Das Urteil wird erst nächste Woche gefällt. Foto: Nädele Foto: Schwarzwälder-Bote

Niedersachsen erleben Hilfsbereitschaft

Von Verena Schickle

Kreis Rottweil. Wer denkt, Urlauber könnten nur in der Ferne etwas erleben, muss mit Familie Weitkamp sprechen. Die wohnt in Niedersachsen, verbringt die schönsten Tage des Jahres aber gern im Schwarzwald. Überraschungen inklusive.

"Auch in diesem Jahr waren wir (Eltern, zwei Mädchen und Hund ›Fiete‹) sowie Autodachbox im Urlaub im Schwarzwald", berichtet Detlef Weitkamp aus Melle. Wobei der Dachbox in der Geschichte eine besondere Rolle zukommt.

Ihr Urlaubsdomizil sei eine Ferienwohnung im Eselbach gewesen. Der Weiler gehört zu Aichhalden. Dort, schreibt der Norddeutsche, hätte sich seine Familie rundum "sehr wohl gefühlt". Normalerweise leben die fünf in Melle, einer Stadt mit rund 46 000 Einwohnern im Landkreis Osnabrück.

An einem Donnerstag, genauer dem 6. August, machte sich die Familie auf den Weg, um Freunde in Bösingen zu besuchen. "Kurz vor Bösingen grüßte uns, vollkommen übertrieben die Arme schwingend, eine Radfahrerin", erzählt er weiter. Damit konnten die Niedersachen nun wiederum überhaupt nichts anfangen. Bis sie in Bösingen ankamen und feststellten, was die auffälligen Gesten der Frau zu bedeuten hatten: "Ich hatte die Dachbox bei unserer Abfahrt nicht verschlossen", stellte der 58-Jährige mit Schrecken fest. Der Inhalt derselben hatte sich in der Folge unterwegs deutlich verringert. Also machte die Familie kehrt, und fuhr die Strecke zurück.

Am Ortsausgang von Bösingen habe dann ein junger Mann mit seinem Auto vor ihnen angehalten. Er habe zuerst an eine Polizeikontrolle gedacht. Seinen Töchtern schossen offenbar ganz andere Gedanken durch den Kopf: "Meine Mädchen sahen nur den gut aussehenden jungen Mann", sagt der Familienvater. Auch dieser Fremde hatte eine Botschaft für die Weitkamps: Die verlorenen Gegenstände lägen, von einer Radfahrerin ordentlich gestapelt, in zwei Kilometern Entfernung am Straßenrand.

So sei es denn auch gewesen, berichtet der Niedersachse und findet: "Glück gehabt – nette Leute waren zur richtigen Zeit für uns da!"

Weitere Informationen: Weil die Weitkamps den Namen dieser hilfsbereiten Zeitgenossen nicht kennen, aber trotzdem danke sagen wollen, haben sie sich an den Schwarzwälder Boten gewandt. Die Familie würde sich auch gern persönlich bedanken. Den Kontakt kann die Redaktion Rottweil, E-Mail redaktionrottweil@schwarzwaelder-bote.de und Telefon 0741/53 18 40, herstellen.

Von Dunja Smaoui

Kreis Rottweil/Horb. Am dritten Verhandlungstag im Fall der Horber Brandstifters, der im Februar 2014 seinen Vater zusammengeschlagen haben soll und danach dessen Haus in Brand setzte, haben sich im Landgericht Rottweil gestern nochmals neue Erkenntnisse ergeben.

Die große Kammer fühlt dem angeklagten 52-Jährigen näher auf den Zahn. Immer genauer wollen die Richter das prekäre Verhältnis zwischen Vater und Sohn erörtern. Doch irgendwann macht der Angeklagte dicht, dreht sich weg, ist sichtlich überfordert. "Ich kann dazu nichts mehr sagen", sagt er, und seine Augen blicken hektisch durch den Raum. "Ich weiß nicht, worauf Sie hinaus wollen." Über seinen Vater zu sprechen belaste ihn sehr und rege ihn auf.

Im weiteren Verlauf des Gesprächs mit ihm und zusätzlich befragten Zeugen aus der Nachbarschaft wird außerdem deutlich, dass die damalige hohe Stromrechnung von 1200 Euro eine entscheidende Rolle gespielt haben muss. So habe sich der 79-jährige Vater an einen Elektromeister aus der Nachbarschaft gewandt, der einen Zähler im Haus einbauen sollte. Über die Rechnung sei er aufgebracht gewesen, so die Zeugen.

