Tradition: Seit bereits über 500 Jahren werben viele Rottweiler Einzelhändler mit historischen Stechschildern

Ob schlicht bemalt oder prunkvoll mit Schnörkeln und anderen Details geschmiedet – sie sind nicht nur ein echter Hingucker, sondern auch ein Stück Stadtgeschichte und bei vielen Einzelhändlern ein Stück Tradition: die Rottweiler Stechschilder.

Rottweil. Besuchern der Stadt fallen sie sofort ins Auge: Die prächtigen Geschäftsschilder, die oft kunstvoll geschmiedet, manchmal aber auch gemalt sind. "Das ist schön, dass die Stechschilder Touristen auffallen. Manchmal habe ich das Gefühl, dass die Rottweiler die gar nicht mehr wahrnehmen", scherzt Winfried Hecht, Historiker und ehemaliger Stadtarchivar in Rottweil, lachend. Falls das so wäre, kann man es den Rottweilern auch nicht verübeln: Die Stechschilder gibt es immerhin schon seit über 500 Jahren.

Früher haben vor allem Wirtshäuser, die in der Regel im ersten Obergeschoss eingerichtet waren, auffällige Schilder genutzt, um auf ihr Lokal aufmerksam zu machen, erzählt Sabina Kratt, Mitinhaberin der Buchhandlung Klein und ausgebildete Stadtführerin: "Damals gab es unzählige Wirtshäuser in Rottweil. Bestimmt jedes zweite oder dritte Haus. Die mussten also etwas unternehmen, um auf sich aufmerksam zu machen". Die Schilder seien damals aber nicht nur eine reine Reklame gewesen: Weil viele Menschen weder lesen noch schreiben konnten, mussten die Wirte sich Symbole für ihre Etablissments einfallen lassen, an denen die Menschen erkannten, wo sie sich verköstigen lassen können. "So wurde zum Wirtshaus "Goldenes Rad" auch ein goldenes Rad an das Haus gehängt. Beim "Bären" war es ein Bär und so weiter", erklärt Winfried Hecht weiter.

So habe man das ab circa 1550 immer gemacht und was mit den damaligen Wirten anfing, setzten schnell Handwerker und Einzelhändler fort: Bäckereien bekamen beispielsweise ein Brezel-Schild, über der Metzgerei Pflugfelder hängt noch heute ein Ochsenkopf unter welchem das Wort "Metzgerei" geschrieben steht und ein Beil schwebt. Natürlich hängt dieses nicht bereits seit dem 16. Jahrhundert an dem Haus: Einige Schilder sind allerdings schon sehr alt, wie zum Beispiel das Gasthausschild "zum Paradies", das inzwischen im Stadtmuseum ausgestellt wird, wie auch das Wirtshausschild "zur Stadt", das bis 1877 in der Hauptstraße 22 hing.

Eine Zeit ohne die Stechschilder habe es in Rottweil seither nicht gegeben, meint Hecht. Doch vor allem in den 1970er Jahren haben einige Einzelhändler solche in Auftrag gegeben, erinnert sich der Historiker. So auch das Schuhgeschäft Kramer in der Hochbrücktorstraße sowie der Schmuck- und Uhrenladen Stauss. Inhaberin Ulrike Stauss erinnert sich daran, dass ihre Eltern ihr Stechschild 1977 bei einem Kunstschmied aus Waldshut anfertigen ließen und dass dieses sogar einmal mit umzog. Ihr Stechschild zeigt eine große goldene Uhr mit einer prunkvoll verschnörkelten Halterung. Im gleichen Jahr ließ auch das Reisebüro Bühler ein Stechschild schmieden, um einerseits die Stadt traditionsbewusst mit zu gestalten, aber andererseits natürlich auch schlichtweg zu werben, wie Regionalleiter Günther Hauser weiß.

Die Geschäfte heute haben also noch die gleiche Intention wie die Wirte, Handwerker und Einzelhändler früher – nur dass bei ihnen inzwischen noch ein gewisses Traditionsbewusstsein hinzu kommt. "Die Werbung war früher so wie heute das halbe Geschäft", meint Winfried Hecht dazu: "Im Laufe der Jahre hat sich dazu noch Stil und Geschmack je nach Epoche geändert, was man heute an den unterschiedlichen Designs der Rottweiler Stechschilder erkennen kann". Dennoch will der Historiker nicht außen vor lassen, dass es im Laufe der Jahre in Rottweil noch andere Werbemöglichkeiten gab, wie beispielsweise das Bemalen von Häusern. Außerdem sei Rottweil natürlich nicht die einzige Stadt, die Stechschilder aushängen hat, ergänzt Sabina Kratt: "In anderen Reichsstädten sieht man auch noch heute Stechschilder hängen". Vor allem in Rottweil wolle man aber noch heute anspruchsvollere Werbeanlagen zeigen, um auch ein Stück Stadtgeschichte zu transportieren: "Rottweil ist immerhin die älteste Stadt Baden-Württembergs und die Rottweiler sind auch heute noch idealistisch und wollen ihren Touristen etwas Anspruchsvolles bieten", meint Hecht.

Wer ein eigenes Schild plant, sollte vorab die Stadt kontaktieren

Doch wie kommen Einzelhändler noch heute an ein Stechschild? Grundsätzlich müssten diese selbst einen Entwurf ausarbeiten und sich an einen Kunstschmied oder einen Maler wenden, erklärt Hecht. Die Stechschilder seien dann Privatbesitz, weshalb die Stadt an sich nichts damit zu tun hat. Diese freue sich allerdings natürlich, wenn das historische Bild durch solche Schilder gepflegt wird. "Daher kann man natürlich auch versuchen, Zuschüsse zum Stechschild zu bekommen, zum Beispiel vom Denkmalamt", so Hecht. Es sei sowieso ratsam, sich mit diesem und der Stadt in Verbindung zu setzen, wenn es an die Planung des eigenen Stechschilds ginge, da Rottweil natürlich eine Satzungsverordnung habe, die besage, welche Richtlinien so ein Schild erfüllen muss, ergänzt Kratt. Beim Design stelle sich Hecht außerdem zur Verfügung und steuere historisches Hintergrundwissen bei. "Dabei lasse ich mich auch aus der Literatur inspirieren", erzählt er.

Ein Kunstschmied könne heutzutage allerdings nicht mehr in Rottweil gefunden werden: "Rottweil war im Schmiedehandwerk zwar einst führend, aber seit dem 19. Jahrhundert gibt es keine mehr in der Stadt", so Hecht. In der Vergangenheit haben immer Schmiede aus anderen Städten die Rottweiler Stechschilder gemacht, die ebenfalls Tipps zum Design geben. Die haben durch ihr Zutun ein Stück zum historischen Erscheinungsbild der Stadt beigetragen und eine über 500 Jahre alte Rottweiler Tradition fortgesetzt.