Kaum taucht Gäutschling Lars Otto auf, gibt es nochmal einen Schwall Wasser ins Gesicht, diesmal von Kollegin Ulrike Stockmann. Foto: Cools

Gautschfeier ist Brauch aus 16. Jahrhundert. Auch "ehrenvoller Trunk aus dem Humpen" darf nicht fehlen.

Oberndorf - Ein Mann, der nichtsahnend von seinen geschätzten Kollegen gepackt und in eine Bütt voll kalten Wassers getaucht wird - was so martialisch klingt, ist ein Jahrhunderte alter Brauch, der vor allem den Zuschauern große Freude bereitet.

"Ist das Wasser kalt?", fragt Felix Schmidt mit bangem Blick auf die gut gefüllte Bütt. Weil er aktuell auf Krücken unterwegs ist, entgeht er dem eiskalten Bad. Nun, nicht ganz: So viel sei verraten. Auch er wird nicht trocken bleiben.

"Die Gäutschlinge ahnen gar nichts", sagt ein Mitarbeiter der Firma "Ottodruck" auf dem Lindenhof feixend. Vor langer Zeit hat er die selbe Prozedur über sich ergehen lassen. Nun ist er Zuschauer. "Unser Kollege hat Felix gesagt, die Maschine sei kaputt. Und da er unser Profi ist, kam er mit", berichtet der Mitarbeiter. Damit ist der Auszubildende im bereich Digitaldruck in die Falle getappt. Prompt wurde er von den Mitarbeitern nach draußen bugsiert. Und als er die Wanne sah, war klar, was ihm blühte.

Das Gautschen ist ein Brauch, der bis ins 16. Jahrhundert zurückverfolgt werden kann. Dabei werden die Buchdrucker-Lehrlinge nach bestandener Abschlussprüfung in einer Bütte untergetaucht.

Nun wird ein Zweiter angeschleppt. Es handelt sich um Lars Otto, den Sohn des Chefs. Dass er das ist, hilft ihm nun aber auch nicht. Er hat das Drucktechnik-Studium beendet und soll den Betrieb übernehmen. Vorher muss er jedoch die Taufe überstehen. Die Schuhe darf er vorher ausziehen - seine Kollegen sind ja keine Unmenschen. Unsicher streicht er sich mit einer Hand die Frisur glatt. "Die sieht man später sowieso nicht mehr", sagt eine Kollegin lachend.

Die jungen Männer fröstelt es schon auf dem mit einem triefend nassen Schwamm besetzten Stuhl. "Bei uns war das Wasser damals eiskalt", meint ein anderer Mitarbeiter und winkt ab. Über eine Erkältung müssen sich die Gäutschlinge tatsächlich keine Sorgen machen. Bei 26 Grad Celsius dürfte eine Abkühlung willkommen sein. Ihre Gesichter sagen jedoch etwas anderes aus.

Früher ein richtiges Gelage

"Wir sind nun vereint, um unsere Herren Kornuten nun einzureih’n in den Kollegenkreis", ergreift Gautschmeister Horst Schlotterbeck das Wort. Währenddessen beginnen die Schwammhalter schon mit der Säuberung der Schützlinge. "So lasst die Wasser laufen, lasst uns die Burschen taufen. Johannes Gutenberg zu Mainz am Rhein, er mag im Geiste Zeuge sein", sagt der gelernte Buchdrucker und gibt den Mitarbeitern das Zeichen.

Vier Männer packen Lars Otto und tauchen ihn in das Becken mit eiskaltem Wasser. Als der junge Mann auftaucht, bekommt er gerade nochmal einen Eimer Wasser ins Gesicht. Die Kollegen wollen sichergehen, dass er auch wirklich sauber ist.

Felix Schmidt geht aber auch nicht leer aus. Ihm werden mehrere Eimer Wasser über den Kopf und in den Kragen gegossen. Triefend nass sitzen die Beiden wieder auf ihren Stühlen, als Schlotterbeck abermals das Wort ergreift. "Kornuten, in Wahrung von Brauch und Sitte habt ihr im Namen von Altvater Gutenberg die Wassertaufe ad posteriorum empfangen. Damit soll symbolisch gezeigt sein, dass es notwendig war, den Unfug, die Fehlerhaftigkeit, die Murrerei und Hudelei der Lehrzeit zu beseitigen und abzuwaschen", erklärt der Gautschmeister. "Fehler und Makulatur soll es ab jetzt nicht mehr geben."

Nun müssen die Gäutschlinge dem Meister nachsprechen: "Es sei küftig mein Bestreben stets ein tugendhaftes Leben". Ganz ohne unterdrücktes Lachen bekommen die jungen Männer das nicht hin. Nach dem "weihevollen Akt" wird der Ritus mit einem "ehrenvollen Trunk aus dem Humpen" besiegelt.

"Nun müssen sie noch alle zum Essen einladen", erklärt Schwammhalterin Ulrike Stockmann. Auch sie wurde einst gegautscht. "Früher hat eine Gautschfeier eine Woche gedauert. Das war ein Gelage, und der erste Gesellenlohn ging nur dafür drauf. Inzwischen wartet man, bis mehrere Azubis soweit sind, damit sie sich die Kosten teilen können."

Die beiden Gäutschlinge sehen jedoch so aus, als würden sie liebend gern alles Geld der Welt für ein trockenes Hemd hergeben. Das bekommen sie nicht, dafür aber einen Gautschbrief, der auf ewig bezeugt, dass sie die Taufe erfolgreich gemeistert haben.