Im Polizeipräsidium Tuttlingen mit den fünf Landkreisen fliegen die Fetzen. Foto: Seeger

Der Innenminister wechselt – ändern sich dadurch der Ton und das Arbeitsklima? Und was wird aus der Strukturreform?

Region - Im Polizeipräsidium Tuttlingen mit den fünf Landkreisen fliegen die Fetzen. An der Person des Präsidenten Ulrich Schwarz scheiden sich die Geister. Doch nicht nur er steht in der Kritik. Die Polizeispitze nähre ein System der Angst, sagen Insider, die sich von Anfang an mit diesem System auseinandersetzen.

Dass die wenig passende Wellenlänge zwischen Häuptling und Indianern mit einer selbstherrlichen Mitarbeiterführung zu tun hat, ist kein Geheimnis mehr. Die Eskalation der Lage ist auch auf die Polizeireform und ihre entschiedenen Befürworter an den höchsten Stellen zurückzuführen.

Dabei liegt noch vieles im Argen seit der Einführung des vor zwei Jahren in Gang gesetzten Konzepts. Um Verbesserungen bei Reformen zur Reform zu erreichen, wäre viel konstruktive Kritik notwendig. Doch Schwarz macht sich nach dem Dafürhalten einer zunehmenden Zahl von Kritikern vor allem mit Schönreden einen Namen. Gut dastehen beim Innenministerium als treuer Gefolgsmann scheint für diesen Polizeipräsidenten eine wichtige Maxime des Handelns zu sein.

Linientreue war ein gewichtiges Merkmal

Der Blick hinter die Kulissen der Polizeiarbeit zeigt eine Situation, die weit weniger aufgeräumt ist, als jene, die der Öffentlichkeit – und dies nicht nur im Bereich des Polizeipräsidiums Tuttlingen, sondern landesweit – vermittelt werden soll. Da ist eine Menge Kritik im Umlauf. Sehr konstruktive, wie von Seiten der Unzufriedenen reklamiert wird, deren Zahl täglich zu steigen scheint.

Beim Postengeschacher für die 2014 etablierten zwölf Polizeipräsidien sei Linientreue ein gewichtiges Merkmal gewesen, wird betont. Andere Kriterien wie Führungsstärke, Fleiß und Sachkompetenz seien wohl unter ferner liefen in Betracht gezogen worden, heißt es von Kritikerseite süffisant. Dabei ist denen, die jetzt versuchen, mit Klartext an die Öffentlichkeit zu gehen, überhaupt nicht zum Lachen zumute. Die Angstkulisse bei der Polizei sei noch nie so groß gewesen, wie zum Zeitpunkt, als Minister Reinhold Gall die Regie übernommen habe.

Im Zuge der Polizeireform sei beim Ministerium nie die Bereitschaft zum Dialog mit der Basis zu erkennen gewesen. Auch die Polizeipräsidenten hätten buckeln müssen. Mit guter Miene schönzureden, sei die Devise gewesen. Konstruktive Kritik als Chance zu sehen, die Reform mit der Zeit immer passgenauer zu machen, sei in der Ära Gall nicht in Frage gekommen. So sei der Blick fürs Ganze verloren gegangen, vor allem die viel zu wenigen Mitarbeiter der Schutzpolizei würden ausgepresst wie Zitronen.

Einer, der in Sachen Polizeiarbeit aus seinem Herzen keine Mördergrube mehr machen will, der aber aus Angst, im Polizeidienst Benachteiligungen zu erfahren, seinen Namen nicht genannt haben will, verweist bei der Beschreibung der allgemeinen Unzufriedenheit auch auf einen Beitrag von Roland Wössner, ehemaliger Leiter der Polizeidirektion Villingen-Schwenningen, in der Ausgabe "digital" der Gewerkschaft der Polizei vom Juni 2015 mit der Überschrift "Der Mensch steht bei uns schon lange nicht mehr im Mittelpunkt".

