Eine Einheit im Dressur-Viereck: Isabell Werth und Don Johnson Foto: Baumann

Sie hat vieles gewonnen und vieles gelernt, aber vor allem eines: Überraschungen sind immer drin. „Medaillenzählen beginnt erst, wenn die Medaille am Hals baumelt“, sagt Isabell Werth im Interview vor dem Reitturnier in der Schleyerhalle.

Stuttgart - Wo steckt es nur? Isabell Werth schaut ein wenig ratlos drein, durchwühlt ihre Handtasche, greift in ihre Jacke. Das Handy ist nicht da. „Mist, ich habe es wohl auf der Toilette vergessen“, stöhnt die Dressurreiterin, die gerade mit dem Flugzeug aus Düsseldorf gekommen ist. Ein paar Minuten später hat die 46-Jährige ihre Sachen wieder beisammen. „Alzheimer lässt grüßen“, scherzt sie.

Frau Werth, Ihre Vergesslichkeit häuft sich in letzter Zeit, oder liegt es an Ihrer Haarfarbe?
(lacht) Sie spielen auf die Europameisterschaften in Aachen an, oder?
Genau. Dort haben Sie im Dressurviereck den falschen Weg eingeschlagen und sich selbst als „blödeste Blonde“ bezeichnet.
Stimmt, ich erinnere mich daran. Ich dachte eigentlich, dass mir so etwas nicht mehr passiert, nachdem ich mich am Anfang meiner Karriere, als ich noch sicher befreit vom Alzheimerverdacht war, einige Male verritten hatte. 2013 habe ich mich noch lustig gemacht, als dieser Fehler bei der EM den ersten drei Medaillenkandidatinnen passiert ist. Das hat der liebe Gott gehört und schon wurde ich bestraft.
Spaß beiseite. Hat Sie der Fehler nicht geärgert?
Ein bisschen schon. Ich hatte zu diesem Zeitpunkt zwar keine Chance mehr aufs Podest, aber ich hätte mir für die Kür einen besseren Startplatz ergattert. Vielleicht hätte es dann tatsächlich mit einer Einzelmedaille geklappt. So sind wir knapp an Bronze vorbei geschrammt. Ich habe es jedoch mit Humor genommen und die Leute auch. Das Thema war dann nicht mehr Totilas, sondern meine Dummheit.
Hat sein Ausfall und die Diskussion um seine Fitness die Stimmung im Team belastet?
Zu einem Hoch hat das sicherlich nicht geführt, aber grundsätzlich war und ist die Stimmung bei uns gut. Letztlich haben die Vorkommnisse zumindest zu einer klaren Entscheidung geführt: Die Sportkarriere von Totilas ist nun beendet.
Ist das eine gute Entscheidung?
Das ganze Team hat Totilas nochmals einen guten Auftritt und einen verdienten schönen Abschluss seiner Karriere gewünscht. Dazu ist es leider nicht mehr gekommen. Für das Pferd und die Situation ist es die beste Entscheidung, die man hätte treffen können. Auch in Anbetracht des Alters sowie der Zukunftsprognose des Pferdes.
Was hat die EM sonst noch gebracht?
Ich habe einmal mehr gelernt, dass nichts auszuschließen ist. Don Johnson hat mich in Aachen zum Beispiel überrascht. Wenn mir vorher einer gesagt hätte, dass wir an einer Bronzemedaille kratzen würden, dann hätte ich vielleicht ein bisschen geschmunzelt. Johnny (Spitzname von Don Johnson/Anm. der Redaktion) hat sich wirklich weiterentwickelt. Er hat von der Verletzung von Bella Rose profitiert und sich aus ihrem Schatten bewegt.
Welches Ihrer Top-Pferde bringen Sie denn mit nach Stuttgart zu den German Masters?
Emilio wird in der klassischen Tour starten, Don Johnson in der Kür.
Was sind Ihre Ziele für die Hallensaison?
Emilio soll sich stabilisieren. Mit Don Johnson will ich ins Weltcup-Finale und in Stuttgart einige Punkte dafür sammeln. Und im Geiste läuft natürlich schon die Vorbereitung mit der Stute für die nächste Saison.
Bella Rose ist also Ihr Pferd für die Olympischen Spiele?
Sie ist die unangefochtene Nummer eins und mein Traumpferd schlechthin. Sie ist einzigartig von ihren Möglichkeiten, ihrem Bewegungsablauf und auch von ihrem Charisma. Wo das Pferd auch auftaucht, gewinnt es die Herzen im Flug. Dennoch bin ich in all den Jahren gut damit gefahren, die anderen Pferde nicht zu vernachlässigen. Das hat dieses Jahr mal wieder gezeigt!
Ist Bella Rose nach ihrer Verletzung wieder zu 100 Prozent fit?
Ja, aber ich will es ruhig angehen lassen. Es hat eben länger gedauert als zunächst angenommen. Ich will sie in der Halle das eine oder andere Mal zum Training mitnehmen, um sie in Ruhe vorzubereiten. Sie soll sich langsam akklimatisieren, damit wir nächstes Jahr durchstarten können.
Am besten bei den Olympischen Spielen mit einer Medaille, oder?
Soweit bin ich noch nicht. Ich weiß nur, dass das Turnier in Rio im August im nächsten Jahr stattfindet. Es ist mir nach den vergangenen 25 Jahren eine Lehre, dass jeder Tag der nächste ist und das Medaillenzählen erst dann beginnt, wenn man die Medaille um den Hals hat.
