Ermittlungschef Thomas Hechinger (links) und Oberstaatsanwalt Joachim Speiermann loben die Zusammenarbeit mit Italien. Foto: Eich

Italienische Anführer leben seit Jahren mit Familien in Region. Hohe kriminelle Energie. Mit Kommentar & Video

Kreis Rottweil/Schwarzwald-Baar-Kreis - Eine Gaststätte in Rottweil, ein Restaurant in Schwenningen, ein Modegeschäft in Donaueschingen. Hinter der Fassade des aufrichtigen Geschäftsmanns und fleißigen Gastronoms offenbart sich ein ganz anderer Appetit: jener nach teuren Autos, protzigen Villen, Macht und schnellem Geld. Unter dem Deckmantel des Biederen und Bürgerlichen wurden andere Dinger gedreht: Drogenhandel und Waffenschmuggel gehörten dazu. Das Duo schreckte auch nicht vor Brandstiftung, versuchter Erpressung und versuchtem Mord zurück.

Dieser Teil der organisierten Kriminalität in Süddeutschland hatte seine Machtzentren mitten auf dem Lande, in Rottweil und im Nachbarlandkreis Schwarzwald-Baar. Idylle und Beschaulichkeit sind die Schminktöpfe für die Anführer einer kriminellen Vereinigung mit Wurzeln in Italien und besten Kontakten zur Mafia.

Polizei und Staatsanwaltschaft sind sich sicher: Der Rottweiler Gastronom Placido A., 52 Jahre alt, italienischer Staatsbürger und in Tuningen wohnhaft, sowie sein 48 Jahre alter Landsmann und Kompagnon, der im Raum Donaueschingen die Geschäfte führte, sind die Köpfe einer international agierenden Bande. Sie verfügten über gute Kontakte zur Cosa Nostra, einem Mafia-Clan in Palermo. Sie agierten selbst wie eine Mafia-Organisation. Einschüchterungsversuche wie jener im Mai auf einen Gaststättenbetreiber in Hüfingen, als mitten in der Nacht wild Schüsse in das Lokal abgefeuert wurden, gehörten dazu. Kaschiert wurden das kriminelle Vorgehen durch die bürgerliche Existenz in Familien, mit denen die Anführer der Bande seit Jahren in Deutschland leben.

Mehrere Ermittlungen verliefen bislang im Sande

Schon vor vier Jahren kam die deutsche Polizei dem 48-Jährigen auf die Schliche. Ein Ermittlungsverfahren verlief im Sande. Auch der 52 Jahre alte Restaurantbesitzer und Gastronom war kein unbeschriebenes Blatt, Verdachtsmomente gab es seit Jahren. Doch es hatte bislang nicht gereicht.

Nicht so dieses Mal. Nach monatelanger akribischer Arbeit im Verborgenen schlugen die Beamten am 21. Juni zu. Länderübergreifend durchsuchten Polizisten in Süddeutschland und in Italien, unterstützt von Spezialeinsatzkräften, gleichzeitig 30 Objekte. 300 Beamte waren im Einsatz. 17 Verdächtige wurden festgenommen, darunter die beiden Anführer. Sie ließen sich widerstandslos abführen. Mehrere Kilogramm Drogen (Cannabis und Marihuana), Waffen, Munition, Schmuck und Bargeld wurden gefunden, teure Autos und Immobilien in beiden Ländern beschlagnahmt: Der 21. Juni markiert das vorläufige Aus dieser Gruppierung. Inwieweit die organisierte Kriminalität in Süddeutschland dadurch geschwächt wurde?

In einer eigens anberaumten Pressekonferenz in der Kriminaldirektion in Rottweil schildern Kripo und Staatsanwaltschaft Konstanz am Dienstagmorgen, wie sie auf die Bande aufmerksam geworden sind, welche Erkenntnisse gewonnen wurden, wie es möglicherweise weitergeht. Eines wurde klar: Mit diesem Erfolg ist es nicht getan, hört die Arbeit der Polizei nicht auf, wurde das Böse in Süddeutschland nicht auf einen Schlag ausgemerzt.

