Gemeinderäte treffen wichtige Entscheidungen für die Kommunen, aber zunehmend weniger Menschen beteiligen sich an der Abstimmung. Foto: Weißbrod

Immer weniger Menschen geben Stimme ab, dafür werden Quoren bei Volksabstimmungen gesprengt.

Oberndorf - Ein Phänomen zeigt sich landauf, landab: Die Beteiligung bei kommunalen Wahlen sinkt, dafür werden die Quoren bei Volksabstimmungen regelrecht gesprengt. Eine Wende in der Politik?

Erst wenige Tage ist es her, dass in Lörrach der Urnengang zur Wahl des Oberbürgermeisters anstand. Lediglich 30,1 Prozent der Wahlberechtigten beteiligten sich an der Abstimmung über das neue Stadtoberhaupt. Dabei wird er in den kommenden acht Jahren die Geschicke von Lörrach lenken.

Dieser Fall steht exemplarisch für Wahlen in Städten und Gemeinden, denn der Trend geht zu einer immer geringeren Wahlbeteiligung vonseiten der Bürger – sowohl in Großstädten wie Stuttgart als auch in den ländlichen Regionen. Diesen Trend belegen auch die Zahlen des statistischen Landesamts Baden-Württemberg: 1994 gaben 66,7 Prozent der Bürger ihre Stimme bei der Kommunalwahl ab, in diesem Jahr waren es nur noch 49,1 Prozent.

Und das, obwohl die Menschen dadurch direkt entscheiden können, wer ihre Meinung in den Kreis- und Gemeinderäten vertritt – und was somit direkt im eigenen Ort geschieht. "Mich stört der Rückgang der Wahlbeteiligung auf kommunaler Ebene ehrlich gesagt ganz heftig. Mir fehlt schlichtweg das Verständnis dafür, wie man sich nicht für die Angelegenheiten vor der eigenen Haustür interessieren kann", kritisiert der Politologe Lothar Frick, der die Landeszentrale für politische Bildung (LpB) in Baden-Württemberg leitet.

Er sieht die Wurzel des Problems aber nicht erst bei der Stimmabgabe: "Wenn sich viele schon für eine Kandidatur zum Gemeinderat zu schade sind, dann braucht man sich nicht zu wundern, wenn weniger Leute wählen gehen." Die Ursache für das Desinteresse an Kommunalwahlen kann auch der Politologe nicht genau erklären. "Manche Experten sagen, viele Leute seien politikverdrossen, andere sagen, geringe Wahlbeteiligungen seien auch ein Ausdruck an Zufriedenheit mit der Demokratie. Wahrscheinlich ist es eine Mischung aus vielen Ursachen", führt er an.

Seit einigen Jahren lasse sich zudem feststellen, dass in einkommensschwächeren Schichten "das Interesse an Politik rapide abgenommen hat". Auch die "Ausdünnung des Gemeinschaftskunde-Unterrichts an den Schulen" mache sich bei den Wahlen inzwischen bemerkbar.

Dem Desinteresse beim Thema Wahlen steht die hohe Beteiligung bei Bürgerentscheiden entgegen. Bei der Abstimmung über den Bau eines Großgefängnisses in Tuningen (Schwarzwald-Baar-Kreis) beispielsweise hatten bereits zur Mittagszeit mehr als 50 Prozent der Bürger ihre Stimme abgegeben – das Quorum von 25 Prozent war damit bereits sehr schnell weit überschritten. Am Ende waren es 74 Prozent.

Politologe: Bürger müssen in Entscheidungen eingebunden werden

Die grün-rote Landesregierung legte im Mai Eckpunkte für eine Senkung der Quoren vor. Dagegen spricht sich die Kommunalpolitische Vereinigung (KPV) der CDU in der "Freudenstädter Erklärung" aus – mit der Begründung, dass sich Bürger, die sich ehrenamtlich als Kommunalräte engagieren, bereits aktiv beteiligten – und in Kontakt zu den anderen Menschen im Ort seien.

Politologe Frick meint, über dieses Thema könne lange diskutiert werden. "Liegen die Quoren hoch, ist die Wahrscheinlichkeit des Zustandekommens oder der Gültigkeit eines Volksentscheid geringer. Liegen sie tief, wächst die Gefahr, dass relativ kleine Minderheiten etwas entscheiden, was dann für alle gilt." Wichtig sei auf jeden Fall, die Bürger in Entscheidungen einzubinden – ein Argument, das auch die KPV und die Landesregierung anführen.

Der Politologe plädiert für eine stärkere Öffnung der Parteien, die "oft nur noch als Apparate für Machterwerb und Machterhalt angesehen werden und nur noch selten als lebendige, offen diskutierende Organisation". Denn er ist davon überzeugt: "Eine Volkswahl ist durch nichts zu ersetzen. Es gibt keine höhere demokratische Legitimation – und sie wird umso höher, je besser die Wahlbeteiligung ist." Direkte Demokratie könne dabei "eine sinnvolle Ergänzung zur parlamentarischen Demokratie sein".