SPD-Chef Martin Schulz lässt sich von Fraktionschefin Andrea Nahles auf dem Bundesparteitag die Krawatte binden. Foto: dpa

SPD-Chef Martin Schulz will mit der Union „ergebnisoffen“ über die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen sprechen. Bis Mitte Januar soll klar sein, ob diese zustande kommen. Die Bürgerversicherung rangiert in seinem Katalog nicht an vorderer Position.

Berlin - Ein Ja ist ein Ja. Das sollte man festhalten. Denn ein Nein ist nicht immer ein Nein, jedenfalls nicht beim SPD-Vorsitzenden Martin Schulz. Der hatte sich drei Minuten nach Schließung der Wahllokale für die SPD auf die Oppositionsrolle festgelegt. Das aber gilt nun nicht mehr. Einstimmig hat sich gestern die SPD-Führung darauf verständigt, dass die Sozialdemokraten mit der Union nun doch – Ja! – sondieren wollen.

Worüber eigentlich? „Darüber, wie wir zu einer möglichst stabilen Regierungsbildung beitragen können“, sagt Martin Schulz am Freitag nach der Vorstandssitzung. Das soll „konstruktiv und ergebnisoffen“ geschehen. Ergebnisoffen ist das Wort des Monats bei den Sozialdemokraten. Es ist eine Art rhetorischer Stoßdämpfer, der den allzu harten Aufprall der angeblich regierungsunwilligen SPD-Basis auf die Wirklichkeit abfedern soll. Es gebe „keine Festlegung auf eine bestimmte Form der Regierungsbildung“, betont Schulz tapfer. De facto gibt es die schon, denn die Union hat der SPD-Führung klargemacht, dass für sie der Grundsatz „ganz oder gar nicht“ gilt: Entweder die potenziellen Partner gelangen zur Bildung einer großen Koalition, oder es gibt keine Art der Zusammenarbeit.

Sigmar Gabriel sondiert nicht mit

Ob es Wege dahin gibt, soll bis Mitte Januar geklärt werden. Nun liegt so etwas wie ein Fahrplan vor: Am kommenden Mittwoch treffen sich noch einmal die Parteispitzen von Union und SPD in kleinster Runde, um die Gespräche zu organisieren. Dann sollen die Sondierungen beginnen. Für die SPD sind zwölf Personen für das Sondierungsteam nominiert: der Parteichef und seine sechs Stellvertreter, der Generalsekretär, die Fraktionschefin, der NRW-Landesvorsitzende Michael Groschek, der niedersächsische Ministerpräsident Stefan Weil und die saarländische Parteichefin Anke Rehlinger. Bemerkenswert: Sigmar Gabriel ist nicht dabei. Am 14. Januar will die SPD auf einem Sonderparteitag dann beschließen, ob die Partei in formelle Koalitionsverhandlungen eintreten soll.

Das klingt ganz so, als wenn nach der Nabelschau der vergangenen Wochen jetzt wieder eine gewisse Routine einkehrt: Gespräche, Papiere, Zwischenstände, Interviewkriege. Man kennt das aus den Jamaikasondierungen. Falsch, sagt Schulz. Diesmal soll alles ganz anders ablaufen: keine Balkonbilder, kein Twittern von Verhandlungsergebnissen. Infos werde es „nach, nicht während der Verhandlungen geben“. Ein ganz anderer Stil soll einkehren.

Bürgerversicherung nicht oberste Priorität

Wie ja auch eine ganz andere Politik gemacht werden soll, wenn es nach der SPD geht. Es soll „kein Weiter-so“ geben, „eine andere Regierungskultur“ und sicher „keine große Koalition, wie wir sie kannten“. Allerdings vermied es der SPD-Vorsitzende, irgendwelche Bedingungen zu formulieren, rote Linien zu ziehen oder irgendetwas als unverhandelbar zu erklären. Die SPD wolle, dass die neue Regierung einen Modernisierungsschub auslöse. Interessant, welche Bereiche Schulz da zunächst nannte – und welche nicht: „Pflege, Bildung, Sicherung der Renten“ – diese Prioritätenliste gab er vor. Erst auf Nachfrage folgte ein etwas erweiterter Katalog. Da kamen dann auch die befristeten Arbeitsverträge, die Entlastung von Familien, EU-Reform und bezahlbare Mieten vor.

Und die Bürgerversicherung? Von der Parteilinken wird das Thema zum großen Lackmustest ausgerufen. Hier soll die SPD ein Ergebnis ausverhandeln, das den Parteimitgliedern als Beweis dienen soll, dass die SPD in einer Koalition etwas zu gewinnen hätte. Auffallend, wie weit Schulz dieses Symbolthema nach hinten rutschen ließ. Schon sprachlich: Aus dem Einstieg in die Bürgerversicherung wurde bei Schulz „die Verbesserung des Gesundheitssystems, in dem es sehr viele Ungleichheiten“ gebe. Wer mag, kann darin ein Signal an die Union erkennen, ein Zeichen für Kompromissbereitschaft. Jedenfalls war Schulz bemüht zu zeigen, dass die SPD konstruktiv in die Gespräche gehen will. Seine Formel: „Die Unionsparteien nehmen es ernst, wir auch.“ Den Gedanken gibt es auch in einer für die SPD-Basis leichter verdaulichen zweiten Fassung: „Wir werden unseren Beitrag leisten, zu reparieren, was die Jamaikaparteien verdaddelt haben.“