Rio de Janeiro: Diese Klippe schwebt eigentlich nur wenige Zentimeter über dem Boden. Doch nicht alle beliebten Foto-Kulissen sehen nur auf dem Bild riskant aus. Foto: dpa/Aline Massuca

Alles für die Selbstdarstellung? Für einen abenteuerlichen Hintergrund sind Abgründe, Bahnschienen und Wasserfälle offenbar gerne gesehen. Manchmal mit fatalen Folgen. Eine Auswahl der gefährlichsten Selfie-Kulissen der Welt.

Je spektakulärer das Selfie, desto besser– potenziell aber auch tödlich. Denn auf der Suche nach dem perfekten Motiv scheint selbst Lebens- und Verletzungsgefahr manche nicht abzuschrecken. Von den steilen Klippen in Norwegen bis hin zur berüchtigten „Train Street“ in Vietnam: Vor entsprechendem Hintergrund vernachlässigen Menschen immer wieder ihre eigene Sicherheit. Eine Auswahl von Orten aus aller Welt, an denen ein Foto mit Risiko einhergeht:

Harihar Fort in Indien

Steiler Abgrund: Vor allem bei Nässe ist ein Selfie riskant. Foto: privat/Akshay Sunil Patil

Ein beliebter Selfie-Ort in Indien ist der steile Weg zum Harihar Fort im Bundesstaat Maharashtra. Der Aufstieg reizt viele gerade in der Regenzeit, wenn die Steinstufen, die hier direkt in den fast 80 Grad senkrechten Felsen gehauen sind, rutschig sind und der Wind stark bläst. Wegen des Risikos und Adrenalinschubs, kommentieren einige Menschen auf der Plattform „Trip Advisor“. „Der Abstieg ist schwieriger als der Aufstieg, weil wir dann sehen können, wohin wir fallen, wenn wir ausrutschen“, schreibt einer der Nutzer. Akshay Sunil Patil, der ganz in der Nähe lebt, sagt, dass er Abenteuersport und „aufregende Orte“ wie Harihar Fort liebe. Angst habe er dabei nicht.

In Indien sterben einer Studie zufolge viele Menschen beim Versuch, Selfies zu machen. Forscher der indischen Universitätskrankenhaus-Kette AIIMS berichteten 2018 auf Grundlage einer weltweiten Zeitungsauswertung, es habe zwischen Oktober 2011 und November 2017 weltweit 259 Todesfälle beim Selbstfotografieren gegeben - etwa die Hälfte davon in Indien.

Klettersteig am Donnerkogel in Österreich

Die Aussicht ist nicht nur bei Bergsteigern beliebt. Foto: Salzburger Bergsportführerverband/Wolfgang Russegger

Nicht alle Besucher des Klettersteiges am Donnerkogel sind qualifiziert für die Bergtour – viele scheinen auch nur für die fotogene „Himmelsleiter“ zu kommen. „Die Leute wissen nicht, worauf sie sich einlassen. Es ist ein Wahnsinn“, sagt der Ausbildungsleiter der Alpinpolizei Oberösterreich, Kurt Arnold. Der Steig im Salzkammergut gilt auch für erfahrene Alpinisten als schwer, auf der rund 40 Meter langen Himmelsleiter schwebt man rund 100 Meter über einer Schlucht.

„An manchen Sommertagen stehen 50 Leute an der Einstiegsstelle“, sagt Arnold. Einige hätten dem Alpinpolizisten zufolge nicht einmal die unbedingt nötige Klettersteigausrüstung dabei. Auf Instagram sind Posts zu finden, an denen sich Wagemutige aus Gründen der Selbstinszenierung mit nur einem Arm an eine Sprosse hängen. Gut 6500 Beiträge unter dem Hashtag „Donnerkogel“ lassen sich finden. „Es gibt immer Nachahmer“, kritisiert Arnold das Verhalten. Zuletzt starb ein Brite auf dem Steig, andere Touristen mussten erschöpft geborgen werden.

„Pedra do Telégrafo“ in Rio de Janeiro

Die Klippe ist die perfekte Kulisse für ein abenteuerliches Bild. Foto: dpa/Aline Massuca

Der Felsen von „Pedra do Telégrafo“, eine Klippe auf 350 Metern Höhe mit Ausblick auf Küstenstrände, Bergketten und den atlantischen Regenwald, ist ein beliebter Ort für Fotos. Kopfüber an der Klippe hängend lassen sich Besucher gerne ablichten – auch einarmige Klimmzüge oder Turnübungen auf dem Felsen sind beliebt.

Das Motiv ist aber längst nicht so gefährlich, wie es aussieht. In Wahrheit befindet sich der Felsen nur wenige Zentimeter über dem Boden. Die Fotos erwecken nur aus bestimmten Blickwinkeln den Eindruck, die Person würde am Rande eines Abgrunds stehen. Dennoch gab es im September 2023 einen Vorfall, der tragisch hätte enden können: Zwei Männer gerieten aufgrund eines Fotos aneinander und stürzten eine kurze Strecke den Hügel hinunter. Nur weil einer von ihnen darum bat, den Streit zu beenden, konnte Schlimmeres verhindert werden.