In dem Beitrag zu den schwierigen Befindlichkeiten des Berufsstandes sei vieles treffend beschrieben worden. Wer nachschaut, kann auch folgende Feststellung lesen: "Wir hätten keine Strukturreform, keine ›Kästchen-Reform‹ gebraucht, sondern eine Reform für die Menschen in der Polizei – und zwar für die jetzige überalterte Generation und nicht für die nächste. Jede Zentralisierung und jede Großorganisation führt im Dienstleistungsbereich zu schlechteren Ergebnissen."

Auch Landräte und Abgeordnete beschäftigt die bis vor Kurzem vor allem hinter den Kulissen und dort nicht selten hinter vorgehaltener geführte Diskussion zur Polizeireform stark. Eben auch, weil man die Unzufriedenheit der Bürger mit einer überforderten Polizei zusehends mehr zu spüren bekommt.

Man gehe davon aus, dass nach dem baldigen Abschied von Innenminister Reinhold Gall, der die Polizeireform aus der Taufe hob und diese seither auch mit internen Maulkörben als großen Wurf verteidigt, es leichter werde, Stellschrauben zu verändern zugunsten einer effektiveren und bürgernäheren Polizeiarbeit, sagt einer hoffnungsvoll, spricht’s, und macht sich auf die Socken, weil er sich zu einer Schicht aufmachen muss, die wegen der Personalknappheit im Streifendienst wieder mit besonderen Stressfaktoren verbunden sein könnte.

Vielleicht hat es mit dem bevorstehenden Regierungswechsel zu tun und damit, dass das Ministerium einen neuen Ressortleiter erhält, vielleicht ist einfach auch die Zeit reif, der innere Leidensdruck zu groß geworden. Denn tagtäglich melden sich in der Redaktion Betroffene, die ihre Geschichte loswerden wollen und damit ein weiteres Mosaiksteinchen zu einem Bild liefern, das den Blick freigibt auf einen von der Spitze der Polizei – neben dem bisherigen Minister fallen hier immer wieder auch die Namen des Landespolizeipräsidenten Gerhard Klotter, er leitet im Ministerium das Präsidium, und des Landeskriminaldirektors Martin Schatz als dem ranghöchsten Kriminalbeamten im Land – verängstigten und unterdrückten Apparat.

Es bricht sich etwas Bahn im Bereich des Polizeipräsidiums Tuttlingen.

Ein Ziel von Anfang an: totale Kontrolle

Das System war im Zuge der Strukturreform von Anfang an darauf angelegt: totale Kontrolle. Ein Instrument hierzu war das sogenannte Interessebekundungsverfahren (IBV). Von offizieller Seite wird es als sozialverträgliche Komponente der Reformumsetzung gepriesen. Die Teilnehmer hätten so die Möglichkeit, eigene Wünsche einfließen zu lassen, falls es im Zuge der Reform zu einer Versetzung an einen anderen Dienstort kommen solle. Freiwilligkeit sei oberstes Gebot gewesen. Doch zwecks fehlender Alternativen habe es gar keine andere Möglichkeit gegeben, als daran teilzunehmen, sagen die Kritiker.

Ein zentraler Aspekt des IBVs war es, die Polizisten und Beamten an der Auswahl des künftigen Dienstortes mitwirken zu lassen. Drei Wünsche – mit abnehmender Priorität – sollten sie angeben. Wer tatsächlich drei mögliche Arbeitsstätten angab, landete nicht automatisch auf seinem Wunschplatz, sondern fand sich zuweilen an dem an dritter Stelle notierten Dienstsitz wieder. Viele warteten immer noch darauf, dorthin versetzt zu werden, wo sie am liebsten arbeiteten. Und so lange dies nicht passiert sei, verrichteten diese Mitarbeiter still und ohne zu Murren ihren Job, um ja nicht ihre angestrebte Versetzung zu gefährden. Das ist die Einschätzung eines langjährigen Beamten.

