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Die Zukunft der Truppe liegt im Osten. Viele Soldaten kommen aus den den neuen Ländern.  

Berlin - Der Historiker Michael Wolffsohn spricht bereits von einer "Ossifizierung" der Bundeswehr. Er vermutet, dass der Arbeitsmarkt die Entwicklung auch künftig vorgibt. Doch die meisten jungen Ostdeutschen schaffen den Sprung in die Offizierslaufbahn nicht.

Es ist ein sächsischer Grünen-Abgeordneter, der sich Schwarz auf Weiß vom Verteidigungsministerium bestätigen lässt, was ihm und anderen Politikern aufgefallen war, während sie die deutsche Truppe auf dem Balkan oder in Afghanistan besuchten: Es kommen verdächtig viele Zeit- und Berufssoldaten aus Ostdeutschland. Nur zwanzig Jahre nach der Deutschen Einheit hat der Osten aufgeschlossen: Annähernd jeder Zweite, der für die Bundeswehr in einen Auslandseinsatz entsendet wird, stammt inzwischen aus Thüringen, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Brandenburg oder Mecklenburg-Vorpommern. In konkreten Zahlen bedeutet das: Von 6391 Soldatinnen und Soldaten, die im Kosovo, in Bosnien, Afghanistan oder am Horn vor Afrika Dienst tun, sind 3143 ostdeutscher Herkunft (49,2 Prozent). Damit liegt ihr Anteil im Militär deutlich über dem im zivilen Leben, denn nur knapp 20 Prozent aller Deutschen lebt in Ostdeutschland.

So viele Ostdeutsche ihr Heil in einem vor Kündigung sicheren Arbeitsplatz suchen und sich beim Bund verpflichten, so wenig steigen letztlich auf in die höchsten militärischen Ränge. Während 62,5 Prozent in den Mannschaftsgraden dienen, schaffen nur 16,6 Prozent den Sprung auf die Ebene der Stabsoffiziere - vom Major aufwärts. So weit die jüngsten Zahlen. 

Ostdeutsche sind oftmals flexibler

Was aber ist es, das die ostdeutschen jungen Männer dazu bringt, sich für bis zu zwölf Jahre zu verpflichten oder Berufssoldat zu werden? Ist es allein die Aussicht, den Sold durch Auslandsverwendungen wie in Afghanistan um täglich 110 Euro zu erhöhen? "Tatsächlich gibt der Arbeitsmarkt diese Entwicklung vor", sagt der Historiker Michael Wolffsohn, der an der Universität der Bundeswehr München lehrt. "Bei der Bundeswehr gibt es keine Lohnunterschiede mehr zwischen Ost und West oder zwischen Männern und Frauen. Und es gibt auch nicht so viele Bewerber, so dass sich viele Anwärter vom Soldatstatus formell einen sicheren Job versprechen." Zumal die Ostdeutschen oftmals flexibler sind als mancher Mitbewerber aus dem Westen.

Im Zuge des Sparzwangs wurden schon zu viele Standorte geschlossen, als dass die Soldaten darauf beharren könnten, nur in ihrem Wohnumfeld stationiert zu werden. Es sind lediglich 20 Prozent aller Berufs- und Zeitsoldaten, die in den ostdeutschen Bundesländern eingesetzt sind. Dennoch spielen nach einer Erhebung des Sozialwissenschaftlichen Instituts der Bundeswehr etwa 60 Prozent der jungen Männer in Ostdeutschland mit dem Gedanken, sich dem Einsatz mit der Waffe zu widmen; im Westen kommen gerade einmal 40 Prozent auf die Idee.

Bis zu 20.000 Stellen seiner Berufssoldatenstellen besetzt der Bund in jedem Jahr. Berufssoldaten waren zuvor stets Zeitsoldaten, die sich also nach spätestens zwölf Jahren entscheiden, in der Armee zu bleiben. Zehn Prozent aller Zeitsoldaten wählt diesen Weg, rechnet das Verteidigungsministerium vor. Zwei Drittel all jener, die sich als Zeitsoldaten verpflichten, haben sich gleich nach der Schule gemeldet - ohne dass sie Grundwehrdienst geleistet hätten.

