Ein Mann steht auf dem Platz des Himmlischen Friedens vor einem Panzer – eine Originalaufnahme. Foto: Screenshot Youtube/AP Archive

Der Gedanke, durch die Zeit zu reisen, hatte schon immer etwas faszinierendes. Das gesamte Videoarchiv der Nachrichtenagentur AP ist nun auf Youtube zu finden und ermöglicht so zumindest eine digitale Zeitreise. Der Trend hat auch das Ländle erfasst.

Stuttgart - Eine Menschenmasse hat sich in der Dunkelheit versammelt und fordert mit lauten Parolen „Zugabe“, während der gelbe Bagger die Mauer Stück für Stück demontiert. Die Menge tobt, in den Gesichtern der Menschen steht Erleichterung, Hoffnung auf Neues. Es ist ein Stück Weltgeschichte, das 1989 mit dem Mauerfall in Berlin geschrieben wurde.

Derartige Emotionen lassen sich sicherlich schwer transportieren, wenn man nicht live dabei war. Eine Zeitmaschine wie im Film "Zurück in die Zukunft" würde vielleicht helfen, solche Momente besser zu begreifen. Doch so weit ist die Technik leider noch nicht. Allerdings gibt es nun die Möglichkeit, digital durch die Zeit zu reisen. Die Nachrichtenagentur Associated Press (AP) hat zum Beispiel seit Juli gemeinsam mit dem britischen Wochenschauarchiv über 550 000 Videos bei Youtube hochgeladen, die ein Stück Weltgeschichte preisgeben.

Videos aus 120 Jahren Zeitgeschichte

Bis 1895 reichen die Filme im Online-Archiv zurück. Sie dokumentieren etwa die Szenen der Verhaftung von Martin Luther King oder zeigen, wie sich ein chinesischer Demonstrant auf dem Platz des Himmlischen Friedens vor den heranfahrenden Panzer stellt. Der Fahrer versucht zunächst ihm auszuweichen und bleibt schließlich stehen. Ein Symbolbild des Pazifismus entsteht.

AP möchte mit seinem Archiv laut eigenen Informationen ein modernes und für alle zugängliches Portal schaffen, um Geschichte begreifbar zu machen und sich von ihr inspirieren zu lassen. Auch Stuttgarter Themensind dort archiviert, beispielsweise Videoaufnahmen einer Demonstration vor dem Stammheimer Gefängnis. Dort hatte sich kurz zuvor die RAF-Terroristin Ulrike Meinhof angeblich erhängt.


Über 8000 Filme aus dem Ländle bald auch online

Der Trend, Videoarchive zu digitalisieren und somit der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, hat auch den Südwesten erreicht. So wird derzeit die Landesfilmsammlung Baden-Württemberg digitalisiert. Mehr als 8000 Filme mit regionalem Bezug sollen künftig auf doksite.de zu sehen sein. Das Portal befindet sich gerade noch in einer Beta-Version, es lassen sich allerdings schon ein paar Schätze der regionalen Geschichte begutachten. Man findet dort zum Beispiel die ersten Bilder der Steiff-Fabrik in Giengen an der Benz, die 1908 gebaut wurde.

„Der besondere Charme an unseren Videos ist, dass viele von ihnen semi-professionell, also von Amateuren, gefilmt wurden. Das verleiht den Geschichten einen anderen Blickwinkel“, sagt Anna Leippe, die das Online-Archiv im Haus des Dokumentarfilms betreut. Die Sammlung dient nicht nur interessierten Zuschauern, sondern auch professionellen Filmemachern, die hochauflösendes Filmmaterial etwa für ihre Dokumentarfilme benötigen. Gegen eine Gebühr können Sie sich das Material künftig im Internet herunterladen anstatt wie zuvor eine DVD oder Videokassette in der Landesfilmsammlung abzuholen.

In Zukunft soll das Online-Archiv den Nutzern eine bessere Orientierung durch eine Zeitleiste und eine interaktive Landkarte bieten, um die Filme zu verorten. „Das sind Mehrwerte, die wir mit unserem Archiv im Vergleich beispielsweise zu Youtube liefern können“, sagt Leippe. Egal ob mit Youtube oder mittels eines anderen Kanals – die Aussicht dank der Digitalisierung ohne Fluxkompensator, mit dem Marty McFly in "Zurück in die Zukunft" durch die Zeit reiste, Einblicke in die Vergangenheit zu erhalten, macht Lust auf Geschichte.