Für Andy und Stefanie Witzemann und ihre Kinder Max, Thea und Carla liegt das Glück auf dem Rücken der Pferde. Foto: Stapel

Reiten: Von Fabrikhalle zur Luxus-Anlage. Geheime Leidenschaften neben Reitsport. Auf Familie ist Verlass.

Winterlingen - Wer von Erfolg im Springreiten spricht, kommt an Andy Witzemann nicht vorbei. Kürzlich feierte er seinen 40. Geburtstag und drei S-Siege an einem Tag. Aber wie hat es der Winterlinger in den Spitzensport geschafft und wieviel Arbeit steckt dahinter?

Drei S-Siege an einem Tag mit unterschiedlichen Pferden, Casalliono, Crash und Cassadero: Solch eine Höchstleistung passiert nicht alle Tage – aber wie macht Andy Witzemann das?

Angefangen hat alles bereits, als er ein kleiner Junge war: "Ich hatte den klassischen Einstieg mit einem Pony", erzählt der Winterlinger. Er startete auf Turnieren in der Klasse E in den Disziplinen Dressur und Springen. Mit 17 Jahren schloss er die Realschule ab: "Mir pressierte es raus, ich wollte reiten", sagt er. Seine Familie unterstütze ihn stets dabei und förderte seine sportlichen Ambitionen.

Doch der Springreiter wuchs dem Pony davon und es musste ein Großpferd her – klar war eines: Dressur macht Spaß, aber ein Dressur- und ein Springpferd? Das war zu viel und für Witzemann – schon als Jugendlicher begeistert von seinem Onkel, der Springen ritt – die Entscheidung leicht. Seine Lehrmeister waren keine Geringeren als Manfred Marschall und Willi Melliger; für Letzteren fuhr er anderthalb Jahre in die Schweiz zum Trainieren.

Seine besten Pferde entdeckt er selbst

Mit 21 Jahren stand Witzemann dann vor einer Entscheidung: "Die junge Reiterzeit war vorbei, und mein Vater sagte, dass ich jetzt eigenes Geld verdienen muss." Die Optionen: Arbeiten im Einrichtungshaus der Familie oder bei Paul Schockemöhle. Der Winterlinger entschied sich für Option Nummer drei und wählte die Selbstständigkeit, kaufte 2001 mit Unterstützung des Vaters eine Fabrikhalle in Winterlingen und baute Schritt für Schritt sein Paradies: "23 Boxen hatten wir, und nur neun Pferde standen drin", erinnert er sich lachend. Fenster musste er erst einbauen. Heute ist seine Anlage der Traum jedes Reiters: Reithalle, Außenplatz, Longierzirkel, 20 Koppeln, eine Führanlage und ein riesiger Stall mit Boxen für 75 Pferde.

Sein Erfolg ist hausgemacht: Er verdient sein Geld heute hauptsächlich mit der Ausbildung, dem Kauf und Verkauf von Pferden. "Insbesondere junge talentierte Pferde wollen wir ausbilden und erfolgreich auf dem Turnier vorstellen – wenn das passende Angebot dabei ist, werden sie verkauft." Witzemann bildet aber auch Reiter aus, gibt Lehrgänge und erhält Boxenmiete von seinen Einstellern. "Das allein hätte freilich niemals gereicht, eine Anlage zu verhalten. Die Kosten sind immens geworden, Futter, Späne, Tierarzt, Strom, Startgelder, Sprit für drei Lastwagen, Personal, Zeitaufwand und Organisation", erklärt der 40-Jährige.