Andere waren ausgekochter. Etwa etliche Kollegen aus den Bereichen der früheren Landespolizeidirektionen wie in Freiburg, Karlsruhe oder Tübingen, die aufgelöst wurden. Ein Großteil jener gutsituierten und älteren Beamten beließ es dabei, beim IBV lediglich den einen Lieblingsort anzugeben. In der Regel war das der Dienstsitz der soeben aufgelösten Landespolizeidirektionen.

Weil man in Stuttgart offensichtlich über keine Handhabe verfügte, hier einzugreifen, ohne die Umsetzung der Reform durch langjährige rechtliche Auseinandersetzungen in Versetzungsfragen zu gefährden, beließ man die Mitarbeiter dort, wo sie sein wollten. Mit der Konsequenz, dass es an den Dienstsitzen der früheren Landespolizeidirektionen einen Überhang an Ist- gegenüber den Sollstellen gebe. So lange, bis diese Kollegen in den Ruhestand gegangen seien. Dann könne man diese Stellen nach außen, an die Polizeipräsidien im Lande, weiterreichen.

Einmal gänzlich davon abgesehen, dass diese über das gesamte Land in Gang gesetzte Ämter- und Personalrochade in nicht seltenen Fällen dazu geführt habe, dass nicht die Besten zum Zuge gekommen seien. Kommissar Zufall hat hier offensichtlich eine bedeutende Rolle gespielt, ohne immer ins Schwarze zu treffen. Die Posten in den einzelnen Dienststellen nach dem sonst üblichen ordentlichen Bewerbungs- und Auswahlverfahren zu besetzten, wäre wohl zu aufwändig gewesen. Auch dies könnte die Reform möglicherweise verzögern, wurde demnach ganz oben befürchtet.

Überhaupt hatte die Reform wohl mehrere Geburtsfehler. Etwa diesen bereits beschriebenen, dass sich der SPD-Minister vor der Umsetzung linientreue Präsidenten ausgeguckt hatte. Ein Umstand, den später das Verwaltungsgericht Karlsruhe beschäftigte. Dieses setzte das Besetzungsverfahren zunächst außer Kraft, was eine erneute Besetzung der Chefstellen in den Polizeipräsidien notwendig macht. Viel geändert hat sich dabei nicht.

Das größte Manko indes, das erzählen die Polizisten quer durch die Bank, seien die großen Distanzen zwischen dem in Tuttlingen sitzenden Präsidium, ebenso den zentral geschaffenen neuen Dienststellen wie dem Führungs- und Lagezentrum (FLZ), dem Verkehrsunfallaufnahme- und dem Kriminaldauerdienst auf der einen und den großflächig verteilten möglichen Einsatzorten in dem weiten Präsidiumsbereich, das neben Tuttlingen die Landkreise Rottweil, Zollernalb, Schwarzwald-Baar und Freudenstadt umfasst, auf der anderen Seite. Zwischenebenen, die möglicherweise in Anlehnung an die aufgelösten Polizeidirektionen in den jeweiligen Landkreisen in den größeren Städten wie Rottweil, Villingen-Schwenningen, Balingen und Freudenstadt wieder angesiedelt werden könnten, könnten diesem Problem abhelfen und wieder für mehr Bürgernähe im Wortsinne sorgen.

Im Entwurf des Koalitionsvertrages der sich abzeichnenden neuen grün-schwarzen Landesregierung heißt es: "Die Bürgerinnen und Bürger haben Anspruch auf eine orts- und bürgernahe Polizei. Wir werden mit diesem Ansatz die Polizeistrukturreform umfassend und zeitnah unter Einbeziehung auch externen Sachverstandes evaluieren."

Man darf gespannt sein, was dabei herauskommt. Wie man es besser nicht macht, hat fünf Jahre lang das SPD-geführte Innenministerium vorgeführt. Viel gebracht hat es dem Amtsinhaber, Reinhold Gall, nicht. Bei der Landtagswahl hat er deutlich an Stimmen verloren, mit 17,6 Prozent jedoch immerhin mehr als die SPD im Land geholt und so den Einzug in den Landtag geschafft. Wenngleich nicht als Minister. Für viele an der Polizei-Basis ist das ein Hoffnungsschimmer.