Von wegen "Rückschritt": Iris Schmeisser (links) und Larissa Welsch sind glücklich mit ihrer Entscheidung. Foto: Bienger

Beispiel von Iris Schmeisser und Larissa Welsch: Nach dem Studium ist Weg in die Ausbildung letztlich der richtige.

Rottweil - Nach dem Abitur an die Universität oder Fachhochschule: Ein Studium gilt heutzutage noch immer als Jobgarantie. Doch das muss nicht zwingend so sein: Zwei junge Frauen erzählen, wie sie über Umwege zum Traumberuf gekommen sind – und warum sie den "Uni-Trend" durchaus kritisch sehen.

Lange hadert Iris Schmeisser mit sich, ob sie ihr Studium abbrechen soll oder nicht. Sechs Semester lang paukt die junge Frau in Konstanz Englisch und BWL. Ihr Ziel: Mit dem Bachelor will sie in einer Export-Firma Fuß fassen, will die Fremdsprache und das Wirtschaftswissen, das sie an der Uni erwerben will, für ihre Karriere nutzen. Doch am Ende kommt alles ganz anders. "Ich habe den Abbruch lange abgewogen", erzählt Schmeisser. "Der Hauptgrund, warum ich drei Semester vor dem Abschluss schließlich doch aufgehört habe, war, dass die Entwicklung im Fach Englisch nicht so verlief, wie ich es mir vorgestellt hatte."

Das Sprechen der Sprache sei im Studium zu kurz gekommen, genau wie das Kennenlernen einer anderen Kultur. Stattdessen sei das Fach "sehr literaturlastig" gewesen. Auch mit dem "verschulten" System kommt Iris Schmeisser nicht klar, also der Aufteilung in Wahl- und Pflichtmodule, sowie teilweise mit den Leistungsanforderungen.

Vielen ergeht es wie der 25-Jährigen aus Rottweil. Auch wenn die Zahlen der Studienabbrecher bundesweit rückläufig sind, schafften es laut einer Studie des Instituts für Hochschulforschung 2010 noch immer rund 28 Prozent des Jahrgangs 2006/2007 nicht, ihr Bachelorstudium abzuschließen. Woran liegt das?

Iris Schmeisser vermutet, dass der Grundstein für diese Entwicklung bereits im schulischen System und bei der Überforderung der Schüler zu suchen ist: "Die Kinder haben am G 8 einen vollgepumpten Stundenplan, an der Uni geht’s nahtlos weiter." Auch kenne sie viele, die nach dem Abitur verunsichert waren, noch nicht wussten, was sie beruflich machen wollen, und dann eben das studiert hätten, "was ihnen Spaß macht".

Inzwischen blickt Iris Schmeisser entspannt auf ihre damalige Entscheidung zurück – und zuversichtlich in die Zukunft. Seit September vergangenen Jahres macht sie eine Ausbildung zur Groß- und Außenhandelskauffrau in einem Rottweiler Unternehmen. "Ein Rückschritt", würden viele jetzt sagen – doch die junge Frau ist glücklich mit ihrer Arbeit. Endlich hat sie mehr Praxisbezug, macht das, was ihr Spaß macht. Und auch, wenn der Verdienst nach einer Ausbildung nicht so hoch ist wie nach einem abgeschlossenem Studium: "Man kann trotzdem was erreichen", ist Schmeisser überzeugt. "Ich habe zum Beispiel immer noch die Möglichkeit, den Betriebswirt zu machen."

Doch auch ein Studium führt nicht zwangsläufig in den Traumberuf. Diese Erfahrung musste Larissa Welsch machen. "Ich mochte Fremdsprachen", erinnert sich die 24-Jährige aus Zimmern an die Zeit nach dem Abitur. Die Hoffnung, später einmal mit internationalen Kunden zusammenzuarbeiten, führt sie ins BWL-Studium, genauer: International Business Management an der FH Furtwangen. Trotz einiger Schwierigkeiten zieht Welsch ihr Studium durch, macht einen Abschluss mit Einserdurchschnitt – doch danach kommt das große Fragezeichen. "Viele Bekannte fragten mich: ›Was bist du denn jetzt eigentlich genau?‹ Das Studium war einfach zu praxisfern", sagt sie. Danach arbeitet die Zimmernerin deshalb zunächst im Einzelhandel – und merkt, dass ihr der Umgang mit Kunden Spaß macht. Auch sie entscheidet sich schließlich für eine Ausbildung zur Groß- und Außenhandelskauffrau. Das Studium ermöglicht ihr, die Ausbildungszeit auf eineinhalb Jahre zu verkürzen.

Dies gestaltet sich zunächst allerdings schwieriger als gedacht. Iris Schmeisser etwa muss sehr viele Bewerbungen abschicken, bis sie endlich eine Einladung für ein Vorstellungsgespräch bekommt. "Die Betriebe sind nicht offen für Leute, die vorher etwas anderes gemacht haben. Ein abgebrochenes Studium macht sich nicht gut im Lebenslauf." Auch für Larissa Welsch ist es trotz ihres Studienabschlusses nicht einfach, einen Ausbildungsplatz zu bekommen: "Manche Firmen denken dann: ›Der kann sich nicht entscheiden‹", sagt sie.

G 8, Bologna-Reform, der Trend zu Abitur und Studium bei gleichzeitigem Fachkräftemangel: Ist die Gesellschaft zu stark auf akademische Bildung ausgerichtet? Iris Schmeisser und Larissa Welsch sehen zumindest eine Tendenz dazu. Rückblickend kritisieren beide die mangelhafte Vorbereitung auf das Berufsleben in der Schule: "Das BOGY ist ein Witz", sagt Iris Schmeisser mit Blick auf das einwöchige Berufspraktikum in der zehnten Klasse. Und obwohl beide das Abitur am G 8 bestanden haben, finden sie die Turbo-Entwicklung nicht gut. Die Anforderungen steigen immer mehr, sagen sie – und damit auch die Tendenz zur Überforderung. Selbst für junge Menschen, die "nur" eine Ausbildung anstrebten, sei vieles schwerer geworden. "Viele Berufe setzen heutzutage ein sehr gutes Abitur voraus, viele Arbeitgeber verlangen zu viel. Die Personen werden hinter den Noten missachtet", moniert Schmeisser.

Sowohl sie selbst als auch Larissa Welsch finden den "umgekehrten" Weg, also erst Studium, dann Ausbildung, im Nachhinein deshalb gar nicht so schlecht. "Ich habe im Studium viel über mich selbst gelernt und tue mich jetzt in der Ausbildung in vielem leichter", sagt Iris Schmeisser. Larissa Welsch pflichtet ihr bei: "Ich komme jetzt viel einfacher mit dem Lernen klar, vieles ist ähnlich wie in BWL." Und fügt hinzu: "Natürlich haben meine Familie und meine Freunde anfangs gefragt: Wie, eine Ausbildung? Aber ich denke, manchmal muss man einen halben Schritt zurückgehen, um später drei Schritte nach vorne zu machen."