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2733 Jugendliche im Vollrausch wurden 2017 landesweit in Krankenhäusern behandelt.

Kreis Rottweil - "Unter Jugendlichen gilt es mehrheitlich als uncool, betrunken zu sein", meint Kreisjugendreferent Konrad Flegr. Das bestätigen die sinkenden Zahlen bei durch Alkoholkonsum verursachten Krankenhausaufenthalten. Von einer Entspannung der Situation kann trotzdem nicht geredet werden.

Trinken, bis der Arzt kommt – eine Weile lang war das ein erschreckender Trend bei Jugendlichen zwischen 13 und 19 Jahren. Laut einer Studie des Statistischen Landesamtes Baden-Württemberg mussten 2009 mehr als 4000 junge Menschen aufgrund exzessiven Alkoholgenusses im Krankenhaus behandelt werden. Das war der Statistik nach der Höhepunkt.

Seit 2010 sind die Zahlen, bis auf einen Ausreißer 2016, rückläufig. 2017 waren es nun insgesamt 2733 Jugendliche, die dem Alkohol zu sehr zugesprochen hatten, davon 35 aus dem Kreis Rottweil. Kann der Trend des Komasaufens damit als gestoppt betrachtet werden?

Jein, meint der Rottweiler Kreisjugendreferent Konrad Flegr. Statistiken Alkoholkonsum betreffend seien generell mit Vorsicht zu genießen. "Absolut verlässliche Zahlen lassen sich nicht angeben, da sich vieles im Dunkelfeld abspielt, also gar nicht öffentlich bekannt und damit mess- oder zählbar wird", sagt er.

Aus der Alltagserfahrung lasse sich jedoch die deutliche Tendenz zu weniger Konsum von Alkohol – übrigens auch von Nikotin – bestätigen, so Flegr. Als Gründe sehe er dabei nicht nur die verschärften Gesetze und stärkeren Kontrollen, sondern auch die Wirkung von Aufklärungs- und Präventionsmaßnahmen –pädagogisch wie auch polizeilich. Zudem verzeichnet er bei Erwachsenen eine erhöhte Sensibilität und mehr Verantwortungsbewusstsein sowie ein allgemein gestiegenes Gesundheitsbewusstsein.

Die Studie des Statistischen Landesamtes ist seiner Meinung nach nur bedingt aussagekräftig, auch wenn sie auf objektiv messbaren Daten beruhe. Die Achtsamkeit auf hilflose oder gesundheitsgefährdete Jugendliche variiere je nach Raumschaft ebenso sehr wie die Praxen der Krankenhäuser. "Die Statistik kann Trends und Tendenzen aufzeigen. Eine exakte und vertiefte Problembeschreibung liefert sie nicht", meint Flegr.

Mädchen konsumieren mehr, Jungen weniger

Dennoch decke sich die Grundaussage mit seinen Wahrnehmungen. "Jugendliche beginnen heute später mit dem ersten Alkoholkonsum", sagt er. Am häufigsten behandelt werden müssen laut baden-württembergischer Statistik die 16-Jährigen, wobei weibliche Jugendliche tendenziell mehrheitlich mit 15 Jahren in Erscheinung treten.

Der Alkoholkonsum entwickelt sich zudem offenbar bei Mädchen und Jungen unterschiedlich. In der Aufführung des Statistischen Landesamtes wird bei den Jungen gegenüber 2016 ein Rückgang von 102 Fällen auf 1575 Fälle verzeichnet. Bei den Mädchen hingegen sind es mit 1158 Fällen 25 mehr als im Vorjahr.

Den ersten Alkohol konsumieren Jugendliche laut Studie der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung übrigens mit 14,9 Jahren.

Deutliche Unterschiede scheint es auf Kreisebene zu geben. Mit 32,5 Fällen je 10 000 Jugendliche liegt Rottweil unter dem Baden-Württemberg-Durchschnitt (34,2). "Weniger Jugendliche als früher trinken regelmäßig. Sie trinken weniger oft und dann geringere Mengen", so Flegrs Eindruck vom Kreis Rottweil.

Anders sieht es da in den Nachbarlandkreisen Tuttlingen (35,5) und Freudenstadt (71,2, Spitzenreiter in Baden-Württemberg) aus – zumindest laut Statistik.

Genau dieses Thema kam in Freudenstadt auch jüngst im Kreistag auf den Tisch. Kreisrat Ernst Wolf (FDP) berief sich auf eine Statistik aus dem Südwestfernsehen. Der Alkoholmissbrauch durch Jugendliche, die sich bis zur Besinnungslosigkeit betrinken, soll im Kreis Freudenstadt teils um 80 Prozent höher sein als in anderen Landesteilen. Der Landrat will nun die Statistik anfordern und sie analysieren.