Seine Pferde entdeckt Witzemann stets selbst, kauft sie mit finanzieller Unterstützung von Investoren und Familie und stellt sie auf Turnieren vor. Andere werden ihm zur Verfügung gestellt: Die drei Pferde mit denen er kürzlich die S-Springen gewonnen hat, etwa gehören Wolfgang Koppensteiner. "Er hat einfach Freude daran, zu sehen, wie erfolgreich seine Pferde unter mir sind." Auch Bekannte bringen oft Pferde zur Anlage: Witzemann probiert sie aus und entscheidet dann, ob sie für den großen Sport geeignet sind. Falls ja, kauft er sie, oder zumindest einen Anteil daran. Schafft es ein Pferd nicht, wird es verkauft. "Wir selektieren auf höchstem Niveau; das bedeutet nicht, dass ein Pferd nicht gut ist – wir behalten aber nur die absoluten Top-Pferde."

Die Ausbildung vor allem junger Pferde ist Witzemanns Leidenschaft, weshalb er auch selbst züchtet: 2019 sind elf Fohlen in seinem Zuchtprojekt geboren, vier davon gehören ihm. Kooperationen pflegt der Winterlinger mit Norddeutschland und Bad Saulgau, besitzt derzeit 20 Pferde, und mindestens 40 gehören ihm zur Hälfte. "Gerade unsere jungen Pferde aus eigener Zucht möchte ich ausbilden und verkaufen, das ist mein Ziel auch in Zukunft."

Routine spart Vorlauf – und Kilometer

Besonders junge Pferde führt er erstaunlich häufig zu höchsten Erfolgen. Maximus etwa, eines seiner besten Nachwuchspferde: Er ist das zweiterfolgreichste sechsjährige Pferd in Baden-Württemberg. Wie viel muss ein so junges Pferd im Jahr leisten? "Junge Pferde müssen erst Routine sammeln und gehen im Jahr auf etwa 20 Turniere" – abhängig vom Tier und seiner Entwicklung. Routinierte Pferde starten bei zehn bis 15 Turnieren pro Saison. "Sie brauchen weniger Vorlauf, müssen nur ihre Topleistung abrufen", erklärt Witzemann. "Deshalb muss man Kilometer sparen."

Bleibt ein Erfolge mal aus, geht für Andy Witzemann die Welt nicht unter: "Klar ist man enttäuscht, ich brauche dann auch etwas Zeit für mich, aber ich betreibe intensive Fehleranalyse, denke darüber nach und dann höre ich aber auch damit auf. Ich will keine schlechten Emotionen haben – ich möchte mich ja verbessern. Aber das kläre ich immer mit mir selbst."

Ohne seine Familie, seine Eltern Carmen und Alfred Witzemann, Sponsoren und sein Personal wären seine Erfolge nicht möglich, davon ist Witzemann überzeugt. Sein zweiter Kopf ist Radu Pátru: Er versorgt die Pferde und steht dem Sportler stets zur Seite. "Hätte ich Radu nicht, würde ich alles vergessen." Aber auch seine Frau Stefanie und die Kinder – Thea, Carla und Max – sind seine Stütze im Alltag. Nicht zu vergessen sein junges Bereiterpersonal: Vier Helfer unterstützen ihn rund ums Pferd, darunter der erst 18-jährige Ferdinand Talmon.

Und wenn man mal keine Lust hat? "Gibts nicht. Es ist ein Vollzeitjob – ich musste mich noch nie motivieren, zu reiten, aber manchmal brauche ich eine Pause vom Gesamtpaket", meint Andy Witzemann. Denn er ist nicht nur Reiter und Vater, sondern auch Geschäftsmann und Manager, wenngleich er manchmal das Handy für eine Weile ausschaltet, im Kaminzimmer sitzt und Fußball schaut. Eine zweite geheime Leidenschaft? "Ich bin ein echter Fußballfan – und ich koche sehr gerne." Und was ist des Schwaben Leibgericht? "Alles, was nicht gesund ist und was man als Sportler lieber nicht isst."

Was steht in diesem Jahr noch an? "Diese Woche Bisingen und im November die Schleyerhalle", sagt Witzemann. Seine Fans dürfen gespannt sein, ob er es am Sonntag beim Hohenzollern Reitturnier zum dritten Mal schafft, seinen Wanderpokal zu verteidigen.