Straftat statt Schabernacks: Zünfte machen sich Gedanken. Sicherheitsvorschriften nehmen zu.
Oberndorf - In vielen Gemeinden im Land steht in den kommenden Tagen ein Machtwechsel bevor. Rathäuser werden von bunt kostümierten Menschen gestürmt, die Bürgermeister für Tage abgesetzt: Die Hochphase der Fastnacht ist angebrochen. Die Narren übernehmen das Zepter, haben das Sagen und halten den Großkopferten den Spiegel vor. Das beschwingte Treiben steht unter einem Leitmotto: »Niemand zu Leid, jedem zur Freud«. Das bedeutet: Mögen Hexen, Fransen- oder Schellnarren es auch gerne bunt treiben, zu Schaden soll dabei niemand kommen.
Das ist die schöne, die heitere Seite der närrischen Tage. Es gibt eine andere. Da liegen Scherben von Flaschen auf der Straße verstreut herum, da fließt der Alkohol in Strömen, da fallen nach und nach Schamgrenzen. Und was vorher kaum denkbar war, scheint mit steigendem Alkoholkonsum plötzlich in Ordnung zu sein. Narrenfreiheit bedeutet laut Duden, die Erlaubnis zu haben, bestimmte Dinge zu tun oder zu sagen. Aber eben nicht alles. Auch die Narretei hat eindeutig ihre Grenzen.
Und freilich werden Vorfälle registriert, die mit der traditionellen Fastnacht nichts zu tun haben, aber am Rande von Brauchtumsabenden und Umzügen vorkommen. Bis hin zu Straftaten. Wie der Fall, über den die Polizei im Kreis Breisgau-Hochschwarzwald in diesen Tagen berichtet hat. Da kam es am Rande eines Umzugs in Gundelfingen wohl zu einem sexuellen Übergriff auf ein 15-jähriges Mädchen. Die Behörden schreiben, es soll sich um deutsche Täter handeln. In der sowieso bereits überreizten Debatte über Flüchtlinge und Asylsuchende wird auch während der Fastnacht von der Öffentlichkeit mit besonderer Aufmerksamkeit verfolgt werden, aus welchem Kulturkreis bei Straftaten die Täter stammen.
Sachbeschädigungen, Körperverletzungsdelikte und Widerstand gegen die Polizei nehmen zu
Vielleicht ist es nur eine Beobachtung, vielleicht bereits ein Trend. Aber das Brauchtum läuft Gefahr, zuweilen mehr und mehr in den Hintergrund zu rücken. Alkoholkonsum und Anmache bis hin zu sexuellen Übergriffen scheinen überhand zu nehmen.
So sieht das Narrenpräsident Timo Steinwandel aus Epfendorf (Kreis Rottweil). Sicherlich hätten auch früher manche über die Stränge geschlagen, doch nicht in dem Ausmaß. »Heutzutage ist man als Junge oder Mädchen auf der Fasnet nicht mehr sicher. Das ist nicht zu akzeptieren«, sagt er. Seine Zunft hat Maßnahmen ergriffen: »Wir meiden reine Narrenpartys. Diese sind ein Vorwand zum lustigen Betrinken.« Wenn es so weitergehe, sei die Fastnacht in Gefahr, warnt er.
Thomas Kalmbach, Pressesprecher des Polizeipräsidiums Tuttlingen, bestätigt, dass es an der Fastnacht erfahrungsgemäß zu mehr Sachbeschädigungen, Körperverletzungsdelikten und Widerstandshandlungen gegen die Polizei kommt. Das liege am »übermäßigen Alkoholgenuss und Drogenkonsum«. Die Zahlen für stationäre Aufnahmen junger Menschen in den Krankenhäusern des Landes nach Alkoholvergiftungen wiesen im Jahr zwei Spitzen auf: eine davon während der »fünften Jahreszeit«, berichtet Kalmbach.
Daher sollen wieder verstärkt Testkäufe gemacht werden. Er appelliert auch an alle Vereine, die Fastnachtsveranstaltungen durchführen, beim Alkoholausschank an Jugendliche und junge Erwachsene die Vorschriften des Jugendschutzgesetzes strikt zu beachten. Bei den sexuellen Übergriffen gebe es nur selten Anzeigen. »Natürlich sind die Herausforderungen heute anders als noch vor zehn Jahren«, meint Kalmbach.
