Anstalts- und Vertragsärzte halten Sprechstunden hinter Gittern ab. Fotos: Stache/Pixabay; Montage: Holweger Foto: Schwarzwälder-Bote

Gefangener erkrankt während Aufenthalt in JVA Rottweil wieder an Krebs / Tumor erst nach Verlegung entdeckt

Von Verena Schickle

Rottweil. Wurden einem Häftling in der JVA Rottweil wichtige Untersuchungen verweigert? Die Familie sagt Ja, das Justizministerium widerspricht.

Der Fall ist einfach erzählt, die Meinungen dazu allerdings gehen auseinander. Im Mittelpunkt der Ereignisse steht ein Mann, der von Dezember 2014 bis zum vergangenen August in Untersuchungshaft in der JVA Rottweil einsaß. Der Familie geht es im Kern um die Frage, wie viel das Leben eines Häftlings wert ist. Für die Behörden stellt sich eher die Frage, ob man einen Menschen zu Untersuchungen zwingen kann.

Der heute 60-Jährige war nach Angaben der Familie im Jahr 2013 an Lymphdrüsenkrebs erkrankt. Bei Haftantritt allerdings ging es ihm wieder gut. Heute sieht das anders aus. Nach seiner Verurteilung wurde der Mann in die JVA Rottenburg verlegt und bei der Aufnahme dort routinemäßig untersucht. Ergebnis: Er hat einen bösartigen Tumor an der Wirbelsäule und Metastasen im Körper. Eine Heilung ist nicht mehr möglich. Die Familie sagt, weil der Rottweiler Gefängnisarzt ihm nötige Untersuchungen verweigert hat. Das Justizministerium kontert: Der Mann habe eine Untersuchung in der Uniklinik Heidelberg abgelehnt.

Die beiden Protagonistinnen in der Geschichte sind die Angehörigen des Mannes. Ihren Namen wollen die Frauen nicht in der Zeitung lesen. Nur so viel: Die Familie stammt aus dem Zollernalbkreis. Die ältere der beiden Frauen ist die Halbschwester des Häftlings, die jüngere seine Nichte.

Justizministerium: Untersuchungen nie verweigert

Die zwei sind aufgebracht. Ihr Verwandter habe gleich zu Beginn seiner Zeit in der Rottweiler JVA gesagt, er brauche regelmäßige Blutuntersuchungen. Ab Februar habe er dann über Schmerzen in der Schulter geklagt. Wenn das stimmt, was der Häftling seiner Familie berichtet hat und was die Frauen nun erzählen, dann musste er sich vom Arzt in der JVA schier Unglaubliches anhören. Der habe nämlich entgegnet, die Untersuchungen seien zu teuer, er sei schließlich selbst schuld, dass er in Untersuchungshaft sitze. Davon berichtet er auch in Briefen an seine Nichte.

Diesen Angaben widerspricht das baden-württemberische Justizministerium deutlich. "Sowohl die Anstalt in Rottweil als auch die Anstalt in Rottenburg sind nach unseren bisherigen Erkenntnissen ihrer Fürsorgepflicht gegenüber dem Gefangenen in vollem Umfang nachgekommen", erklärt Pressesprecher Steffen Ganninger. "Insbesondere wurden Untersuchungen zu keinem Zeitpunkt verweigert." Im Gegenteil: Dem Mann sei gleich bei der Aufnahme in Rottweil eine Untersuchung in der Uniklinik Heidelberg angeboten worden. "Dies hat der Gefangene abgelehnt", sagt der Jurist. "Wir können natürlich niemanden zwangsbehandeln."

Ganninger sagt auch, dass sich der Häftling nie darüber beschwert habe, dass die medizinische Versorgung und Behandlung nicht ausreichend sei. Dem wiederum widersprechen die beiden Frauen. Sie sagen, bei Besuchen in der Anstalt habe ihr Verwandter erzählt, "dass es ihm richtig schlecht gegangen ist". Jedes Mal hätte sie ihrem Halbbruder dann gesagt, man müsse etwas unternehmen, sagt die ältere der beiden Frauen. Bei Besuchen sei ein Mitarbeiter des Vollzugsdiensts dabei: "Die haben keinen Ton dazu gesagt", kritisiert sie.

Sie schildert, ihr Halbbruder habe im Februar über Schmerzen in der Schulter geklagt. Auch der Ursache dafür sei der Arzt nicht nachgegangen. Doch, erklärt das Justizministerium. Über seine Schulterschmerzen habe der Gefangene erstmals im April gesprochen. Diese "wurden sofort ärztlich untersucht und behandelt". Der Gefangene habe danach auch zu keinem Zeitpunkt beklagt, dass die Behandlung nicht wirke oder unzureichend sei.

Der Tumor an der Wirbelsäule allerdings wurde bei der Behandlung nicht entdeckt. Dass der Mann nicht weiter untersucht worden war, erklärt sich der Ministeriumssprecher so: Der Häftling habe gesagt, er habe schon früher Schulterprobleme gehabt. Offenbar ging der Arzt also von einem alten Leiden aus.

