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Rottweilerin lebt von 269 Euro / Caritas-Mitarbeiter reden über tägliche Arbeit

15,5 Prozent der Bürger in Deutschland sind von Armut bedroht. Das zeigen Zahlen des Statistischen Bundesamts. In Baden-Württemberg liegt die Quote bei 11,9 Prozent. Im Kreis Rottweil dürfte es laut Caritas ähnlich aussehen. Ist Armut hier also kein drängendes Thema?

Rottweil. Sie ist Mitte 50 und hat noch niemals Urlaub gemacht. Ins Kino zu gehen, ist schon etwas Besonderes. Und wenn sie durch Rottweil schlendert, schaut sie nur, etwas zu kaufen ist meistens nicht drin. Mit alledem kann die Frau, die ihren Namen nicht preisgeben möchte, leben. Aber als sie vor vier Jahren in ihrer Wohnung saß und mitten im Herbst kein Wasser und keinen Strom mehr hatte, wurde ihr klar: Es geht nicht mehr.

"Die Leute kommen zu uns, weil sie in Not sind", erklärt Bärbel Schmidt, Beraterin bei der Caritas Schwarzwald-Alb-Donau. "Wir machen dann einen Termin aus und prüfen gesetzliche Möglichkeiten." Ihre Arbeit sei in erster Linie eine beratende. Die Mitarbeiter versuchen, Betroffene schnell wieder zur Selbstständigkeit zu führen. Mit dem Überblick über Anträge und Möglichkeiten seien diese meist überfordert. Oft sei die Problematik so komplex, dass selbst die Berater grübeln, wo sie anfangen sollen. "Ebenso verschieden, wie die Probleme, sind die Bevölkerungsgruppen." Junge Mütter, die plötzlich getrennt leben, seien ebenso gefährdet, wie Rentner.

Hobbys, wie das Spielen von Instrumenten, sind oft unmöglich

"Vor allem muss man auch nach den Kindern schauen", merkt Manuela Mayer an. Sie ist die Regionalleiterin der Caritas Schwarzwald-Alb-Donau in Rottweil. "In Sachen Bildung sollten alle die gleichen Chancen haben. Da müssen die gesellschaftlichen Weichen noch gestellt werden." Musikunterricht oder Nachhilfe seien eine Kostenfrage. Für die soziale Teilhabe sei Derartiges aber wichtig. Vernetzung mache vieles möglich. Doch trotz Beziehungen und Förderprogrammen könne nicht jeder Traum erfüllt werden. Teure Hobbys, wie das Spielen von Instrumenten, seien oft unmöglich.

"Mein neunjähriger Enkel wollte letztens mit der Schulklasse verreisen", erinnert sich die Mitt-50erin. Doch nicht nur sie selbst lebt von Arbeitslosengeld, sondern auch ihre Tochter. "Die ganze Familie hat zusammengelegt, um ihm den Wunsch zu erfüllen." Was für andere selbstverständlich sei, mache einem Kopfzerbrechen, wenn man jeden Cent umdrehen müsse.

Die Frau hat ihre Kinder nach der Scheidung allein groß gezogen. Einfach sei das nie gewesen. Sie arbeitete jahrelang in der Altenpflege, dann in der Gastronomie. Vier Schichten habe sie zeitweise geschuftet, um über die Runden zu kommen. Und dann, vor vier Jahren, wurde sie krank und damit arbeitsunfähig. Sie ist es noch immer. "Dadurch bin ich in die Schuldenfalle geraten."

Über die Krankheit in die Schuldenfalle geraten

Inzwischen hat sie Privatinsolvenz angemeldet und ist von den Beiträgen für die Medikamente befreit. Für den Strom hat sie ein Ladegerät. Sie zieht einen Gegenstand aus der Tasche, der wie ein Schlüssel aussieht. "Den lade ich für ein paar Euro auf", erklärt sie. Wenn sie Strom benötige, schalte sie ihn mithilfe des Schlüssels ein und anschließend sofort wieder ab. Geräte im Dauerbetrieb habe sie abgeschafft. Auch der Kühlschrank sei leer. Das sei die einzige Möglichkeit, genügend Strom zu sparen und den Überblick zu behalten.

"Kaum jemand ahnt, welche Sorgen die Betroffenen belasten", erklärt Mayer. Man müsse über die Runden kommen und sich Gedanken machen, welche Möglichkeiten es gibt. Da kommen die sozialen Dienste ins Spiel. "Wir haben etwa 20 Mitarbeiter im Landkreis", so die Regionalleiterin, "aber der Bedarf ist noch längst nicht gedeckt." Wohnraum sei ein großes Thema, ebenso wie die Altersarmut. Die Dunkelziffer an Betroffenen sei wohl hoch, denn viele haben Hemmungen, Hilfe zu suchen.

"Für mich war es sehr schlimm, betteln gehen zu müssen", gesteht so auch die Frau. Der erste Gang zur Caritas vor vier Jahren und auch zur Rottweiler Tafel habe sie viel Überwindung gekostet. "Vor Frau Schmidt habe ich mich nach einigen Gesprächen und Treffen im Rottweiler Caritas-Zentrum aber nicht mehr geschämt", sagt sie. "Sie erwähnte gleich ihre Schweigepflicht. Und ich habe Vertrauen gefasst."

Ohne die Unterstützung und Beratung der Caritas wäre es wohl noch schlimmer gekommen, dennoch lebt die Frau von lediglich 269 Euro im Monat. Strom muss sie extra dazu kaufen. Das macht weniger als acht Euro pro Tag. Ein bisschen wird sie von ihren Kindern unterstützt. "Das anzunehmen, ist schwer", sagt sie, "weil ich doch die Mutter bin." Kürzlich habe ihr Sohn ihr wieder Sprudel vorbei gebracht. "Er geht dann immer gleich wieder, weil er weiß, dass ich dann weine."

Die Dunkelziffer an Betroffenen ist wohl hoch

Es zeichne sich eine negative Entwicklung ab, meint Mayer. Mietpreise steigen, ebenso die Stromrechnungen. Inzwischen sei nicht mehr, wie vor einigen Jahren noch, jedes achte Kind in Baden-Württemberg von Armut bedroht, sondern jedes fünfte. "Und was finanzielle Unterstützung angeht, sind uns Grenzen gesetzt." Die sozialen Stellen stehen in engem Kontakt, um den Betroffenen die bestmögliche Unterstützung zu bieten. "Doch es ist auch wichtig, mit Stadt und Landkreis in ständigem Austausch zu stehen, denn Armut ist ein Problem. Hier genauso wie andernorts."

Weihnachten und Ostern sind für die Frau die schwersten Zeiten im Jahr. "Ich kann meinen Enkeln nichts schenken." Und deswegen würde sie am liebsten gar nicht zu den Festen gehen. "Meine Kinder sagen, ich müsse kommen, weil die Enkel sonst traurig seien. Und es sei nicht schlimm, dass ich nichts für sie habe." Doch für sie ist es schlimm.