Die Zünfte machen sich derweil deutlich mehr Gedanken zum Thema Sicherheit. Eine bislang ungetrübte närrische Saison erlebte der Landkreis Freudenstadt. Bereits im Vorfeld hatten Kommunen mit den Narrenzünften Sicherheitskonzepte ausgearbeitet. Im Rottenburger Teilort Baisingen (Kreis Tübingen) gab es einen Vorfall, bei dem bei einem Zunftabend 13 Menschen verletzt wurden. Dort hatte ein Unbekannter in einem Barzelt Reizgas versprüht. »Das ist echt eine Katastrophe«, schimpft Zunftmeister Klaus Laubheimer. Erschütternd: Der Täter hat wohl ein Narrenkleid getragen.
Mit den zunehmenden Vorfällen wächst auch der Druck auf die Narrenzünfte in puncto Sicherheit. So haben sie immer mehr Auflagen zu erfüllen, die durchaus kostenintensiv sind. Was zum Schutz gedacht ist, wird oft als Gängelung wahrgenommen. Wo hört das Beschützen auf, und wo fängt die Bevormundung an? Mittlerweile ist unter den Narren von einer regelrechten Verordnungswut die Rede. Oft ist der Preis für die Sicherheit hoch. Die Veranstalter müssen zusätzliches Personal einstellen, um für ausreichend Schutz zu sorgen.
Die zusätzlichen Auflagen kommen auch die Organisatoren im Zollernalbkreis teuer zu stehen. Zum einen haben sie bei Events eine vorgegebene Menge an Sicherheitspersonal zur Verfügung zu stellen, zum anderen muss für Sondermaßnahmen – etwa für Betonpoller – der örtliche Bauhof eingespannt werden.
Seit einer kleinen Karambolage müssen die bunten Bändel über der Straße reißfest sein
Beides kostet Geld. »Wir werden von Bürokratie überrollt«, klagt Walter Sieber, Präsident des Narrenfreundschaftsrings Zollern-Alb. Er erinnert an den Festbändel-Erlass für den Zollernalbkreis: Nachdem ein Holzlastzug einmal an den Fastnachtsbändeln hängengeblieben war, sei verfügt worden, dass die Bändel reißfest sein und in 4,50 Meter Höhe angebracht werden müssen. Früher hätten fünf Feuerwehrleute ausgereicht, um im Festzelt für Ordnung zu sorgen. »Heute müssen es 25 Security-Leute sein, und das kostet den Veranstalter locker 10 000 Euro«, weiß Sieber. Auf lange Sicht droht damit die Einstellung solcher Veranstaltungen.
Relativ kostenarm, zumindest was die Narrenzunft betrifft, ist das Sicherheitskonzept in Rottweil. »Die Narrenzunft stellt 25 Ordner am Fasnetssonntag – das ist neu – und je 52 am Fasnetsmontag und -dienstag. Diese Kosten muss sie tragen. Alles andere wird teils von der Stadt, teils vom Land bezahlt«, sagt Narrenpräsident Christoph Bechtold.
Erfolgreich sei das Alkoholpräventionskonzept, das ein Verkaufsverbot für Unter-25-Jährige in Rottweil beinhaltet. »Dass manche es mit dem Alkohol übertreiben, das wird sich nie abstellen lassen«, ahnt er; jedoch sei es durch verstärkte Kontrollen in den vergangenen Jahren deutlich besser geworden.
Villingen-Schwenningen verweist als Neuerung im Sicherheitskonzept derweil auf die Installation der Notknöpfe, die verpflichtend an den Umzugsfahrzeugen eingebaut werden müssen. Die Kosten für Leistungen der Technischen Dienste – dazu gehören beispielsweise Absperrungen, Stadtreinigung, Versicherungen, Technisches Hilfswerk und mehr – werden von der Stadt getragen.
Das also ist der Rahmen, in dem sich die Fastnacht 2018 bewegen wird. Eines aber gehört wohl besonders betont: »Jeder darf und soll Spaß haben – aber es gibt Grenzen«, bringt es Tobias Herrmann, Pressereferent der Stadt Rottweil, auf den Punkt.
Die Polizei begleitet viele Fastnachtsveranstaltungen. Angesichts zunehmender Alkohol- und Gewaltexzesse während der Narretei haben die Ordnungshüter viel zu tun.