Der junge Peter Härtling um das Jahr 1957 auf dem Säer in Nürtingen Foto: privat

Die Fritz und Hildegard Ruoff Stiftung in Nürtingen zeigt eine Hommage an einen der bedeutendsten Schriftsteller Nachkriegsdeutschlands: Peter Härtling kam dort 1946 als Geflüchteter an.

Es sind Sätze wie diese: „Das ist wie unverlierbare Vorzeit, wie Kindermärchen und wenn ich abends vor dem Einschlafen Gedanken aussende stoss ich in das Märchenland früher Verzweiflung und Hoffnung – das war die Wegstrecke, auf der wir uns begegneten.“ Worte, die tief fühlen, Bilder im Kopf entstehen lassen, die nicht festlegen, aber doch ermöglichen, sich anzunähern an den Meister der Annäherung. Der Schriftsteller Peter Härtling tippte sie 1959, in Köln weilend, vor einem „unsichtbaren Berg an Aufgaben“.

Härtlings besondere Beziehung zu Nürtingen wird anhand von Schriften gezeigt

In diesem Brief an das Ehepaar Ruoff schildert er, wie es ihm ergeht, wenn er an Nürtingen denkt. Den Ort, wo er 1946 eintraf, nach der Flucht mit Schwester, Großmutter, Tante und Mutter, die im selben Jahr Suizid beging. Dort, wo er es nicht aufgab, „ankommen zu wollen“ und seine geliebte Frau, Arzttochter Mechthild Maier, kennenlernte. Dort, wo er 1948 auf den Maler und Bildhauer Fritz Ruoff und seine Frau, Kunsthändlerin Hildegard Ruoff, traf und mit ihnen lebenslang Freundschaft schloss.

Der Brief ist in der Ruoff Stiftung zu sehen in der Schau „Hommage à Härtling – Der große Klang“. Sie entstand in Kooperation auch mit der „Nürtinger Zeitung“, wo Härtling Volontär war, „Yamin“ genannt, abgeleitet von Benjamin für den Jüngsten. Der Nürtinger Ehrenbürger hätte am 13. November 2023 seinen 90. Geburtstag gefeiert. Nun wird diese besondere Beziehung Härtlings zum Hause Ruoff und Nürtingen beleuchtet, mit Briefen, zum Teil unveröffentlichten literarischen Zeugnissen und Werken Ruoffs der Sammlung Mechthild Härtlings.

Das Tableau aus fünf chronologischen Bereichen beinhaltet Härtlings Ankunft, die Veröffentlichung der ersten beiden – von Ruoff illustrierten – Gedichtbände „poeme and songs“ und „Yamins Stationen“, der Zeit nach Ruoffs Tod. Hinzu kommen Arbeiten und Briefe von Schülerinnen und Schülern des Nürtinger Peter-Härtling-Gymnasiums, die sein Werk und Leben künstlerisch reflektierten.

Schüler reflektieren über den Autor

Zur Eröffnung ist zudem ein Heft der Marbacher Reihe „Spuren“ erschienen, die Thomas Schmidt vom Deutschen Literaturarchiv Marbach herausgibt. Andreas Warausch, Redakteur der „Nürtinger Zeitung“, beschreibt darin Härtlings nicht immer einfache Beziehung zu Nürtingen.

Das bestätigt Mechthild Härtling. „Mein Mann liebte vor allem die Landschaft, die raue Alb.“ In Nürtingen wurde seine Mutter wegen ihres Suizids ohne Kreuz beerdigt, ihr Grab erst spät lokalisiert. Er verließ die Schule wegen Altnazis. Ruoff indes sagte nach der Lektüre der frühen Gedichte: „Jetzt bist du ein Dichter.“ Der Künstler – so alt wie sein Vater – sprach mit ihm als ebenbürtiger Freund über Literatur und Kunst. „Und ich fing an zu schreiben“, heißt es in „Spuren 133“. Warausch und Schmidt betonen denn auch die Reibung mit dem Ort, die Notwendigkeit, in einen nicht endenden Dialog zu gehen, gegen Sprachlosigkeit anzugehen, wie es Härtling intendierte.

In der Schau begegnen etwa Fotos von Tanzstunde, Familienausflug und Verlobung der Härtlings, auf den Punkt gebrachten Notizen und Widmungen – wie auf Härtlings wegweisendem Hölderlinroman – Fritz Ruoffs apokalyptischem Mauerbild, seinem Memento Mori in Hiroshima, dem „Großen Trommler“.

Die Schau zeigt nicht nur Härtling als Autor, Journalist und Herausgeber. Sie ist auch eine Annäherung an seine von Flucht geprägte Identität, der Generation „ohne Hemmung und Behütung“, und damit der deutschen Geschichte, die sich in seinem Werk verdichtet. Damit ist sie höchst aktuell. Wie betont Kulturamtsleiterin Susanne Ackermann, Geschäftsführerin der Ruoff Stiftung? „Es ist die Chance für einen Diskurs.“

Hommage à Härtling – Der große Klang: bis 19.11. in der Ruoff-Stiftung in Nürtingen. Am 18.10. um 19 Uhr findet der Dialog : „Härtling und die Ruoffs – Horizont(e) einer Freundschaft“ statt, Susanne Ackermann im Gespräch mit Andreas Warausch. Anmeldung unter 0 70 22 / 75-358 oder unter: info@ruoffstiftung.de