Dass gut die Hälfte aller Stellen für Berufssoldaten an Kandidaten aus den neuen Ländern gehen, ist für Wolffsohn ein klares Indiz für eine "Ossifizierung" der Armee. Spielt auch die soziale Herkunft eine Rolle? Ja, sagt Wolffsohn und begründet seine Sorge vor der Entwicklung hin zu einer "Unterschichtenarmee" mit den Worten: "In Ostdeutschland ist ein erklecklicher Teil der bürgerlichen, bildungsbürgerlichen Klientel weggebrochen, weil es dort nicht nur die nationalsozialistische, sondern auch die SED-Diktatur gab, die diese Schicht zerschlagen hat. Entsprechend gibt es bis heute dort wenig Bildungsbürger, die ihren Kindern raten, statt der Bundeswehr doch lieber Kaufmann oder Ingenieur zu werden." Wer wenig Auswahl hat, nimmt, was er bekommen kann, meint der Historiker. "Ich erkläre mir die Ossifizierung mit einer wirtschaftlichen, aber eben auch mit einer sozialen und kultursozialen Entwicklung in der Region dort." Andere Forscher vermuten, dass auch der Anteil von Migrantenkindern zunehmen wird, die ihre Jobperspektive mit der Soldatenlaufbahn sichern wollen. Dazu gibt es jedoch keine belastbaren Zahlen. "Spätestens in den Einsatzgebieten lesen die Vorgesetzten immer mehr fremdländische Namen an deutschen Uniformen - türkische, pakistanische, indische und zunehmen osteuropäische."

Das Verteidigungsministerium hat eine andere Lesart, zumindest mit Blick auf die Ossifizierungstheorie ihres Bundeswehrprofessors Michael Wolffsohn. "Es gibt keinen Trend, der das belegt", sagt ein Sprecher. "Vielmehr sehen wir den Trend, dass immer weniger Städter, dafür aber Soldaten aus ländlichen Regionen zu uns kommen. Das liegt daran, dass Firmen in Ballungsräumen, wo es mehr Bewerber um gute Jobs gibt, auch besser zahlen. Die Bundeswehr kann da nicht mithalten, weil es überall den gleichen Sold gibt." Wer dann in Stuttgart, Hamburg, München, Leipzig oder Dresden auf Jobsuche sei, mache angesichts der hohen Nebenkosten und Mieten dort einen Bogen um eine schlechter vergütete Militärlaufbahn. 

"Eine Verschlankung der Truppe passt genau ins Bild."

Zumindest jene jungen Leute, die so gute Schulabschlüsse haben, dass sie sich die Jobs auswählen können. Drängt es da die so genannten bildungsfernen Jugendlichen angesichts von Wirtschaftskrise und steigender Arbeitslosigkeit nicht nur so zum Bund? "Die Demografie spricht dagegen", behauptet der Fachmann aus dem Ministerium. "In Ostdeutschland ist die Geburtenrate nach der Wende um 50 Prozent zurückgegangen. Jetzt kommen die schwachen Jahrgänge auf den Markt - und die werden wegen des erwarteten Fachkräftemangels sehr umworben sein. Hier ziehen wir wegen der Gehaltsschere gegenüber der freien Wirtschaft eher wieder den Kürzeren." Dass nun die Wehrpflicht zur Disposition steht und möglicherweise ausgesetzt wird, käme dem Bund gerade recht: "Eine Verschlankung der Truppe passt genau ins Bild."

Mehr als 15 Millionen Euro spendierte die Bundeswehr seit 2006 für Werbung in eigener Sache, speziell für die Anwerbung neuer Soldaten. "Einsatz für den Frieden" prangt auch in großen Letter am Berliner Bendlerblock, dem Sitz des Verteidigungsministers - darunter ein Soldat, der ein wenig an Matt Damon in Martin Scorseses Film "Departed - unter Feinden" erinnert. Altersgemäß auch werden Schüler an den Mittelschulen umworben: Die Bundeswehr veranstaltet Abenteuer-Camps und Sportturniere.

Wissen die Zeit- und angehenden Berufssoldaten es besser, was sie im Militäralltag erwartet - in Afghanistan, auf dem Balkan oder am Horn von Afrika? Dass sie am Hindukusch in einigen Regionen Krieg führen müssen? Halten also vor allem Söhne von Ostdeutschen und Migranten dort den Kopf hin, als Konsequenz daraus, dass sie am heimischen Arbeitmarkt kapituliert haben? "Wir fragen nicht nach der Herkunft, wie wollen nur, dass jeder deutsche Soldat unversehrt wieder nach Haus kommt", heißt es aus dem Ministerium, dem Bundeswehrverband und von Politikern aller Parteien. Nicht einmal die Linkspartei wähnt, dass hier "Ossis verheizt" werden. Ein Ausbilder aus dem Raum Leipzig sagt dazu: "Wer sich körperlich geeignet und vom Arbeitsmarkt ansonsten nicht angesprochen fühlt, der fragt nicht nach Politik, sondern erledigt seinen Job. Das ist im Osten wie im Westen so."