Geschichte: Raphael Shapiro aus Australien feiert Bar Mizwa in Rottweil, der Heimat seines Urgroßvaters

Rottweil. "Es ist ergreifend, wenn man durch die Straßen geht und überlegt, dass sie vermutlich nicht viel anders aussahen damals, als mein Großvater hier lebte", sagt Mark Shapiro sichtlich bewegt. Er ist Jude und lebt mit seiner Familie in Australien. Seine Wurzeln hat er in Rottweil. Sein Großvater Willy Brandenburger ist hier geboren und aufgewachsen.

Sie freuen sich in Rottweil sein zu können und plaudern munter drauf los: Asher Shapiro spricht wenige Worte deutsch, sein Sohn Mark und sein Enkel Raphael indes nur englisch. Der Rottweiler Familienzweig war bereits im Jahr 1934 nach Südafrika ausgewandert, der andere Zweig wurde offenbar großteils Opfer des Holocaust.

Mark Shapiro habe viel Zeit mit seinem Großvater Willy Brandenburger verbracht, erzählt er. Er kam 1904 in Rottweil zur Welt. Doch über sein Leben in Deutschland habe sein Großvater leider nie gesprochen, bedauert er. "Das ist ganz normal", erklärt Tatjana Malafy, die Geschäftsführerin der Jüdischen Gemeinde in Rottweil. Aufgrund der Gräueltaten hätten die Exiljuden auch kein Deutsch mehr gesprochen. Jetzt ist die Familie Shapiro erstmals in Deutschland. Auf der Suche nach den jüdischen Wurzeln. Aber nicht nur das. Raphael, der älteste Sohn der Shapiros hat dieser Tage in der Rottweiler Synagoge seine Bar Mizwa gefeiert. In der Heimat seines Urgroßvaters. Die Bar Mizwa gilt als eines der wichtigsten Ereignisse im religiösen Leben eines jüdischen Mannes. Ab dem 13. Geburtstag hat ein Bub alle Rechte und Pflichten eines erwachsenen Gemeindemitglieds. Er darf beispielsweise erstmals aus der Tora lesen. Für Tatjana Malafy war das Ereignis sehr bewegend: "Es war unsere erste Bar Mizwa hier in der neuen Synagoge. Und dass die Familie Shapiro extra aus Australien nach Rottweil kam, um dieses große Fest hier in der Heimat des Urgroßvaters zu feiern, ist ganz wunderbar", freut sie sich.

Viel weiß Mark Shapiro zunächst nicht über Willy Brandenburger. Auf einer alten Postkarte, die offenbar an seinen Urgroßvater adressiert war, den Kaufmann Louis Brandenburger, steht die Adresse Hochbrücktorstraße 4. Mark Shapiro forscht nach und ist erfreut und überrascht, als er eine Gedenktafel an dem Haus entdeckt, in dem seine Familie einst lebte und ein Textilgeschäft betrieb. In den Informationen zu dem Haus erfährt er eine ganze Menge über seine Familie. So starb sein Urgroßvater Louis Brandenburger am 1. Juli 1938 in Stuttgart, wohin er 1936 mit Ehefrau Sidone und Sohn Gustav gezogen war. Sohn Willy war bereits 1934 nach Südafrika ausgewandert.

Die Familie Shapiro sei jetzt nach Deutschland gekommen, "um ein Gefühl für das Land zu bekommen", erklärt Mark Shapiro. "Es ist ein phantastisches Erlebnis", schwärmt auch der 13-jährige Raphael. "Hier sein zu dürfen berührt mein Herz", sagt er. Deutschland habe aktiv an einer Versöhnung mit den Juden gearbeitet, sagt Mark Shapiro. "Deutschland hat sehr gut an seinem schlechten Erbe gearbeitet", betont er. Die Familie sei jetzt hier, um nach den Wurzeln zu suchen und ein wenig über ihre Geschichte zu erfahren.

Über das Internet habe Mark Shapiro recherchiert und dann vieles über den Bau der Synagoge in Rottweil gelesen, erzählt er. Irgendwann habe er dann mit Tatjana Malafy Kontakt aufgenommen, die gleich von seiner Idee, nach Rottweil zu kommen, begeistert war. Am Wochenende nun hatte Raphael sein großes Fest, das er mit seiner Familie und der jüdischen Gemeinde zusammen feierte. Auch seine Tanten und Cousins aus London waren zu diesem großen Ereignis angereist. Für Raphael ein bleibendes Erlebnis. Er freut sich bereits auf seinen nächsten Besuch in spätestens vier Jahren, wenn sein kleiner Bruder Gabriel hier seine Bar Mizwa feiern wird.