner. In den vergangenen vier Jahren seien allein in der Stadt Rottweil gut acht Hausärzte ohne Nachfolger ausgeschieden. "Dadurch entstand ein enormer Zeitdruck, die ›verwaisten‹ Patienten auf die noch funktionierenden, aber ohnehin schon überfüllten Hausarztpraxen zu verteilen", erklärt Bartle.

Geleisteter Eid gilt immer

Seit er viele der Patienten übernommen hat, muss er alle sechs Monate bei der KV Anträge auf Anerkennung einer höheren Fallzahl ohne Abzug stellen. Die Anträge wurden ihm in den vergangenen fünf Jahren jedes Mal bewilligt, wie Bartle mit entsprechenden Schreiben nachweist.

Nun wurden die Honorarbescheide nach einer Prüfung durch den sogenannten Plausibilitätsausschuss aufgehoben und ein Teil des Honorars zurückgefordert.

Dass er einmal vor so einer Situation stehen würde, hätte er 2008, als er zusätzlich zu Privatpatienten auch kassenärztliche übernahm, nie gedacht, sagt er. Der 62-Jährige kommt ursprünglich aus der Chirurgie, schulte aber aufgrund eines Wirbelsäulenleidens, das ihm einen Schwerbehindertengrad von 80 bescherte, auf Allgemeinmedizin um.

Mehr als 20 Jahre lang war er Chefarzt einer psychosomatischen Klinik und ist zudem in der traditionellen chinesischen Medizin bewandert. Diese Qualifikationen sorgen auch dafür, dass Feierabend bei Bartle zum Fremdwort geworden ist.

Früher war er auch noch Arzt in der Justizvollzugsanstalt. Diese Aufgabe musste er abgeben. "Ich schaffe es einfach nicht mehr. Schwer zu glauben, aber es gab Tage im Sommer, da standen die Patienten bis auf die Straße", so Bartle. Aktuell versorge er etwa 1000 Patienten, in Vertretungsfällen auch mal bis zu 1300.

"Krankheit kennt keine Feiertage. Und wenn ein Kassenpatient am Wochenende auf der Matte steht, dann muss ich ihn versorgen. Ich habe schließlich den Hippokratischen Eid geleistet, und der gilt immer". Insbesondere bei psychisch Kranken, die oft selbst- und fremdgefährdend seien, müsse man stets schnell handeln.

Die Fälle von Kassenpatienten, die er am Wochenende bearbeite, könne er erst am Montag einreichen. So kämen die Mehrstunden zustande. Dass er deshalb "eine auf den Deckel" bekommt, macht den Mediziner wütend.

"Ich hätte schon längst in den Ruhestand gehen können, aber der Idealismus hält mich aufrecht", sagt er freudlos lachend. Gespräche mit Kollegen in Rottweil und dem Kreis hätten bestätigt, dass er mit seinem Problem nicht allein ist.

Auch bundesweit kämpften die Ärzte gegen Windmühlen. "Die Ärzteversorgung kippt in ganz Deutschland. Wir sind an der Grenze angekommen. Das Ganze gleicht einem großen Ballon, der fleckenweise geflickt wird, aber aus dem die Luft eigentlich schon raus ist", meint der Rottweiler Arzt.

Traurige Einzelkämpfer

Das Thema Ärztemangel ist ebenso wenig neu wie die Tatsache, dass manche Patienten auf der Suche nach einem Arzt verzweifeln. Bereits 2016 beunruhigten die Zahlen. Damals waren 35 Prozent der Mediziner, die eine Praxis führen, älter als 60, rund 20 Prozent sogar älter als 65 Jahre.

Was Ärzte wie Leo Bartle mittlerweile nicht nur enttäuscht, sondern richtig wütend macht, ist das Verhalten der Kassenärztlichen Vereinigung.

Eberhard Ruh, Neurologe und Psychotherapeut aus Oberndorf, hat eine ähnliche Erfahrung gemacht. Nachdem er aufgrund einiger Vertretungen sieben Notdienste hintereinander übernommen hatte, bekam er einen Rüffel von der KV. "Man bekommt einen Tritt in den Hintern und die Arroganz der Verwaltung zu spüren. Als Arzt ist man mittlerweile trauriger Einzelkämpfer", hatte sein Fazit im April 2018 gelautet.

Geändert hat sich daran nichts, meint Bartle. Um eine Nachbesetzung der Praxen werde sich nicht einmal gekümmert. "Es ist traurig, dass sich die KV, die aus der Hand der Ärzte ernährt wird, so verhält und sich um nichts schert", wettert er. Zur Unterstützung werde kein Finger krumm gemacht. Die Konsequenz: Bartle darf manche Behandlungen nicht abrechnen – Idealismus eben.

Das Schreiben der KV hat der 62-Jährige ausgedruckt und ins Wartezimmer gehängt, "im Namen der Ärzteschaft, damit alle Patienten wissen, was Sache ist". Dass medizinische Themen zunehmend politisiert werden, verärgert den 62-Jährigen. "Wir sind schließlich keine Händler, wir sind Heiler."