Wissen Sie denn wie viele Medaillen Sie gewonnen haben?
Ehrlich gesagt: Ich weiss die Anzahl nicht so genau.
Ehrlich?
Ja, die nächste Medaille ist die wichtigste, denn nichts ist älter als der Erfolg von gestern.
Dann lassen Sie uns von morgen reden. Sie sind 46 Jahre alt und eine der erfahrensten Reiterinnen im Bundeskader. Was haben Sie noch vor?
Ich möchte mich irgendwann zur Ruhe setzen. Solange ich die Jungen noch im Griff habe, werde ich noch ein bisschen reiten. Aber Spaß beiseite. Ich habe noch einiges vor. Neben meinen eigenen sportlichen Ambitionen möchte ich noch einige junge Pferde vorbereiten und es würde mir großen Spaß machen, mit einem Reiter aus meinem Stall in einer Mannschaft zu sein. Meinen Bereiter Niklas Feilzer und die junge Schwäbin Beatrice Buchwald, die in meinem Stall arbeitet, weiter aufzubauen, ist mein Ziel.
Sind die jungen Reiter heute eigentlich anders?
Ja, sie sind in der Regel nicht so belastbar.
Wirklich?
Ist mein Eindruck, aber Ausnahmen bestätigen bekanntermaßen die Regel.
Wie macht sich das bemerkbar?
Die Qualität der Pferde hat sich extrem verbessert. Doch was die Ausbildung der Tiere betrifft, sind wir nicht unbedingt vergleichbar gewachsen. Da müsste mehr daran gearbeitet werden, denn so führt es dazu, dass viele junge Reiter nach einem Spitzenpferd keine weiteren haben. Deshalb werden horrende Preise gezahlt, um Grand-Prix-Pferde im Stall zu haben. Es gab zwar auch vor 20, 30 Jahren Reiter, die ihre Pferde gekauft haben, aber nicht in diesem Ausmaß.
Sind Sie stolz, dass Sie Ihre Pferde allesamt selbst entwickelt haben?
Erst einmal bin ich froh, dass ich in die Situation gekommen bin und Uwe Schulten-Baumer kennengelernt habe, der mich gelehrt hat, was es heißt, junge Pferde auszubilden und dann in zweiter Instanz in Madeleine Winter-Schulze jemanden zu haben, der immer wieder junge Pferde für mich gekauft hat. Ich habe zweimal zur richtigen Zeit, an der richtigen Stelle, die richtigen Menschen getroffen. Und ja, auf die Ausbildung vieler unterschiedlicher Pferde bin ich stolz.
An der Ausbildung und den Trainingsmethoden von Dressurpferden gab es zuletzt häufig Kritik, vor allem an der Rollkur, bei der dem Pferd der Kopf unter Zwang unnatürlich an den Hals gelegt wird.
Uns ist es in den vergangenen zehn Jahren leider nicht gelungen, darzulegen, was unser Sport wirklich bedeutet, was Dressursport an Arbeit, Know-how und Pferdeliebe mit sich bringt. Da steht ein ganzes Team 24 Stunden für die Pferde parat. Wenn es allen Menschen auf der Welt so gehen würde, wie unseren Pferden, dann bräuchten wir nicht über Menschen zu reden, die in Flüchtlingscamps unter unwürdigsten Bedingungen leben. Ich finde die Diskussion über die Rollkur unsäglich, denn dabei wird alles in einen Topf geworfen, es wird nicht differenziert.
Halten Sie diese Diskussion für unsinnig?
Nein, die kritische Auseinandersetzung ist sehr wichtig, weil sie zur Weiterentwicklung führt, aber sie ist leider häufig nicht sachlich, sondern sehr populistisch geführt. Rollkur ist das Erzwingen einer zu engen Halshaltung. Ausbildung bedeutet aber Gymnastizierung, Weiterentwicklung des vorhandenen Potenzials unter Berücksichtigung der körperlichen Voraussetzungen des jeweiligen Pferdes. Ein tieferes Einstellen oder gelegentliches Zu-eng-werden des Pferdehalses hat dabei nichts mit Rollkur oder falscher Ausbildung zu tun. Spielerisches Erlernen, Freude an der Bewegung stehen im Vordergrund, Pferdeausbildung ist wie Kindererziehung. Dazu gehört aber auch, zur rechten Zeit sanktionieren zu dürfen, ohne in die falsche Ecke gestellt zu werden. Auch deshalb  sind solche Turniere wie in Stuttgart gut. Dort bietet sich für uns die Gelegenheit, den Menschen auch mal etwas zu erklären und wir können unseren Sport präsentieren.
Ist das der Grund, weshalb Sie jedes Jahr wieder nach Stuttgart kommen? Sie haben bei kaum einer Auflage gefehlt.
Auch. Aber die German Masters sind die schönste Hallenveranstaltung, die wir in Deutschland haben. Das Turnier hat sich in den vielen Jahren immer weiter entwickelt. Der sportliche Vergleich lockt!
Der Zeitplan
Mittwoch 13 Uhr: Dressurprüfung Kl. S, Intermediaire I15.15 Uhr: Junioren Stilspringprüfung Kl. M mit Stechen16.45 Uhr: Nationale Springprüfung Kl. S, Baden-Württemberg19 Uhr: Showabend mit Jump and Drive sowie Vielseitigkeit Zeitspringprüfung Kl. M

