Ein zerbrochener Spiegel als Sinnbild für die Narben, die sexueller Missbrauch auf der Seele des Opfers hinterlässt: Auch bei der jungen Frau, die gestern vor dem Rottweiler Landgericht als Zeugin aussagt, sind noch nicht alle Wunden verheilt. Foto: freepik.com

Junge Frau bricht erst als 16-Jährige ihr Schweigen. Angeklagter begründet "schwache Momente" mit gesundheitlichen Problemen.

Kreis Rottweil - Zehn Jahre dauert es, bis eine junge Frau den Mut findet, den Mann anzuzeigen, der sie als Kind sexuell missbrauchte. Gestern wurde der Täter verurteilt.

Gerade mal sechs bis sieben Jahre ist das Mädchen alt, als der Angeklagte sie das erste Mal – irgendwann zwischen 2001 und 2003 – unsittlich am Oberkörper berührt. Als der Vater des Kindes für einen kurzen Augenblick die Wohnung in Baiersbronn (Kreis Freudenstadt) verlässt, um seine Ehefrau von der Arbeit abzuholen, vergreift sich der damals 40-jährige Freund der Familie an der kleinen Tochter seines Arbeitskollegen. Der zweite Fall, der dem gelernten Forstwirt vorgeworfen wird, ereignet sich zwei bis drei Jahre später. Dieses Mal begibt sich das inzwischen acht- bis neunjährige Kind in die Wohnung des Angeklagten, die direkt über derjenigen ihrer Eltern liegt. Der Mann hatte ihr zuvor versprochen, ihr einige "Diddl-Blätter" zu zeigen, die sie damals sammelt. Als das Mädchen auf seinem Sofa sitzt, missbraucht er das Kind erneut sexuell.

Heute, über zehn Jahre nach der ersten Tat, muss sich der inzwischen 52-Jährige vor der Ersten Großen Jugendkammer des Rottweiler Landgerichts verantworten. Zehn Jahre – so lange hat das heute 18-jährige Opfer gebraucht, um sich zu überwinden und die belastenden Vorfälle zur Anzeige zu bringen. Dies habe ihr "Erleichterung" verschafft, schildert die junge Frau, die in der Verhandlung als Nebenklägerin auftritt und als Zeugin aussagt, erstaunlich selbstbewusst vor Gericht. Denn erst, nachdem sie sich mit 16 Jahren getraut hat, zur Polizei zu gehen, erzählt sie ihren ahnungslosen Eltern von den Vorfällen. Nur dem Vater, der im Prozess als Zeuge aussagt, will irgendwann aufgefallen sein, dass seine Tochter, die stets ein "kumpelhaftes" Verhältnis zu seinem Arbeitskollegen gehabt hatte, plötzlich immer den Raum verlässt, sobald dieser zu Besuch kommt. "Ich hätte das damals hinterfragen sollen", sagt der 48-Jährige aus, der sich, genau wie seine Ehefrau, "große Vorwürfe" macht.

Videovernehmung erspart Schülerin nochmalige Aussage

Die Schülerin leidet, trotz ihrer nach außen hin selbstsicheren Art, bis heute an den Ereignissen in ihrer frühen Kindheit. Sie müsse immer wieder daran denken, sagt sie. Als das polizeiliche Video mit ihrer Aussage bei der Beweisaufnahme abgespielt wird, sitzt sie starr davor; zuvor, als sie ihre heutige Verfassung schildert, kommen ihr kurz die Tränen. In psychologische Behandlung hat sich die junge Frau dennoch ganz bewusst nicht begeben: "Ich will selbst damit klarkommen", erklärt sie.

Der Angeklagte, der von Beginn an geständig ist, begründet seine "schwachen Momente", wie er sagt, mit seiner gesundheitlichen Verfassung. Vor 22 Jahren erkrankt er an Diabetes mellitus, leidet an starkem Übergewicht. Die Krankheit wirkt sich auch auf seine Sexualität aus: "Ich bin impotent", gibt der 52-Jährige zu, der sichtlich beschämt und nervös auf der Anklagebank sitzt. Er habe vor den Taten "ein bis zwei Bier getrunken", was ihn "enthemmt" habe; und da sei er "neugierig" geworden, "ob sich da noch mal was tut". Er bereue sein Verhalten aufrichtig, schildert der Mann, der aufgrund seiner Erkrankung mittlerweile von einer Erwerbsminderungsrente lebt.

Einigung bringt Vergleich in Höhe von 5000 Euro

Nachdem sein Opfer ihn angezeigt hat, schreibt er der jungen Frau und deren Eltern einen Entschuldigungsbrief mit dem Angebot, die Taten durch die Zahlung von Schmerzensgeld wiedergutzumachen – vergeblich. Erst vor Gericht, während der Hauptverhandlung, einigen Täter und Opfer sich auf einen Vergleich in Höhe von 5000 Euro. Sollte der Mann es schaffen, die Hälfte des Betrags innerhalb von drei Monaten nach dem Urteil zu entrichten, entfällt die andere Hälfte.

Seine Bemühungen, den Fall möglichst rasch abzuschließen, sprechen am Ende zugunsten des Angeklagten. Das Gericht berücksichtigt laut des Vorsitzenden Richters Frank Fad auch unter anderem das frühe Geständnis sowie die Tatsachen, dass der Mann sich freiwillig in psychiatrische Behandlung begeben hat und nicht vorbestraft ist. Der bei der Verhandlung anwesende psychiatrische Gutachter bescheinigt dem 52-Jährigen deshalb eine günstige Prognose, nicht erneut straffällig zu werden. Das Urteil lautet auf eine elfmonatige Freiheitsstrafe auf Bewährung.