Die Debatte um die Zuverlässigkeit des Sturmgewehrs G36 des Oberndorfer Waffenherstellers Heckler & Koch geht weiter. Foto: dpa

Ergebnisse zu Standardgewehr der Bundeswehr liegen vor. Oberndorfer Waffenhersteller Heckler & Koch sorgt sich um Ruf.

Berlin/Oberndorf - Wer dieser Tage die Internetseite von Heckler & Koch (HK) aufruft, dem springt Lob entgegen – Lob für das G36, das Standardgewehr der Bundeswehr, das derzeit heftig kritisiert wird. Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) hatte vor Kurzem eine Debatte um Treffungenauigkeiten angefacht. Seitdem übertreffen sich tatsächliche und selbst ernannte Experten in Einschätzungen darüber, ob das G36 denn nun verlässlich ist oder nicht. Die breite Öffentlichkeit, die mit Schnellfeuerwaffen zumeist nichts am Hut hat, rätselt mit.

Die Waffenschmiede aus Oberndorf (Kreis Rottweil) jedenfalls glaubt fest an die Funktionsfähigkeit. Also stehen auf der Webseite offenbar Zuschriften, die HK in der vergangenen Zeit erhalten hat. Herr S. schreibt beispielsweise: "Ihnen und dem Rest der Branche ist klar, dass wir bei G36 nicht von unpräzise sprechen, sondern von natürlicher Überhitzung und der daraus folgenden Streuung. Bleiben Sie weiter am Ball, lassen Sie sich nicht unterkriegen."

Was HK damit – und mit all den anderen Stellungnahmen – versucht, ist klar: das Image der Waffenschmiede zu retten. Denn dieses hat Kratzer bekommen. Das ist nicht gut fürs Geschäft. Entsprechend entschieden wehrt sich HK gegen Rufschädigung und aus Unternehmenssicht haltlose Vorwürfe. "Die Ministerin ist keine Sachverständige für Gewehre", sagt auch der Sprecher des Verteidigungsministeriums, Jens Flosdorff.

Der erste Untersuchungsbericht zum G36 liegt seit Freitag Abend vor. An dem 372 Seiten starken Gutachten haben der Bundesrechnungshof, das Ernst-Mach-Institut der Fraunhofer-Gesellschaft, eine Wehrtechnische Dienststelle der Bundeswehr und das Wehrwissenschaftliche Institut für Werks- und Betriebsstoffe mitgearbeitet.

Sie stellen darin mehrere Probleme fest. In puncto Erhitzung bei Dauerfeuer werde das G36 konstruktionsbedingt deutlich heißer als Vergleichswaffen. "Dies führt dazu, dass eine Abnahme der Treffwahrscheinlichkeit beim G36 bereits bei geringen Schusszahlen mit allen untersuchten Munitionssorten und -losen auftritt." Bei einer Veränderung der Außentemperaturen verringere sich die Treffwahrscheinlichkeit "in teilweise erheblichem Umfang". Die Präzisionsprobleme seien im Bereich 15 bis 45 Grad Celsius am stärksten ausgeprägt. In puncto Feuchtigkeit heißt es: "Der Wechsel zwischen trockener und feuchter Umgebung führt beim G36 zu vergleichbaren Einschränkungen wie eine Änderung der Umgebungstemperatur." Die Probleme stellten sich allerdings deutlich langsamer ein. Bei seitlicher Sonneneinstrahlung verziehe sich das Waffengehäuse und verlagere sich der Treffpunkt des Gewehrs. Die Treffgenauigkeit unterscheide sich zwischen den Munitionen zwar teilweise um 35 Prozentpunkte. Das Präzisionsproblem gebe es aber auch mit den besten Patronen.

Zudem wurde am Freitag bekannt, dass von der Leyen zwei weitere Untersuchungen startet: Eine Expertengruppe unter Leitung des Grünen-Politikers Winfried Nachtwei soll bis zum 1. Oktober 2015 prüfen, ob Soldaten im Einsatz durch Präzisionsprobleme bei dem Gewehr gefährdet worden sind. Eine weitere Kommission unter Leitung des Commerzbank-Aufsichtsratsvorsitzenden Klaus-Peter Müller, die nach Schwachstellen in der Organisationsstruktur des Ministeriums und der Bundeswehr suchen wird, soll ihre Arbeit bis zum 30. November abschließen.