Auch der Kreis Rottweil ist trotz des verhältnismäßig guten Ergebnisses keine heile Welt. Es bedeute nicht, dass es nicht auch in der heutigen Generation Intensiv- und Komatrinker gebe, meint Konrad Flegr.

Problembewusstsein und Sensibilität

"Entwarnung zu geben, wäre mit großer Sicherheit falsch", bekräftigt Polizeisprecher Michael Aschenbrenner. Verlässliche Zahlen über Alkoholmissbrauch bei Jugendlichen hat er nicht parat. "Viele werden einfach nicht aktenkundig", erklärt er. 2733 Fälle seien immer noch zu viele.

Dennoch hat er auch das Gefühl, dass sich das Bewusstsein im Umgang mit Alkohol verändert hat. "Die Aufklärung kommt an. Wir sind auf einem guten Weg", so seine Einschätzung. Dazu trage auch die gestiegene Sensibilität bei den Alkoholverkäufern bei. Des Weiteren finden auch immer wieder Kontrollkäufe statt, verstärkt an der Fasnet und Silvester, so Aschenbrenner.

"Eindeutige Gesetze und Verbote sowie Kontrollen sind notwendig, richtig und gut", stimmt der Kreisjugendreferent Konrad Flegr zu. Noch besser sei es, wenn dazu allgemeines Problembewusstsein, Sensibilität und bürgerschaftliche Mitverantwortung kommen. Darauf setze das Programm "Jugendschutz – Na klar!", für das 206 Betriebe als Präventionspartner im Kreis Rottweil zertifiziert sind.

Ein Phänomen, das der Jugendarbeit vermehrt Sorgen bereite, sei das Fehlverhalten von meist ortsfremden alkoholisierten "Gästen", die Jugendtreffs nutzen, um sich vor allem öffentlich zu inszenieren, weiß Flegr. So ähnlich war es beispielsweise dem Deißlinger Jugendclub ergangen, was die Schließung zur Folge hatte.

"Das Problem des übermäßigen Alkoholkonsums bei Minderjährigen ist nach wie vor da. Es ist nur nicht größer geworden", lautet Michael Aschenbrenners verhalten positives Fazit.

Am häufigsten trinken die Älteren. Das ist das Ergebnis einer Forsa-Umfrage in Baden-Württemberg im Auftrag der AOK. Bier, das am meisten konsumierte alkoholische Getränk, wird von jeder fünften Person (20 Prozent) ab 60 Jahren mindestens drei Mal pro Woche konsumiert. Bei den 30- bis 44-Jährigen sind das nur acht Prozent, bei den 45- bis 59-Jährigen 16 Prozent.

Chronisch Kranke haben sogar einen leicht erhöhten Bierkonsum. Von ihnen greifen 15 Prozent mindestens drei Mal wöchentlich zur Bierflasche, von Menschen ohne chronische Krankheiten 13 Prozent.

Giuseppe Palilla vom Sozialen Dienst der AOK berichtet: "In unserer Beratungspraxis erleben wir, dass ältere Menschen ihren Alkoholkonsum eher verstecken. Senioren haben einen regelmäßigeren Alkoholkonsum, der entgleisen kann. Beim Eintritt in die Rente entfällt mit dem Berufsleben zudem eine soziale Situation, die auf das Trinkverhalten regulierend einwirkt."

Im Landkreis Rottweil ist laut AOK der Anteil der Über-60-Jährigen mit einer ärztlich festgestellten psychischen oder Verhaltensstörung aufgrund Alkoholmissbrauchs 2013 bis 2016 um mehr als sechs Prozent gestiegen. Erst im vergangenen Jahr ist die Zahl der Betroffenen leicht zurückgegangen. Rund 400 AOK-Versicherte ab 60 Jahre waren 2017 wegen einer alkoholbedingten Störung in ärztlicher Behandlung.

Mit einem Vollrausch in eine Klinik eingeliefert werden jährlich rund 50 Senioren im Landkreis. "Viele verleugnen ihr Alkoholproblem und gehen wegen anderer Beschwerden wie Verletzungen oder Magen-Darm-Beschwerden zum Arzt."

Mit zunehmendem Alter vertrage man zudem weniger Alkohol, unter anderem, weil der Wasseranteil im Körper sinkt. Auch die Leber brauche mit steigendem Alter länger, um den Alkohol abzubauen.