Foto: Stefaniga

23-jährige Junior-Chefin von Großküchen-Hersteller will auf Pik Lenin. Kurz vor Gipfel zur Umkehr gezwungen.

Rottweil - Manchmal wacht Sandra Stefaniga auf, und das Zelt um sie herum ist von Schnee bedeckt. Sie steht auf, zieht ihre Ausrüstung an und schnappt sich den Zehn-Kilo-Rucksack. Draußen ist es kalt und dunkel und die Luft ist dünn. Jede Bewegung fällt schwer. Die junge Frau läuft stundenlang bergauf und es ist immer noch dunkel. Dann denkt sie: "Warum zur Hölle mache ich das? Ich könnte jetzt auch an einem Strand liegen oder feiern. Oder einfach schlafen." Aber dann, irgendwann um 5 oder 6 Uhr, bricht die Dämmerung herein. Die Sonne geht hinter schneebedeckten Bergen auf und Sandra Stefaniga weiß wieder, warum sie da ist. Sie denkt sich: "So etwas sieht kaum ein Mensch."

Im Auto durch den Fluss

Die 23-jährige Junior-Chefin des Großküchen-Herstellers in Rottweil ist an einem sommerlichen Mittwoch allein im Geschäft. Ein Familienbetrieb bringt viel Arbeit mit sich. Stefaniga wirkt adrett mit den ordentlich gefeilten Fingernägeln, ihrem schwarzen Pferdeschwanz und einer weißen Bluse unter dem Pullunder. Man könnte meinen, die zierliche, 1,60 Meter große Frau spiele in ihrer Freizeit ein Instrument oder gehe zum Zumba. Es würde wohl kaum jemand denken, dass sie stattdessen in Bergsteiger-Ausrüstung tausende von Höhenmetern erklimmt. Doch so ist es.

Der Pik Lenin in Tadschikistan hat sie in diesem Jahr ihren kompletten Sommerurlaub gekostet. Und dabei hat der Berg sie nicht gerade auf einladende Weise begrüßt. "Als meine Gruppe", bestehend aus vier Personen, "angekommen ist, haben wir erfahren, dass ein anderer Bergsteiger vermisst wird", erinnert sich Stefaniga. "Wir haben die Hubschrauber über dem Gebiet kreisen sehen." Der Vermisste konnte einige Tage später nur noch tot geborgen werden. "Als ich wieder abgestiegen bin, habe ich die Sherpas getroffen, die den Toten auf einem Schlitten den Berg runter gezogen haben. Er war ganz steif und hat alle Viere von sich gestreckt." Der Anblick habe ihr dennoch nicht viel ausgemacht, aber solche Momenten bringen sie zum Grübeln. "Er hat schließlich das gleiche gemacht, wie ich, hatte das gleiche Ziel. Da ist man froh, wenn es einen selbst nicht getroffen hat."

Mit 18 Jahren habe sie angefangen, nämlich mit einer Alpenüberquerung. "Ich habe eine Doku im Fernseher gesehen und dachte mir, Bergsteigen, warum denn nicht?", erzählt Stefaniga. Also hat sie sich eine Profi-Ausrüstung zugelegt und sich auf den Weg gemacht. Es folgten viele Bergbesteigungen, unter anderem in Indien, Russland und Italien. Der Pik Lenin war nun eine besondere Herausforderung. Mit 7134 Metern ist er der Höchste, an den sich die 23-Jährige bisher gewagt hat. "Von dem Berg habe ich vor einigen Jahren gehört und seitdem spukt er in meinem Kopf herum." Nun war es an der Zeit.

"Ab 8000 Metern beginnt die Todeszone"

"Ich habe eine sehr gute Ausrüstung und gehe immer drei Mal pro Woche laufen und mache Krafttraining", erzählt die Bergsteigerin von den Vorbereitungen. Denn eines sei klar: Ohne Fitness keine Chance. Und selbst dann sei die Wahrscheinlichkeit, auf 7000 Metern anzukommen, gering. "Etwa 70 Prozent schaffen es nicht. Es spielen unglaublich viele Faktoren mit." Und man müsse wissen, wenn es Zeit werde, umzukehren. Eine falsche Entscheidung könne einen das Leben kosten. "Auf 7000 Metern weht eben wortwörtlich ein anderer Wind", sagt sie. Alles sei extrem, von der Kälte bis zur Sonnenstrahlung. Gute 7000 Meter seien gerade noch im Rahmen des Machbaren. "Ab 8000 Metern beginnt die Todeszone. Da kann ein Mensch nicht lange überleben."

