Beim Prozessauftakt richten sich alle Blick auf den Mann auf der Anklagebank. Foto: Graner

Erschütternder Prozessauftakt nach Dreifach-Mord. Beklemmende Stimmung im Gerichtssaal. Mit Video

Rottweil/Villingendorf - Drazen D. hat die Trainingsjacke über den Kopf gezogen, als er in Fußfesseln in den Gerichtssaal geührt wird. Als die Fotografen weg, sind, zeigt er sein Gesicht. Es ist teilnahmslos – auch als zum Prozessauftakt am Freitag erschütternde Details des Geschehens in Villingendorf geschildert werden.

Die Stimmung ist angespannt in Saal 201 des Landgerichts in Rottweil: bewaffnete Polizei, Eingangskontrollen, Ausweiskontrolle. Fernsehteams, Journalisten und Besucher drängen sich im Saal. Alle Blicke richten sich auf den dunkelhaarigen Mann mit Fünf-Tage-Bart auf der Anklagebank: Drazen D. "Ich wollte sehen, wie einer aussieht, der so etwas Schreckliches getan hat", sagt eine Besucherin.

Die Anklage lautet auf dreifachen Mord. Am ersten Prozesstag der Schwurgerichtskammer unter Vorsitz von Richter Karlheinz Münzer stehen die Örtlichkeiten in Villingendorf im Mittelpunkt, die Wohnung, die Auffindeorte der Toten, erschütternde Tonaufzeichnungen der Notrufe – und die Hinweise zahlreicher Zeugen, die Drazen D. schon am Mittag vor der Tat in Villingendorf gesehen haben.

Erschreckend: Zwei Zeuginnen haben das Auto von Drazen D. mit rotem Kurzzeitkennzeichen bereits am Nachmittag vor der Turnhalle in Villingendorf gesehen. Dort, wo die Erstklässler zu dem Zeitpunkt ihre Einschulung feierten. Darunter der kleine Sohn des Angeklagten, den er am Abend mit "drei Schüssen auf nächster Nähe", so schildert es der ermittelnde Kripobeamte, getötet haben soll. Er war nach drei Rumpfdurchschüssen sofort tot.

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Bei Verlesung der Anklageschrift skizziert der Leitende Oberstaatsanwalt Joachim Dittrich das Geschehen: Demnach haben Drazen D. und der Mutter des Sechsjährigen sich 2010 kennengelernt, 2011 kam der Junge zur Welt, 2017 trennt sich die Frau nach Gewalttätigkeiten und Drohungen von ihm. Er akzeptiert dies nicht, bedroht sie und ihren neuen Lebensgefährten. Es gibt ein Kontaktverbot. Er habe beschlossen, sich an seiner Ex-Partnerin zu rächen. "Sie sollte den Rest ihres Lebens leiden", so der Staatsanwalt.

Deshalb schleicht sich Drazen D. über den Hohenkarpfenweg auf das Grundstück und am Bewegungsmelder vorbei und tritt dann aus der Dunkelheit auf die Terrasse, wo sich seine Ex-Partnerin, der 34-jährige neue Lebensgefährte und dessen 29-jährige Cousine gerade aufhalten. Er schießt "nach einer kurzen Ansprache" – laut Kripo soll er so etwas wie "So, habt ihr einen schönen Abend" gesagt haben – auf den Lebensgefährten und auf die Cousine. Seine Ex-Partnerin sagt später, sie sei sicher gewesen, der nächste Schuss gelte ihr, doch er geht in die Wohnung.

Während die Frau sich zu Nachbarn flüchtet, schießt Drazen D. dreimal im Wohnzimmer auf seinen Sohn. Er habe dessen Tod nicht nur billigend in Kauf genommen, er wollte das Kind töten, so die Staatsanwaltschaft. Die verletzte Cousine kann sich noch auf eine Gartentreppe schleppen und ist bei Eintreffen der Rettungskräfte auch noch bei Bewusstsein. Sie stirbt später in der Helios-Klinik.

