Sieben Soldaten einer Pfullendofer Sanitäter-Einheit der Staufer-Kaserne werden nach dem Bekanntwerden des Mobbing-Skandals entlassen. Foto: dpa

"Es ist eine Schande, was da passiert ist". Verteidigungsministerin gerät in die Schusslinie.

Pfullendorf/Berlin. Die Anfahrt durch einen Wald endet vor schweren Eisentoren. "Militärischer Sicherheitsbereich, unbefugtes Betreten verboten!" heißt es auf einem Schild, daneben steht zur Sicherheit noch "Stop". Wer keine Berechtigung hat, in die Pfullendorfer Staufer-Kaserne (Kreis Sigmaringen) hineinzufahren, kommt hier nicht weiter. Hinter den Toren soll es zu Gewalt-Exzessen gekommen sein, die die Bundeswehr erschüttern und Fragen aufwerfen.

Zum Beispiel: Wie konnten sexuelle Nötigung, Mobbing, Misshandlungen und Demütigungen an einem Elite-Standort lange weitgehend unentdeckt bleiben? Und: Hat die militärische Führung inklusive Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) angemessen reagiert und informiert?

Von der Leyen hatte bislang in ihrer Amtszeit als Inhaberin der Befehls- und Kommandogewalt über die Bundeswehr mehr Glück als ihre Vorgänger in den vergangenen 20 Jahren. Nicht nur, dass in ihre Zeit das Ende des seit fast zwei Jahrzehnten geltenden Spar- und Schrumpfdiktaks für die Truppe fällt. Sie hatte, anders als Peter Struck (SPD), Franz-Josef Jung (CDU), Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) und Thomas de Maizière (CDU), außerdem keine Gefallenen im Afghanistan-Einsatz zu verantworten und auch keine Skandale – bis jetzt. Teile der Ausbildung von Elite-Sanitätern, die verletzte Kameraden in Kampfsituationen versorgen müssen, waren "hinsichtlich des Gebotes zur Achtung der Würde des Menschen, der sexuellen Selbstbestimmung und des Schamgefühls unangemessen", heißt es in einer Mitteilung des Heeres zum Fall Pfullendorf.

Was genau wann in der Kaserne geschehen ist, teilte das Ministerium allerdings nicht mit; unklar blieb auch, zu welchem Zeitpunkt die Untersuchung begonnen wurde. Ein Sprecher betonte lediglich, dass die Bundeswehrführung und das Ministerium sofort Ermittlungen aufgenommen hätten, als sie über einen substanziellen Vorwurf in Kenntnis gesetzt worden seien. Im Verlauf dieser Ermittlungen seien weitere Unregelmäßigkeiten zutage getreten.

Diese erste Untersuchung ist laut Ministerium am vergangenen Donnerstag abgeschlossen worden. In der Konsequenz seien die Staatsanwaltschaft in Hechingen eingeschaltet, die Information des Verteidigungsausschusses in die Wege geleitet und erste Konsequenzen gezogen worden. Für sieben Soldaten im Mannschaftsdienstgrad seien die Entlassung und ein sofortiges Verbot zum Tragen der Uniform verfügt worden. Bei sieben weiteren Soldaten hat das Ministerium die Versetzung in die Wege geleitet. Nicht bestätigt wurde die Ablösung des bisherigen Kommandeurs des Ausbildungszentrums, Oberst Thomas Heinrich Schmidt.

An der Darstellung des Ministeriums äußerten aber nicht nur Abgeordnete der Opposition Zweifel. Laut dem Wehrbeauftragten Hans-Peter Bartels wandte sich im Oktober 2016 ein weiblicher Leutnant wegen fragwürdiger Vorgänge in der Kaserne in Südbaden an ihn. Er habe damals das Ministerium informiert. In Bartels’ am Donnerstag vorgestelltem Wehrbericht wird Pfullendorf aber nicht ausdrücklich herausgestellt.

Am Wochenende sind die Vorwürfe im Zentrum der Kleinstadt Thema Nummer eins. "Es ist eine Schande, was da passiert ist", sagt eine Anwohnerin. Allerdings blieben die Soldaten des Ausbildungszentrums meist unter sich, in der Stadt bekomme man nicht viel von ihnen mit.

Ein Imbiss-Mitarbeiter in der schmucken Altstadt kennt einige Soldaten, die öfter bei ihm essen. Er warnt zwar vor einem Generalverdacht: "Nur weil ein paar Mist gebaut haben, müssen ja nicht alle gleich schlecht sein." Andererseits: "Wenn von der Leyen sich einschaltet, muss ja auch was dran sein." Die Ministerin nennt die Vorfälle "abstoßend" und "widerwärtig" – sie verletzten "auf das Schwerste die Grundsätze der inneren Führung".

Der SPD-Verteidigungsexperte Rainer Arnold erzählt nun, er sei im vorigen Sommer in der Staufer-Kaserne gewesen und habe das Gefühl gehabt, "dass dort nicht gut und verantwortungsvoll geführt wird". Den Besuch beim Kommandeur habe er erzwingen müssen. Der Offizier habe "mit massivem Druck und Tricks unterlaufen, dass ich die Personalvertretung unter vier Augen sprechen kann". Arnold: "Ich bin im Bewusstsein gegangen: Irgendetwas läuft da nicht gut."

Der Wehrbeauftragte Bartels findet am Wochenende in Interviews harte Worte zu den Gewaltexzessen: Die Dienstaufsicht habe versagt, und "um einen Neuanfang wird man nicht herumkommen". In Pfullendorf habe es womöglich "noch Restbestände von einem Machoverhalten" gegeben. Allerdings weist auch Bartels’ noch druckfrischer Jahresbericht für den Bundestag im Kapitel 7 ("Führung und Soldatenalltag") diverse aktuelle Beispiele für krasses Fehlverhalten in der Truppe auf.

So ließ beispielsweise ein Leutnant "nach einem Rückmarsch von einer Schießausbildung seinen Zug Liegestütze und Kniebeugen absolvieren. Als zwei der Soldaten vor Erschöpfung zusammenbrachen und einige Kameradinnen und Kameraden ihnen zu Hilfe eilen wollten, äußerte er wiederholt: "Lasst die liegen, die sind nur ohnmächtig, nicht tot!" Auch unangemessener Umgangston wird in Bartels’ Bericht belegt: In Eingaben hätte Soldaten aus verschiedenen Einheiten Äußerungen von Vorgesetzten wie "Du bist so dumm, erschießen sollte man dich", "Dreckschwein", "Schwachköpfe" oder "Homos" geschildert.

Schon mehrfach hat es Gewalt-Skandale in der Bundeswehr gegeben, den jüngsten 2010 im oberbayerischen Mittenwald. Der wohl schlimmste Fall liegt indes schon mehr als 50 Jahre zurück: 1963 machte der "Schleifer von Nagold" Schlagzeilen. Rekruten wurden mit brutaler Härte traktiert und menschenunwürdigen Schikanen ausgesetzt – bis zu Liegestützen über einem aufgeklappten Taschenmesser. Einer von ihnen, der 19-jährige Gerd Trimborn, überlebte die Tortur nicht.