Der Opposition sind die Untersuchungen nicht genug: Nach Angaben der Grünen wurden trotz Hinweisen auf Probleme von 2013 bis 2015 insgesamt 18 Millionen Euro für G36-Gewehre in den Verteidigungshaushalt eingestellt. "Ursula von der Leyen gibt die große Aufklärerin, dabei wurden auch in ihrer Amtszeit noch G36 beschafft, obwohl sie längst wissen musste, dass das Sturmgewehr große Mängel aufweist", sagte der Grünen-Politiker Tobias Lindner dem "Spiegel". Ähnlich äußerte sich der Linke-Abgeordnete Jan van Aken. "Ursula von der Leyen irrt, wenn sie glaubt, den G36-Skandal auf ihre Vorgänger abwälzen zu können."

Von der Leyen lässt Schadenersatzklage nun doch prüfen

Kein Wunder, dass das Verteidigungsministerium jetzt flott Handlungsfähigkeit demonstrieren will  – es prüft nun doch eine Schadenersatzklage wegen möglicher Präzisionsprobleme  gegen HK. Flosdorff betonte allerdings: "Auf Basis der bislang zum Sachverhalt vorliegenden Unterlagen ist noch keine belastbare Grundlage des Bundes gegen die Firma Heckler & Koch ersichtlich." Nach bisherigem Kenntnisstand sehe es so aus, "dass es wahrscheinlich keinen Schadenersatzanspruch gibt".

Schadenersatzforderungen – sollte es so weit kommen – könnten für das Unternehmen teuer werden. Knapp 180.000 G36-Sturmgewehre haben die Oberndorfer schließlich in den vergangenen zwei Jahrzehnten an die Bundeswehr geliefert. Derzeit sind laut Ministerium noch rund 167.000 im Einsatz. Die Kritik lautet: Feuere ein Soldat längere Zeit, erhitze sich der Lauf des G36 so, dass ein sicheres Treffen nicht mehr möglich sei. HK hat auf diese Anschuldigungen aus dem Jahr 2013 mit einer aufwendigen Versuchsreihe reagiert und eine Auswahl von Waffen verschiedener Lose den beschriebenen Einsatzbedingungen unterzogen.

"Der von der Bundeswehr definierte EBZ (Einsatznaher Beschuss-Zyklus) sieht dabei als Test ein einsatztaktisches Worst-Case-Szenario vor, bei dem der Soldat aus einem G36 in weniger als 20 Minuten seinen gesamten Tagesvorrat von 150 Patronen verschießt", erläutert  Waffenexperte Udo Lücken im "Newsletter Verteidigung". Die Waffe sei 1992 bei der Formulierung ihrer Anforderung durch die Bundeswehr jedoch gar nicht für diese damals ohnehin "untypische Kampfweise" konzipiert gewesen. Trotzdem sei man zum Ergebnis gekommen: "Alle von der Bundeswehr geforderten Anforderungs- und Leistungsparameter sind umfänglich erfüllt worden."

Das G36 sei im Rahmen des Wehretats schrittweise den technischen Anforderungen angeglichen worden. Trotzdem stellt der Experte klar: "Das G36, das aktuell bei der Bundeswehr und vielen Armeen der Nato geführt wird, ist nicht mehr auf dem neuesten Stand des technisch Machbaren, denn es ist ein Kind seiner Zeit. Diese Zeit war 1996. Dort war eben nicht die Leistung des Einzelschützen maßgeblich, sondern die kumulierte Kampfkraft von Großverbänden", so Lücken.

Trotz der öffentlichen Kritik stehen die 645 Mitarbeiter ebenso hinter dem Unternehmen wie Oberndorfs Bürgermeister Hermann Acker: "Die Polizei, die in den Krisenherden auf der Welt eingesetzten Bundeswehrangehörigen und weitere Einsatzkräfte der Nato haben bislang großen Wert auf die in Oberndorf hergestellten Geräte gelegt." HK selbst hatte den Soldaten jüngst versichert: Auf das G36 ist Verlass.