In Rio de Janeiro kommt es bei dem Versuch, an felsigen Küsten, Hängen, Aussichtspunkten und Wasserfällen zu fotografieren, immer wieder zu Todesfällen. 2022 starben dabei im Bundesstaat einer Untersuchung der Feuerwehr zufolge 16 Menschen.

„Train Street“ in Vietnam

Zwei Touristen posieren vor der Absperrung der Gleise. Nicht alle sind so vorbildlich. Foto: dpa/Chris Humphrey

Offiziell ist die berühmte „Train Street“ in Vietnams Hauptstadt Hanoi seit Jahren für Besucher gesperrt. Dennoch überwinden Touristen immer wieder die Barrieren mit großen Warnschildern, um an der fotogenen Zugtrasse, die zwischen engen Häuserblocks hindurchführt, Selfies zu schießen. In der Vergangenheit gab es mehrmals Zwischenfälle: Einmal musste ein Zug eine Notbremsung machen, um nicht mit Besucherscharen zu kollidieren. 2022 war ein Urlauber aus Südkorea von einem langsam fahrenden Zug gestreift worden. Er hatte Glück und wurde nur leicht verletzt.

Ein Rückblick: Angezogen von spektakulären Fotos im Internet waren seit 2018 immer mehr Schaulustige angereist. Die „Train Street“ wurde zum Instagram-Hotspot. Cafés und Souvenirstände öffneten, Anwohner bauten Essensstände auf, Restaurants stellten in der „zugfreien“ Zeit sogar Tische direkt auf die Schienen. Schließlich sperrten die Behörden die Sehenswürdigkeit wegen der großen Gefahren. Die Zugtrasse stammt aus der französischen Kolonialzeit. Noch heute spielt sie eine wichtige Rolle für einheimische und ausländische Reisende. Wenn ein Zug kommt, werden die Barrieren kurzzeitig abgebaut.

Iguazu-Wasserfälle in Südamerika

Der Strom der Wasserfälle ist stark. Hineinfallen sollte man auch beim Selfies schießen nicht. Foto: XinHua/Wang Tiancong

Die weltberühmten Iguazu-Wasserfälle an der Grenze zwischen Brasilien und Argentinien sind eines der gigantischsten Naturwunder der Welt. Schon von Weitem hört man das Grollen der 20 größeren und über 250 kleineren Wasserfälle, die zu einer der wichtigsten Touristenattraktionen der Region gehören. Auf den Rundwegen warnen Hinweisschilder vor dem Klettern auf den Geländern. Doch einige Touristen scheint das für das vermeintlich perfekte Foto nicht abzuschrecken - 2022 mit fatalen Folgen.

Ein Besucher setzte sich auf eines der Geländer, um ein Foto zu machen, wie Feuerwehrmann Walter Barreiro in einem Interview des argentinischen Nachrichtensenders „TN“ erzählt. „Der Mann verlor das Gleichgewicht und fiel in den Fluss.“ Die Wassermassen hätten ihn in Sekundenschnelle unter Wasser gezogen. Der durchschnittliche Wasserdurchfluss beträgt nach Angaben des Parks 1,8 Millionen Liter Wasser pro Sekunde.

Fjordlandschaften und Islands Naturspektakel

Steinbrücke auf der Snaefellsnes Halbinsel: Vorsicht bei Regen! Foto: dpa/Steffen Trumpf

Die hohen Klippen und Gesteinsformationen im Norden Skandinaviens sind spektakuläre Kulisse für ein Foto: Etwa der Preikestolen und der Kjeragbolten in Norwegen oder die Steinbrücke im isländischen Arnarstapi. Gefahr droht auf dem Gestein vor allem immer dann, wenn es - wie so häufig in Skandinavien - regnet, stürmt oder schneit.

Auch die fotogenen Vulkangebiete auf der südwestisländischen Reykjanes-Halbinsel Islands können gefährlich sein. Nach dem jüngsten Ausbruch Ende vergangenen Jahres nahe dem Ort Grindavík musste ein Mann der Polizei zufolge mit einem Hubschrauber gerettet werden, nachdem er sich allein auf die lange und aufreibende Wanderung zum Eruptionsort gemacht hatte. Bei einem vorherigen Ausbruch sorgten Fotos von Schaulustigen, die gar in die unmittelbare Nähe eines Kraters geklettert waren, dafür, dass die Behörden die Gegend vorübergehend für die Öffentlichkeit schlossen.

Um Reisende für die Risiken der isländischen Natur zu sensibilisieren, hat die Tourismusbehörde Visit Iceland vor einigen Jahren eine besondere Kampagne gestartet: Touristen können den „Icelandic Pledge“ abgeben, eine Art Online-Gelübde, keine Dummheiten während der Island-Reise zu begehen. In Regel Nummer Drei heißt es dabei: „Ich werde zum Sterben schöne Fotos machen, ohne für sie zu sterben.“