Als Nächstes gibt die Mutter des Angeklagten am gestrigen Vormittag Einblicke in die Kindheit des Mannes, der seinen Vater im Februar 2014 zusammengeschlagen haben soll. Die 77-Jährige berichtet immer wieder von gewalttätigen Situationen mit ihrem Ex-Mann. "Er hat mich und die Kinder oft geschlagen", sagt sie. Dafür habe er auch Gegenstände verwendet.

Als sie einen Konflikt beschreibt, in dem der Ex-Mann mit einem Messer auf den ältesten Sohn eingestochen haben soll, bricht sie in Tränen aus. Die Erinnerungen daran belasten sie stark. Ein Blick zum Angeklagten zeigt: Bei ihm sieht es nicht anders aus, denn auch er wischt sich Tränen von den Wangen.

Das Bild über ihren Sohn wirkt indes verzerrt, was im Laufe der Verhandlungen auch der psychiatrische Sachverständige bestätigt. "Der hat seinen Vater nicht verprügelt", sagt sie fassungslos. "Vorher wäre es andersrum gewesen." Immer wieder bestätigt sie die Aggressivität des Ex-Mannes.

Auf die Fragen zur Persönlichkeit ihres Sohnes, betont die zierliche Frau dagegen wiederholt, dieser sei ein ruhiger Mensch, könne Lärm nicht ertragen und lebe lieber für sich. Komisch finde sie das nicht. Es sei sein Naturell. Die Verbindung zu ihr sei jedoch stets positiv und eng gewesen.

Zuletzt äußerst sich der psychiatrische Sachverständige zu dem Angeklagten, mit dem er mehrfache Gespräche geführt hat. In seinen detaillierten Ausführungen über die Lebensgeschichte des Beschuldigten kommt er zu einer entscheidenden Erkenntnis, die die große Kammer so nicht erwartet hat: "Für mich besteht kein Zweifel, dass der Angeklagte an einer paranoiden Schizophrenie erkrankt ist", sagt er. Während der 52-Jährige die Taten beging, habe er unter einer akuten Psychose gelitten und habe seine Handlungen nicht mehr steuern können.

Der Sachverständige liefert Beweise, die dafür sprechen. Die Schizophrenie sei schleichend entstanden und solle sich bereits in Jugendjahren bei dem Angeklagten abgebildet haben. Er selbst stufe sich nicht als "krank" ein, was ebenfalls "ein deutliches Zeichen für eine Schizophrenie" sei. Keine Erinnerung an den Vorfall, Fluchtverhalten am Tatort und Wahnvorstellungen, dass es sich "bei dem Vater um den Teufel" handele, erklärten laut Psychiater den Tatvorgang.

Die Kammer ist indes skeptisch. "Mir leuchtet nicht ein, dass Sie es nicht für wahrscheinlicher halten, dass die Motive rein psychologisch motiviert waren", sagt einer der Richter. Er ist der Meinung, bei dem Angeklagten könne es sich ebenso um eine Eskalation handeln, nachdem sich 40 Jahre Wut aufgestaut haben könnten.

Der Sachverständige bleibt jedoch auch nach langer Diskussion mit dem Richter über die möglichen Ursachen bei seinem Standpunkt. "Ich erlebe ihn nach meinen Untersuchungen einfach anders und glaube, er hätte sich in gesunden Tagen in so einer Situation zurückgezogen", sagt er.

Weiterhin fügt er hinzu, dass sich die psychische Lage des Angeklagten seit dem Vorfall erstaunlich gebessert habe. Dies liege vor allem daran, dass er medikamentös behandelt werde, ein stabiles Umfeld in der sozialen Einrichtung habe und der Kontakt zu seinem Vater nicht mehr vorhanden sei. "Ich erwarte nicht, dass er weitere Straftaten begeht", so der Psychiater.

Nach diesem Tag bleiben viele Aussagen, neue Erkenntnisse und Uneinigkeiten über den tatsächlichen Vorfall vom 2. Februar 2014. Die Kammer berät sich nochmals und entscheidet: "Aufgrund der neu eingetretenen Diskussion, werden wir die Plädoyers auf nächsten Dienstag verschieben."