Jede Operation birgt Risiken. Das gilt auch für die politische Operation zur Zukunft des Ortenau-Klinikums, über die der Kreistag abzustimmen hat. Foto: Anspach Foto: Schwarzwälder Bote

Krankenhaus-Zukunft: Vor der Entscheidung im Kreistag ist die Stimmung auf dem Tiefpunkt angelangt

Wie soll das Ortenau-Klinikum 2030 aussehen? Mit acht, neun oder den vom Landrat favorisierten nur vier Standorten? Am Dienstag entscheidet der Kreistag. Ein neuer Vorschlag flatterte jetzt auf den Tisch. Es bleibt bis zuletzt spannend.

Ortenau. Operationen im Krankenhaus sind hierzulande sichere Angelegenheiten. Die Ärzte arbeiten routiniert, unterstützt von viel Technik. Da passiert selten ein Unglück. Doch hundertprozentige Sicherheit auf einen glücklichen Ausgang gibt es nie. Ganz ähnlich stellt sich die schwierige politische Operation im Kreistag dar, bei der er am kommenden Dienstag zum Skalpell greifen und die Zukunft der Kliniken in der Ortenau bearbeiten soll. Vor Kurzem schien das eine Routine-OP. Doch plötzlich ist alles wieder spannend.

Wie ist die Stimmung?

So schlecht wie lange nicht. Hinter den Kulissen gärt es brutal. Die Gegner und Befürworter der Agenda 2030 beharken sich bis aufs Blut, um im OP-Bild zu bleiben. "Eine solche Stimmung gab es in der Ortenau noch nie", meint ein einflussreicher Kreisrat. Die Entscheider telefonieren, was das Zeug hält, versuchen Mehrheiten zu sammeln und ihre Positionen zu stärken.

Was macht Landrat Frank Scherer?

Der Druck auf ihn wird größer, und er beginnt, unruhig zu werden, spüren Beobachter. Kein Wunder. Dass Landräte eigene Kliniken schließen, das ist extrem selten.

Was hat der Krankenhausausschuss empfohlen?

Mitte Juni stimmte er mehrheitlich für eine Reduzierung der Standorte. Allerdings geschah dies nicht en bloc, sondern schrittweise – über jeden Absatz der Vorlage wurde einzeln abgestimmt. Einstimmigkeit herrschte dabei nie.

Was macht Lahr?

Die Kreisräte aus Lahr dürften wohl alle für das Modell der vier Häuser stimmen. Denn Lahr wird der Status eines Hauses der Maximalversorgung zugesichert. Die Lahrer bleiben aber vorsichtig. Ob der Standort am Ende Abteilungen abgeben muss, etwa nach Offenburg, bleibt spannend. Da ist das Vertrauen nicht wirklich riesig, zumal nach dem Abzug der Klinikapotheke nach Offenburg.

Was macht Ettenheim?

Kämpft wie ein Löwe für sein Krankenhaus. Allen voran Bürgermeister Bruno Metz, der nichts unversucht lässt, die Entscheidung zum Ettenheim-Aus abzuwenden oder zumindest zu verschieben.

Was macht Kehl?

Auch kämpfen. Kehler Kreisräte haben einen überparteilichen Antrag eingereicht. Der zielt darauf ab, den Standort Kehl aus der Agenda-Planung zu streichen. Damit stellen sich OB Toni Vetrano und seine Mitstreiter gegen die Schließung des Standorts. Zustimmen werde er der Agenda 2030 nicht, sagt Vertrano.

Was macht Offenburg?

Die beiden Standorte Ebertplatz und St.  Josefsklinik sollen an einem neuen Ort zusammengeführt werden. Die Entscheidung über den Standort ist noch nicht getroffen. Von diesem ist allerdings die Struktur gerade im nördlichen Ortenaukreis abhängig.

Was macht das Kinzigtal?

Dort ist der Standort Wolfach garantiert. Damit dürften die Kinzigtäler Kreisräte für den Vier-Häuser-Plan votieren.

Was will der neue, fraktionsübergreifende Antrag?

Er zielt auf eine Zweistufigkeit der Abstimmung. Elf Räte quer durch alle Fraktionen haben ihn am Freitag unterzeichnet. Sie fordern: Erst die Grundlagen für Offenburg und Lahr klären, Achern und Wolfach stützen – und über die Zukunft von Ettenheim, Kehl und Oberkirch erst später entscheiden. Nicht schon am Dienstag. Auch solle eine neue Konzeption gestartet werden. Kreisgrenzen dürften kein Hindernis sein.

Was will die Linke?

Ihr Kreisrat Fritz Preuschoff hat sich früh gegen die Agenda 2030 ausgesprochen. Zudem hat das Regierungspräsidium aufgefordert, die Entscheidung des Kreistags von 2017 zum "Modell Landrat" rechtlich zu prüfen. Preuschoff sieht eine Befangenheit bei Oberkirchs OB Braun: Der hätte nicht abstimmen dürfen.

Sind alle 87 Kreisräte bei der Abstimmung dabei?

Nein. Sicher ist: Die FWO, mit 18 Mitgliedern zweitgrößte Fraktion, wird nicht komplett sein: Drei Räte hätten sich abgemeldet, sagt Freie-Wähler-Fraktionschef Jürgen Nowak. Auch die größte Fraktion wird nicht vollständig sein: Deren Vorsitzender Klaus Muttach teilt mit, dass ein Kollege im Ausland weilt. Ob die anderen Fraktionen komplett erscheinen werden, ist nicht klar. Bei den Grünen geht man jedoch davon aus, dass ihre Kreisräte alles anwesend sein werden. Allerdings gilt: Abwarten. Erst am Dienstag um 14 Uhr steht fest, wer im Saal sitzt – und wer nicht.

Was wird herauskommen?

Selbst auf der Kritikerseite rechnen viele mit einer Mehrheit für den 4-Häuser-Plan des Landrats. Aber die Stimmung ist derzeit so aufgeheizt, da scheint alles möglich.

Was bleibt?

Auf jeden Fall tiefe Wunden, auf allen Seiten. "Diese Sache verändert die Zusammenarbeit im Landkreis auf lange Sicht ganz gewaltig", schätzt einer der Fraktionsvorsitzenden. "Da ist nichts mehr so, wie es vorher war. Da blieb zu viel Vertrauen auf der Strecke." Die Klinik-Entscheidung vom Dienstag, sie wird ihren bitterbösen Nachhall bei vielen künftigen Entscheidungen in der Ortenau haben.

Aktuell gibt es neun Standorte des Ortenau-Klinikums: zwei Häuser in Offenburg sowie die in Lahr, Kehl, Gengenbach, Achern, Oberkirch, Ettenheim und Wolfach. Die Schließung von Gengenbach ist zum Jahresende vorgesehen. Mit den restlichen acht soll nach Ansicht von Landrat Frank Scherer und Klinikumsgeschäftsführer Christian Keller Folgendes passieren: Wolfach und Lahr sollen beibehalten, Offenburg an einem Standort gebündelt und Achern ausgebaut werden. Am Dienstag, 24. Juli, steht die Debatte auf der Tagesordnung des Kreistags. Die öffentliche Sitzung beginnt um 14 Uhr. Es wird mit vielen Zuschauern gerechnet.