Darf der Angeklagte wieder nach Rottenburg ziehen? Darüber muss das Gericht entscheiden. (Symbolbild) Foto: dpa

Prozess: Mann terorrisiert Verwandte. Darf Angeklagter Psychiatrie verlassen?

Rottenburg/Tübingen - Eine italienische Großfamilie in Rottenburg lebt nach sieben Sachbeschädigungen, einer Brandstiftung und einem versuchten Totschlag in Angst. Vor dem Landgericht Tübingen entscheidet sich, ob ihr 38-jähriger Verwandter, der für die Taten verantwortlich gemacht wird, weiterhin in der Psychiatrie bleiben muss.

Rund ein halbes Jahr lang ist der 38-jährige Mann aus Rottenburg in psychiatrischer Behandlung gewesen, seitdem er im Juni und Juli vergangenen Jahres in Rottenburg mehrmals Autoreifen zerstach, dreimal die Scheibe eines Wohnhauses einwarf und eine hölzerne Haustüre in Brand setzte. Weil ihm auch ein Messerangriff zur Last gelegt wird, lautet der schwerwiegenste Vorwurf versuchter Totschlag.

Richter Ulrich Polachowski stellt im Prozess jedoch klar: Es handelt sich nicht um einen Strafprozess, sondern nur um die Entscheidung, ob der Angeklagte wieder aus der Psychiatrie entlassen werden kann und zurück nach Rottenburg ziehen darf. Die meisten seiner Taten richteten sich gegen weitläufige Verwandte des Mannes in Rottenburg – eine italienische Großfamilie.

Der Angeklagte sagte vor Gericht: "Ich habe von morgens bis abends Stimmen in meinem Kopf gehört." Sogar seine damals laufende Umschulung habe er abbrechen müssen, da die Stimmen ihn zu sehr abgelenkt hätten. Als er nicht mehr arbeitete, begann er, seine Taten zu verüben. Als er die Stimme seiner Tante hörte, die ihm gesagt habe, sie sei eine Hexe und habe ihn verflucht, zündete er mit einem Brandbeschleuniger die Eingangstüre ihres Hauses an. Er habe sich bedroht gefühlt. Heute sagt er: "Es tut mir leid. Ich war damals krank und werde so etwas in Zukunft nicht mehr machen." Er glaube auch nicht mehr, dass seine Tante ihn verhext habe.

Im Gerichtssaal wirkt der Mann ruhig, drückt seine Gedanken klar aus. Manchmal wache er morgens noch schweißgebadet auf, wenn er an die Taten zurückdenkt. Er wünsche sich ein normales Leben, in dem er wieder einer Arbeit nachgehen kann.

Seine Verwandten ängstigte der Mann im vergangenen Sommer so sehr, dass die Familie sich nach den sich wiederholenden Fällen von Sachbeschädigungen dazu entschlossen habe, regelmäßig in der Nähe ihrer Häuser mit dem Auto Streife zu fahren. "Wir waren jeden Tag unterwegs und haben uns bei den Patrouillen abgewechselt", erzählt einer der Zeugen. Einen Treffer erzielte die Streife, als sie am Kapuzinertor in Rottenburg zufällig auf den Mann trafen. Zu Viert saßen die Männer in einem Wagen, als sie den 38-Jährigen auf der Straße sahen. Der Fahrer öffnete das Fenster, hält zunächst einen Small-Talk mit dem Cousin. "Dann muss er sich wohl ertappt gefühlt haben", erzählt der Zeuge vor Gericht. "Ich sah, wie er etwas aus seiner Tasche zog." Dann habe sein Cousin ein Messer in der Hand gehabt und damit in Richtung seines Halses gestoßen. Er habe gerade noch den Kopf wegziehen können. Daraufhin hätten die vier Männer den Cousin verfolgt und gestellt. In seiner Tasche fand die Polizei die Art von Steinen, mit denen auch die Scheiben eingeworfen worden waren. Das Bild fügte sich zusammen.

Doch kann der Angeklagte jetzt wieder in einer Stadt mit seinen Verwandten leben? Die Familie möchte das nicht. Seine Tante sagt: "Ganz überwunden habe ich das noch nicht. Die Angst ist noch da." Ihre Antwort ist eindeutig: "Ich möchte nichts mehr mit ihm zu tun haben für den Rest meines Lebens. Er soll sich von unserer Familie fernhalten." Auch ihr Sohn, der Opfer der angeblichen Messerattacke ist, sagt: "Wenn er noch einmal in die Nähe meiner Familie kommt, gibt es einen Toten. Das wird noch ein sehr böses Ende nehmen." In die Diagnose, dass es dem Angeklagten nach sechs Monaten Behandlung wieder gut gehe, habe er kein Vertrauen.

Um zu einer Entscheidung zu gelangen, beteiligt sich der forensische Psychiater Stephan Bork an dem Prozess. Er verkündigt am heutigen Freitag sein Gutachten. Der Urteilsspruch ist für Mittwoch, 23. Januar, vorgesehen.