Skispringer kurz vor dem Absprung: Neue Technik macht das Springen sicherer Foto: dpa

Eigentlich macht die Firma Ceram-Tec aus Plochingen ihr Geld mit Spezialkeramiken für Medizintechnik, Rüstung und Elektronikindustrie. Seit einiger Zeit verhilft man aber auch Wintersportlern zu Höchstleistungen - so auch bei Olympia im russischen Sotschi.

Plochingen - Eigentlich macht die Firma Ceram-Tec aus Plochingen ihr Geld mit Spezialkeramiken für Medizintechnik, Rüstung und Elektronikindustrie. Seit einiger Zeit verhilft man aber auch Wintersportlern zu Höchstleistungen.

Manchmal entstehen gute Ideen aus einer Laune heraus. Anfang des Jahrtausends saßen einige Mitarbeiter der Plochinger Firma Ceram-Tec auf einer Skihütte in den Alpen und diskutierten bei einem Bier über ihren Lieblingswerkstoff Keramik. Wie könnte man dessen überlegene Produkteigenschaften auf neue Anwendungsbereiche übertragen, fragten sich die skibegeisterten Ingenieure. Die hervorragende Gleitfähigkeit, die das sehr harte Material etwa für Gelenkprothesen nahezu unverzichtbar macht – wäre das nicht auch etwas für internationale Top-Athleten und ihre Sportgeräte?

Ziemlich zügig sei man beim Nachdenken beim Skispringen gelandet, sagt Eduard Kropp, der bei der Plochinger Keramik-Schmiede für Spezialanwendungen zuständig ist. Der Grund: Die Wettkampfvorbereitung der Skiflieger war in den vergangenen Jahrzehnten ziemlich unkalkulierbar. Immer wieder funkte das Wetter dazwischen. Nicht selten mussten Trainingseinheiten wegen ausbleibenden Schnees abgesagt werden. Im Zweifel mussten die Springer in den Übergangsjahreszeiten auf glitschigen, nur notdürftig vereisten Anlaufspuren trainieren. Perfekt mit Schnee und Eis präpariert werden konnten die Schanzen oft erst im Frühwinter. Aber ist Schnee als Unterlage überhaupt nötig? Ginge da nicht auch Keramik? Immerhin ist der Werkstoff extrem abriebfest und gleitfähig.

Zu Hause in Plochingen setzten sich einige Ceram-Tec-Ingenieure an das Thema. In kurzer Zeit hatten die Schwaben, die sonst Keramikteile für Smartphones, ICE-Züge, Kampfpanzer oder die Medizintechnik herstellen, eine neuartige Anlaufspur für Skischanzen entwickelt. Auf Keramiknoppen gleiten die Sportler auf ihr gen Tal. Training ist so auch im Sommer möglich. Die Spur kommt dann ganz ohne Schnee oder Eis aus. Für die Sportler fühlt es sich aber so an, als wäre welches vorhanden, sagt Ceram-Tec-Chef Ulf-D. Zimmermann. „Das ist ein enormer Vorteil.“

Als erste Anlage weltweit rüstete man die Paul-Außerleitner-Schanze in Bischofshofen, auf der auch ein Springen der Vierschanzentournee stattfindet, mit der Keramik-Sprungbahn aus. Seit elf Jahren funktioniere das System, ohne jemals ausgefallen zu sein, sagt Kropp.

Die Zuverlässigkeit der Technik, die eine Auslastung der Anlagen übers gesamte Jahr hinweg ermöglicht, sprach sich in der kleinen Springerszene herum. 15 Schanzen, sagt Kropp, habe man mittlerweile mit den Keramikbahnen ausgestattet. Auch jene in Oberstdorf und im sächsischen Klingenthal. Bei weltweit rund 150 großen Sprunganlagen sei das Potenzial enorm, sagt Zimmermann. Immerhin kostet eine komplette Sprungspur nebst automatischer Vereisung in Fräsmaschinen für die Anlaufspuren zwischen einer und 1,5 Millionen Euro.

Sogar im fernen Sotschi kann man derzeit Vollzug vermelden. Ab Freitag werden dort Olympia-Athleten über Pisten brettern und in Eishallen ihre Pirouetten drehen. Die Skispringer indes fahren auf Keramik abwärts. Sowohl die Groß- als auch die Normalschanze seien mit dem Spezialmaterial ausgestattet, sagt Kropp.

Tatsächlich scheint sich die Technologie durchzusetzen. Der internationale Skiverband Fis diskutiere derzeit, die Systeme zur Pflicht bei Weltcup-Turnieren zu machen, sagt der 40-Jährige. Derzeit verhandle man in Japan und Kanada über die Einführung der flutschigen Bahnen.

Neben der viel besseren Auslastung, die die Keramik-Rampen den Schanzenbetreibern ermöglichen, spielen dabei auch handfeste Sicherheitsaspekte eine Rolle. Immer wieder kommt es wegen ausgefranster Anlaufspuren zu schweren Unfällen. Bei Geschwindigkeiten von rund hundert Kilometern pro Stunde am Schanzentisch reichen kleine Unregelmäßigkeiten in den vereisten Spurrillen, um die Springer aus der Bahn zu werfen. Das neue System verhindere dies, sagt Kropp. Die Ski werden dabei seitlich durch Kunststoffe geführt. Ein Ausscheren der langen Latten sei fast nicht möglich.

Ceram-Tec ist indes nicht die einzige Firma, die die Springer in Sotschi beflügeln will. Design und Architektur der Schanzen kommen aus dem badischen Gaggenau. Das dort ansässige Architektenbüro Kohlbecker hat neben dem Themenpark auch die Skisprungschanzen entworfen und sich damit als Neueinsteiger gegen etablierte Konkurrenz durchgesetzt.

Ceram-Tec hat nun auch andere Sportarten im Visier. Im Dezember präsentierten die Keramik-Bäcker der verdutzten Öffentlichkeit erstmals Curlingsteine mit speziellen Keramik-Laufflächen.

Ungewöhnlich, denn im als ziemlich traditionsbewusst geltenden Curling-Sport war Innovation lange Zeit ein Fremdwort. Allerdings war frischer Wind auch ziemlich nötig. Stetiger Abrieb veränderte die Gleiteigenschaften der seit anno dazumal vollständig aus Granit gefertigten Steine nach einiger Zeit erheblich. Immer unberechenbarer trudelten die rundlichen Steine im Lauf der Wettkämpfe auf dem Eis umher.

Die Laufflächen der Ceram-Tec-Spielsteine werden nun aus Keramik gefertigt und sind daher „extrem abriebfest“, sagt Kropp. Bisher werden sie zwar nur testweise eingesetzt. Bei den Sportlern sei die Resonanz aber enorm. Der zuständige Curling-Weltverband arbeite gerade an der Zertifizierung des Systems.