Donnerstag 9.30 Uhr: Dressur, Piaff Förderpreis Kl. S, Kurz Grand Prix11.30 Uhr: Eröffnungsspringen deutsche Reiter13 Uhr: Eröffnungsspringen ausländische Reiter15.30 Uhr: Dressurprüfung Kl. S, Intermediaire I - Kür, Finalprüfung Baden-Württemberg19.15 Uhr: Hallenchampionat Baden-Württemberg, Springprüfung Kl. S mit Stechen21.30 Uhr: Internat. Zeitspringprüfung, Qualifikation zum German Master

Freitag 8.30 Uhr: Dressur, Piaff Förderpreis Finale, Grand Prix10.15 Uhr: Dressurprüfung, Qualifikation zur Grand Prix Kür15 Uhr: Springprüfung nach Fehlern und Zeit17.45 Uhr: Springprüfung nach Fehlern und Zeit, Qualifikation zum German Master20 Uhr: Zeit-Hindernisfahren für Vierspänner mit zwei Umläufen22.15 Uhr: German Master, Springprüfung mit Stechen

Samstag 8 Uhr: Dressurprüfung, Qualifikation zum Grand Prix Special12.15 Uhr: Zeitspringprüfung mit Kostümen13.50 Uhr: German Master Fahren, Wertungsprüfung für den FEI World Cup, Zeit-Hindernisfahren Vierspänner mit zwei Umläufen15.30 Uhr: Dressur Weltcup-Prüfung, Grand Prix Kür18.45 Uhr: Springprüfung mit Siegerrunde21 Uhr: Show Quadras Miky Borras22 Uhr: Punktespringprüfung mit zwei Jokern

Sonntag 10.30 Uhr: German Master Dressur, Grand Prix Special13.40 Uhr: Show Quadras Miky Borras15.25 Uhr: Großer Preis von Stuttgart, Weltcup-Prüfung Springen mit Stechen