Angeklagter will keine weiteren Angaben machen

Drazen D. zeigt während dieser Schilderung keine Regung. Er lehnt in seinem Stuhl, starrt teilweise vor sich hin, lässt den Blick aber auch durch den Gerichtssaal schweifen. Ab und zu beredet er hinter vorgehaltener Hand etwas mit seinen Anwälten. Er nennt zu Beginn Namen und Geburtsdatum sowie den letzten Wohnort – Mahlstetten im Kreis Tuttlingen – sagt aber dann, dass er "im Moment keine weiteren Angaben" macht.

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Der polizeiliche Hauptsachbearbeiter von der Kriminalpolizei in Rottweil schildert die umfangreichen Ermittlungsmaßnahmen und nimmt die Prozessbeteiligten und Zuhörer visuell mit zum Tatort. Zahlreiche Panorama-Aufnahmen zeigen die Terrasse des Hauses, den Weg des Täters, die Wohnräume, die Lage der Toten – die in den Aufnahmen geschwärzt sind – und das kleine Bad, in dem später ein dreijähriges Mädchen, die Tochter der Cousine, gefunden wird. Sie hatte sich in dem kleinen Raum versteckt und wurde erst entdeckt, nachdem klar war, dass sich zum Tatzeitpunkt fünf Personen in der Wohnung befunden hatten. Der Vater des Mädchens war ebenfalls bei der Einschulungsfeier, hatte aber etwas an der Tankstelle geholt. Weil bei seiner Rückkehr nicht klar war, wie er zu der Tat steht, wurde er zunächst festgenommen.

Besonders erschütternd sind die Tonaufzeichnungen der eingegangen Notrufe aus der Nachbarschaft, die im Saal abgespielt werden. Nachbarn berichten von Schüssen und Hilferufen, haben teils selbst Angst. Als der Nachbar anruft, bei dem die Mutter des Jungen Schutz gesucht hat, hört man die 29-Jährige im Hintergrund wimmern, weinen und flehen. "Helft meinem Sohn, er ist in der Wohnung, er ist noch drin."

Erschütterung im Gerichtssaal

Später gelingt es dem Polizeibeamten am Telefon, sie zu beruhigen, damit sie wichtige Angaben machen kann. Sie sagt, von Weinkrämpfen geschüttelt, Dinge wie: "Es war Drazen... alle wissen Bescheid... die Polizei weiß Bescheid. Er ist gekommen... ich hab es ja gesagt. Ich bin vor ihm geflohen." Und weiter: "Er ist gefährlich, er hat eine große Waffe." Durch ihren russischen Akzent ist zunächst der Name des Täters nicht zu verstehen. Später buchstabiert sie den Namen unter Tränen.

Im Saal macht sich Erschütterung breit. Eine Nebenklägerin, die Schwester des erschossenen Lebensgefährten, weint. Auch die Verteidiger des Angeklagten lässt dies nicht kalt. Rechtsanwalt Bernhard Mussgnug sagt später: "Bei dieser Verteidigung spielt auch die Opferempathie eine große Rolle, es geht nicht ausschließlich um die Interessen des Angeklagten."

Am Nachmittag werden weitere Polizeibeamte des Polizeireviers Rottweil vernommen, die als erste am Tatort eingetroffen sind. In Amokausrüstung nähern sie sich dem Wohnhaus in der Klippeneckstraße, entdecken die verletzte Frau auf der Treppe und den Toten auf der hell erleuchteten Terrasse. Einem Beamten fallen am Boden großkalibrige Munitionshülsen auf. Die Einschätzung: Kaliber 7/62 – eine typische Kriegswaffe. Später stoßen sie in der Wohnung auf das tote Kind. Bei der weiteren Durchsuchung sei man "täterorientiert" vorgegangen, deshalb habe man auch die Dreijährige, die sich flach liegend und zusammengekauert in einer Duschkabine versteckt hatte, zunächst nicht entdeckt.

Die beteiligte 33-jährige Polizistin des Rottweiler Reviers schildert klar und sachlich viele Details des Einsatzes. Doch als Richter Münzer fragt, ob sie psychische Folgen davongetragen hat, kämpft sie mit den Tränen und nickt. "Das alles hat mich verändert, als Mensch, als Frau und als Polizistin." Auch ihr Kollege berichtet, dass er das Geschehen nicht so leicht verarbeiten konnte.

Am 4. April wird der Prozess fortgesetzt. Dann werden weitere Zeugen aus der ersten Phase des Einsatzes vernommen.

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