Der Notzarzt kommt in der Region Stuttgart häufig zu spät. Foto: Daniel Moritz

In der Region kommen Notärzte in vier von fünf Fällen nicht in der vorgeschriebenen Zeit.

Stuttgart/ Ludwigsburg - Bei der medizinischen Versorgung von Notfallpatienten besteht in der Region ein eklatanter Nachholbedarf: Sowohl in Stuttgart als auch in den Nachbarkreisen kommt der Notarzt regelmäßig zu spät, in ländlichen Gebieten ist ein rechtzeitig am Einsatzort eintreffender Rettungsdienst teilweise schon eine Ausnahme.

Höchstens zehn Minuten nach dem Hilferuf eines verunglückten Patienten sollte ein Notarzt an Ort und Stelle sein, um medizinische Hilfe zu leisten. In Ausnahmefällen lässt das Rettungsdienstgesetz auch eine Alarmierungszeit von 15 Minuten zu. Spätestens dann aber müssen Unfallopfer oder Herzinfarkt-Patienten auch ärztlich versorgt werden - im Ernstfall entscheiden wenige Minuten über Leben und Tod.

Die Realität im Rettungsdienst sieht aber ganz anders aus: Kein einziger Landkreis in der Region Stuttgart kann die Hilfsfristen für Notarzt-Einsätze erfüllen, auch in der Landeshauptstadt selbst halten die Lebensretter die gesetzlich vorgeschriebene Quote nach wie vor nicht ein. Allein im Jahr 2009 kam der Notarzt in Stuttgart in 620 Fällen zu spät an den Unfallort - obwohl sich die Einsatzbilanz durch die personelle Aufstockung der Rettungswachen deutlich verbessert hat, gibt es immer noch ein Defizit.

Noch weitaus dramatischer ist die Lage allerdings in eher ländlich geprägten Randgebieten der Region. Aktuelle Zahlen der Rettungsleitstelle für den Landkreis Ludwigsburg belegen, dass der Notarzt etwa in Oberstenfeld bei mehr als der Hälfte aller Einsätze zu spät kam. In Vaihingen an der Enz liegt die Quote nur bei 72 Prozent, in Gerlingen bei 76 Prozent. In der Strohgäu-Gemeinde Hemmingen waren die Helfer nur in 44 Prozent der Fälle rechtzeitig beim Patienten. Absolutes Schlusslicht aber ist die 6200 Einwohner zählende Gemeinde Eberdingen - im Schnitt der vergangenen vier Jahre erreichte der Notarzt sein Ziel nur in 18,6 Prozent der Fälle in der gesetzlich vorgegebenen 15-Minuten-Frist.

Verunsicherung in betroffenen Gemeinden

"Es ist beängstigend, wie schlecht die medizinische Versorgung im Ernstfall ist", klagt der Hemminger Landtagsabgeordnete Wolfgang Stehmer (SPD). Durch beharrliche Nachfragen beim Stuttgarter Sozialministerium hat der langjährige Feuerwehrmann die traurige Einsatzbilanz überhaupt erst ans Tageslicht gebracht. Das Land gab bislang stets nur kreisweite Einsatzzahlen bekannt, die ortsbezogenen Daten aber hielt Sozialministerin Monika Stolz (CDU) unter Verschluss. Erst eine offizielle Beschwerde bei Landtagspräsident Peter Straub über die Geheimhaltungspolitik beim Rettungsdienst brachte die gewünschte Auflistung - wobei das Ministerium ausdrücklich darauf hinwies, dass es "eine Veröffentlichung ortsbezogener Daten nicht für geeignet" hält.

Der Hintergrund der Zurückhaltung liegt auf der Hand: Wenn wie in Eberdingen nur bei einem von fünf Notarzteinsätzen die gesetzliche Hilfsfrist erfüllt wird, weckt das nicht nur Verunsicherung bei betroffenen Bürgern. Es stellt sich auch die Frage, wie es landesweit um die Alarmierungszeiten im Rettungsdienst steht - und ob die Krankenkassen als Kostenträger nicht über eine deutliche Aufstockung der Personalstellen bei den Notärzten nachdenken müssten.

Das Dilemma: Um die Notfallversorgung zu dokumentieren hat sich das Stuttgarter Sozialministerium bisher mit einer kreisweiten Einsatzbilanz begnügt - weil in Ludwigsburg oder Bietigheim die Nähe zu örtlichen Krankenhäusern für eine Traumquote sorgt, liegt die Notarzt-Hilfsfrist insgesamt bei immerhin 92 Prozent. "Es nützt einem Patienten aus dem Strohgäu herzlich wenig, wenn er nur in der Nachbarschaft der Kreiskliniken schnelle Hilfe bekommt", kritisiert Stehmer. Für Aufsehen hatte im September 2010 ein Fall aus Bönnigheim gesorgt: Als ein älterer Herr in der Stadtmitte mit einem Schwächeanfall zusammengeklappt war, dauerte es eine Dreiviertelstunde, bis ein Notarzt am Ort war - dann allerdings mit dem Helikopter.