Horst Lipinski vom Landratsamt Tübingen und Maria Wespel, die Gründerin der Kontaktgruppe, im Gespräch bei der Feier zum 40-jährigen Bestehen. Foto: Baum Foto: Schwarzwälder Bote

Jubiläum: Kontaktgruppe Rottenburg feiert 40-jähriges Bestehen / Zur Entstigmatisierung beigetragen

Inklusion für psychisch kranke Menschen forderte die Oberärztin der Uniklinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Friederike Wernz im Rahmen des 40-jährigen Jubiläums der Kontaktgruppe für psychisch kranke Menschen.

Rottenburg. Zudem sprach sie sich für eine Gleichstellung psychischer Krankheiten mit körperlichen Erkrankungen aus. Auch sei es wichtig, dass psychisch Erkrankte in das Arbeitsleben integriert würden.

Wilfried Zeller, als Psychiater und Psychotherapeut jahrelanger Begleiter der Kontaktgruppe, sieht in der Arbeit der Kontaktgruppe einen wichtigen Aspekt im sozialpsychiatrischen Netz in Rottenburg. Er gab seiner Hoffnung Ausdruck, dass es auch nach dem Aufhören von Maria Wespel, der Gründerin der Kontaktgruppe, diese auch noch weitere 40 Jahre geben wird. Zeller betonte, dass die Kontaktgruppe für Menschen mit psychischen Erkrankungen in der Region sehr wichtig sei. Viele Mitglieder kämen auch aus Horb und aus den umliegenden Städten und Gemeinden sowie aus dem gesamten Landkreis Tübingen. "Die Leute erleben, dass sie gesehen werden – in der Gruppe und in der Stadtgemeinde", was ein wichtiges Grundbedürfnis sei und auch Voraussetzung, Identität auszubilden.

"Die Kontaktgruppe füllt nicht nur Nischen", so der Experte. Als er vor mehr als 20 Jahren in Rottenburg seine Praxis eröffnete, sei Maria Wespel die Erste gewesen, die ihn angerufen habe und ihn gebeten habe, ihn ins Leben der Kontaktgruppe einbeziehen zu dürfen.

Nun referiert er gemeinsam mit den kirchlichen Seelsorgern und mit Experten und Fachleuten auf dem Gebiet der Psychiatrie und Psychotherapie regelmäßig bei den Montagstreffen der Kontaktgruppe.

Auch Friederike Wernz referiert immer wieder bei den Gruppenabenden. Über viele Jahre schenkte Wernz den Mitgliedern der Kontaktgruppe auch eine Supervision und sei immer eine wertvolle Hilfe in Krisen- und Notsituationen gewesen, so Wespel. Wernz betonte, dass sich in den vergangenen 40 Jahren das Arzt-Patienten-Verhältnis verändert habe – weg vom "Schubladendenken" und dem Von-Symptomen-auf-eine- Krankheit-schließen hin zum zuhören: "Wie ein Freund, und den Mensch in seiner Einmaligkeit erfahren." So könne man zur Beruhigung des Patienten beitragen. Beides aber sei nach wie vor wichtig – die Behandlung der Symptome, eine Diagnose und auch das Zuhören und sich dem Kranken zuwenden.

Die Kontaktgruppe für psychisch erkrankte Menschen habe unter anderem zur Entstigmatisierung betroffener Menschen beigetragen. Wernz forderte entschieden eine Teilhabe und Inklusion für psychisch kranke Menschen. Diese sollten, soweit möglich, ein Leben nach ihren eigenen Vorstellungen führen können. Doch es wäre unethisch, die Kranken ihrem Kranksein zu überlassen. Daher seien Hilfen und auch Institutionen wie die Kontaktgruppe sehr wichtig.

Bei der Ausgestaltung psychischer Hilfen stehe die Psychiatrie im Spannungsfeld zwischen rechtlich verbriefter großer Freiheit und den Interessen psychisch Kranker sowie dem Schutz der Patienten. Daher seien Orte wie die Kontaktgruppe so wichtig, da hier auch nach einem Psychiatrie-Aufenthalt eine Anlaufstelle da sei. Auch für Angehörige psychisch kranker Menschen bietet die Kontaktgruppe immer wieder Informations- und Austauschabende an, betonte Maria Wespel. Sie begrüßte zu Beginn des Festaktes neben den rund 35 Mitgliedern der Kontaktgruppe und den Fachleuten aus dem Bereich Psychiatrie und Psychotherapie auch Experten von seelsorgerlicher Seite, so der evangelische Pfarrer Tilman Just-Deus und Dompfarrer Harald Kiebler.

Eröffnet wurde der nachdenklich stimmende Festnachmittag von der Gründerin der Kontaktgruppe Rottenburg, Maria Wespel. Sie ließ die vergangenen 40 Jahre und auch die Entstehungsgeschichte Revue passieren. Wespel hatte vor Gründung der Kontaktgruppe als Krankenschwester in der Tübinger Nervenklinik gearbeitet. Sie wollte mit der Gründung der Kontaktgruppe dazu beitragen, dass Menschen mit psychischer Erkrankung ein Stück Heimat bekommen und auch die Möglichkeit zum Austausch, zur Weiterbildung und zur Begegnung haben.

Im Laufe der Zeit gehörten der Kontaktgruppe mehr als 300 Mitglieder an. Wespel forderte, dass Kirchen und auch die Stadt psychisch kranken Menschen Arbeitsplätze anbieten sollten.

Oberbürgermeister Stephan Neher erklärte in seinem Grußwort, dass dies bereits der Fall sei. Rund 25 Menschen mit psychischen Erkrankungen würden derzeit bei der Stadt arbeiten.

Weitere Grußworte sprachen der Sozialdezernent beim Landratsamt Tübingen, Horst Lipinski sowie Henner Giedke, Psychiater aus Mössingen. Auch Giedke gehört zu den regelmäßigen Referenten der Kontaktgruppe.

Ein gemütliches Zusammensein bei Kaffee und Kuchen rundete den Jubiläumsnachmittag ab.

Wespel will zu Weihnachten die Kontaktgruppe abgeben und das Amt der Leitung in jüngere Hände legen. Die 75-Jährige betonte, es sei Zeit, aufzuhören.