Mehr aus der Pressekonferenz gibt es im Video:

Auf die Spur ist die Polizei durch vorhergehende Fahndungserfolge gestoßen. Auch dabei ging es um den Handel mit Drogen in einem größeren Ausmaß. Deutsche, Italiener und Albaner wurden festgenommen. Dabei stellte sich heraus, dass es geschäftliche Beziehungen nach Rottweil und in den Schwarzwald-Baar-Kreis gab. Weitere Hinweise durch das Landeskriminalamt sowie bereits gute Verbindungen zur Polizei nach Italien gaben den jetzigen Ermittlungen den Anstoß.

Im Oktober 2016 wurden Gespräche mit den Kollegen der Guardia di Finanza in Palermo geführt. Man vereinbarte das Spiegelverfahren, ein paralleles Vorgehen in Deutschland und Italien. Die länderübergreifende Zusammenarbeit fand auf dem kleinen Dienstweg statt, auf das formale Rechtshilfeersuchen wurde verzichtet. "Damit wären wir nicht so schnell so weit gekommen", so Oberstaatsanwalt Joachim Speiermann. Erkenntnisse, die die aufwendige Überwachung von Telefongesprächen erbrachten, wurde den Kollegen umgehend zur Verfügung gestellt. Die Zusammenarbeit mit den italienischen Kollegen wurde nun in den höchsten Tönen gelobt.

"Wir sind an unsere Grenzen gekommen"

Den Beamten wurde während dieser Monate fast alles abverlangt. "Wir sind an unsere Grenzen gekommen", sagt Thomas Hechinger, Chef der sechs Beamten zählenden Ermittlungsgruppe bei der Kripo in Rottweil. Er spricht von langwierigen Ermittlungen und einer hohen Belastung, nicht nur zeitlich. "Ungewöhnlich war die Professionalität, mit der die organisierte Kriminalität in Italien vorgeht", sagt Hechinger. Gemeint ist deren Skrupellosigkeit: "Die Straftaten befinden sich auf einem anderen Niveau als in Deutschland."

Nach und nach wurden die einzelnen Erkenntnisse wie Puzzleteile zu einem Bild zusammengefügt, war der Zeitpunkt gekommen, in die Offensive zu gehen. Fast wäre man sich selbst in die Quere gekommen, als an dem Wochenende vor dem geplanten Zugriff ein bewaffneter Raubüberfall, bei dem die observierte Bande ihre Finger im Spiel hatte, durch die Polizei verhindert werden musste. Die Szene zeigte sich daraufhin nervös. So erklärt der Chefermittler den für ihn etwas enttäuschenden Ertrag bei der Polizei-Aktion am 21. Juni. "Wir haben mehr erwartet."

Mit dem Schlag gegen die Bande ist der Fall nicht abgeschlossen. Die Festgenommen werden verhört. Dadurch erhofft man sich weitere Erkenntnisse. Es gibt bereits erste Geständnisse.

Bis zur gerichtlichen Aufarbeitung der Machenschaften der Bande in der Region wird es noch etwas dauern. Oberstaatsanwalt Speiermann geht davon aus, dass er Ende des Jahres den Abschlussbericht erhält. Eine Anklage in diesem Jahr hält er für ausgeschlossen. Frühestens in einem Jahr könnte es zur Gerichtsverhandlung kommen.

Kommentar: Ein Superlativ

Von Armin Schulz

Hohes Medieninteresse in der Kriminaldirektion in Rottweil. Der Hunger nach weiteren Erkenntnissen rund um die beiden Anführer einer mafiaähnlichen Gruppierung aus der Region Schwarzwald-Baar-Heuberg ist groß. Das Angebot kann nicht mithalten, was nicht überrascht. Alle notwendigen Informationen haben Polizei und Staatsanwaltschaft bereits bekannt gegeben oder haben wir recherchiert. Zudem wurde bereits in der vergangenen Woche die Öffentlichkeit in Italien gefüttert, Behörden und Medien in Italien wiederum gehen mit Nachrichten recht freizügig um. Eindrücklich vor Augen geführt wurde indes in der gestrigen Pressekonferenz, dass hier schwerste Jungs am Werk waren. Ob sich auch mit diesem Superlativ werben lässt in einer Stadt, die die älteste im Land ist, bald über die höchste Aussichtsplattform und die längste Hängebrücke verfügt?