Nach diversen Etappen bis zur Hauptstadt von Tadschikistan findet sich Stefaniga in einem umgebauten Mercedes Sprinter wieder, der stundenlang durch eine karge, raue Landschaft rollt. Es gibt keinen Baum, nur ein paar Grasbüschel, Hügel und Felsen. Der Sprinter holpert über Straßen, die in Deutschland nicht einmal Feldwege wären. Es geht mitsamt Auto durch einen Fluss. Irgendwann kommen sie am Fuß des Berges am ersten Basis-Camp an. Von dort aus soll es losgehen. Und da gibt es nicht nur Zelte, sondern sogar W-Lan.

Im Allgemeinen war die Reise gut organisiert. Es habe auf verschiedenen Höhen Basic-Camps gegeben, wo die Zelte bereits standen.

Geschlafen wird unten

An jedem Camp haben "Chefs" gewartet, die Funkkontakt zu den Gruppen hielten. "Auf 7000 Meter kann man nicht einfach so hoch laufen", erklärt Stefaniga. Sonst werde man höhenkrank und das sei lebensbedrohlich. Man müsse sich langsam an die veränderten Druckverhältnisse und den verringerten Sauerstoffgehalt gewöhnen. Es werde also immer ein paar hundert Meter hoch gewandert und dann tagsüber auf der Höhe verharrt. Dort schmelzen die Bergsteiger Schnee zum Trinken und kochen Tütensuppe mit dem Gaskocher. Und dann, zum Schlafen, steigen sie wieder ein Stück weiter hinunter. So nähere man sich dem Gipfel mit langsamem Tempo.

Die Höhenkrankheit ist es nicht, die Stefaniga schließlich knappe 1000 Höhenmeter vor dem Ziel zur Umkehr zwingt. "Ich habe schon am Anfang gemerkt, dass ich ein kleines bisschen erkältet war", gesteht sie. Je höher man komme, umso beschwerlicher werde der weitere Aufstieg. Als es ihr schlechter ging, meinte der Bergführer, das liege an der Höhe. "Natürlich geht es einem auf 6000 Metern nicht mehr gut. Man bekommt schlechter Luft und alles ist beschwerlich", erklärt sie. Doch das sei nicht das Problem gewesen. "Ich wusste, dass das Herzrasen an der Krankheit liegt, nicht an der Höhe."

Normalerweise gehe sie mit dem Gedanken zum Berg: "Ich erreiche den Gipfel." Doch bei diesem Berg sei ihr von Anfang an bewusst gewesen, wie schnell man scheitern kann. Dementsprechend hält sich die Frustration in Grenzen. Die Resonanz aus dem Bekanntenkreis sei sehr gut gewesen. Weil sie es weit geschafft hat. Und weil sie die richtige Entscheidung getroffen hat. "Aufzugeben ist schwer, aber es kann einen persönlich weiter bringen, als immer ans Ziel zu kommen. Das ist auch eine Erfahrung."

Auf dem Gipfel ist alles vergessen

Während zwei der Gruppe den Gipfel erreicht haben, hat Stefaniga nach zwei der geplanten drei Wochen Wandern noch drei Tage in Istanbul drangehängt. Darin, fremde Länder und Orte zu sehen, die man sonst nie besuchen würde, macht für Stefaniga einen Reiz am Bergsteigen aus. Der Andere ist die Herausforderung, oder wie sie sagt: "Am Strand liegen kann jeder." Sie kämpft lieber wochenlang um einen Gipfel. "Alle sagen, ich habe ein Rad ab, weil ich so viel Geld und Zeit investiere. Ich könnte auch drei Wochen Luxusurlaub machen", sagt die Bergsteigerin. Dafür habe sie aber Geschichten zu erzählen, an die sie sich auch nach Jahrzehnten noch erinnern werde.

Nachts im Zelt zu schlottern und bei Dunkelheit mit schwerer Ausrüstung durch den Schnee zu stapfen, sei nur eine Seite des Bergsteigens. Wenn man dann aber auf dem Gipfel stehe und gar nicht glauben könne, dass es geschafft ist, sei das vergessen. Deswegen ist das auch nicht das Ende von Stefanigas Pik Lenin Expedition. Sie ist sich sicher: "In ein paar Jahren komme ich zurück. Und dann schaffe ich es bis zum Gipfel!"