Nach der Verlegung nach Rottenburg kam dann beim Röntgen und einer Computertomografie das ganze Ausmaß der Erkrankung ans Licht. "Die Wirbelsäule ist schon zerfressen", sagt die Nichte über den bösartigen Tumor im Körper ihres Onkels. Er habe sich über Monate entwickelt.

Im September wurde der Mann in Tübingen operiert, allerdings konnten die Ärzte den Tumor nur teilweise entfernen. Jetzt wird er bestrahlt. "Aber eine Heilung der Krankheit ist in diesem Stadium nicht mehr möglich", berichtet die junge Frau. "Wir haben ein halbes Jahr verschenkt." Klar sei ihr Onkel ein Häftling, aber die Strafe sei doch, dass er im Gefängnis sitzen müsse.

Halbschwester erstattet Anzeige bei Staatsanwaltschaft

Nach der Entlassung aus der Tübinger Klinik wurde der 60-Jährige auf der Krankenstation in Rottenburg zusammen mit einem Raucher untergebracht. Daraufhin wendete sich die Halbschwester direkt ans Justizministerium in Stuttgart – wieder in Sorge um den Verwandten. Mit Erfolg: Noch am selben Tag wurde er verlegt.

"Selbstverständlich sollte eine gemeinsame Unterbringung von Rauchern und Nichtrauchern unterbleiben", schreibt dazu Steffen Ganninger. Allerdings habe sich der Häftling auch nicht darüber beschwert. Dennoch habe "die Anstalt die Beschäftigten anlässlich dieses Vorfalls nochmals eingehend für die Problematik sensibilisiert und wird künftig besondere Sorge dafür tragen, dass Raucher und Nichtraucher getrennt untergebracht werden".

Die Familie des Häftlings hat trotzdem Angst, dass er sich hinter Gittern eine Infektion zuziehen könnte. Ihr neuer Anwalt soll erreichen, dass der schwer Krebskranke entlassen wird. Vergangene Woche hat die Halbschwester zudem bei der Rottweiler Staatsanwaltschaft Anzeige erstattet wegen unterlassener Hilfeleistung und schwerer Körperverletzung. Das bestätigt der stellvertretende Sprecher der Behörde, Michael Groß. Jetzt ermittelt die Polizei, und am Ende muss die Staatsanwaltschaft schauen, ob es bei dem Fall tatsächlich zu strafbaren Handlungen gekommen ist.

u Häftlinge Gefangene erhalten nach Angaben des Justizministeriums im baden-württembergischen Justizvollzug dieselbe ärztliche Versorgung wie gesetzlich krankenversicherte Bürger. Jeder Häftling erhalte die "notwendige, ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftlich begründete Behandlung und Medikamente". Dies gelte ohne Einschränkungen auch für Untersuchungshäftlinge. Eine spezielle Kostenbeschränkung bei der Behandlung von Häftlingen gibt es nicht.

Bei jeder Aufnahme in eine Anstalt werden Häftlinge routinemäßig untersucht. Auch bei der Entlassung gibt es eine Untersuchung. Sind wegen Vorerkrankungen bei einem Gefangenen regelmäßige Kontrolluntersuchungen nötig, würden diese selbstverständlich durchgeführt, erklärt das Ministerium. "In Notfällen ist außerdem eine sofortige ärztliche Behandlung gewährleistet."

u JVA Rottweil

In der Justizvollzugsanstalt Rottweil und ihren Außenstellen Villingen, Oberndorf und Hechingen gibt es mehrere Vertragsärzte, die wöchentliche Sprechstunden haben. Dafür können sich Gefangene anmelden. "Bei Bedarf werden diese Ärzte auch außerhalb der Sprechstunden kontaktiert und kommen dann in die Anstalt", erklärt der Sprecher des Ministeriums. u Mediziner hinter Gittern

17 Justizvollzugsanstalten gibt es in Baden-Württemberg. Dort sind hauptamtliche Anstaltsärzte, laut Ministerium gibt es 30 Stellen im medizinischen Dienst, und externe Ärzte auf Vertragsbasis tätig. Dazu kommen Beamte im Sanitätsdienst. Aktuell werde das ärztliche Personal weiter ausgebaut. Sieben zusätzliche Anstaltsärzte soll es geben. Auf dem Hohenasperg befindet sich das Justizvollzugskrankenhaus des Landes. Es hat 180 Betten in drei Abteilungen: Chirurgie, Innere Medizin und Psychiatrie. Die chirurgische Abteilung arbeite eng mit dem Klinikum in Ludwigsburg zusammen, wo die Operationen durchgeführt werden. Die großen Anstalten haben zudem spezielle Krankenabteilungen. u Versorgung außerhalb

Kann ein Gefangener in der JVA nicht behandelt werden, so wird er zu einem externen Arzt, insbesondere handelt es sich dabei um Fachärzte, gebracht. "In schwerwiegenden Fällen werden die Gefangenen auch in Krankenhäuser außerhalb des Vollzuges verlegt", teilt das Ministerium mit. Dort werden die Häftlinge in der Regel von zwei Justizvollzugsbediensteten ständig beaufsichtigt.