Vortrag: Klaus G. Kaufmann zeichnet Bild eines geächteten Berufs / Geschickte Wundärzte und Chirurgen
Oberndorf. Zum Vortrag "Scharfrichter und Abdecker... auch eine Familiengeschichte" begrüßte Andreas Kussmann-Hochhalter, der Leiter des städtischen Archivs und des Museums im Schwedenbau, neben dem Referenten, dem Heimatforscher Klaus G. Kaufmann aus Haslach, eine stattliche Zahl an Zuhörern.
Kaufmann gab zu, dass es sich um ein "blutrünstiges" Thema handle, und er erzählte wie er zur Beschäftigung damit gekommen sei. Bei einem Familientreffen der "Seidel"-Familie, zu der er auch gehöre, hat jemand darauf verwiesen, dass viele Männer dieses Namens (auch in unterschiedlicher Schreibweise) Scharfrichter, unter anderem in Oberndorf, waren. Er wollte aus Halbwissen fundierte Familiengeschichte machen und begann mit der Arbeit. Oberndorf sei eines der Zentren der Seidel-Familie gewesen, ein anderes Haslach.
Der Referent stellte zwei mitgebrachte Handwerkzeuge des Scharfrichters vor: die Nachbildung eines Richtschwertes, das nie eine Spitze hatte, und eine Halsgeige, denn der Scharfrichter musste auch jemanden an der Ehre bestrafen. Sein Einkommen erwirtschaftete er vorwiegend durch das Ausüben medizinischer Tätigkeiten, nicht aus Hinrichtungen.
Das Leben der Scharfrichter, auch Nachrichter, Henker oder Carnifex genannt, war, wie auch das des Abdeckers, samt ihrer Familien ein Leben am Rande der Gesellschaft. So ist darüber wenig bekannt und kaum Bildmaterial vorhanden. Auch die mittelalterliche Lebens- und Rechtsauffassung, so der Referent, sei heute nur schwer nachvollziehbar. Lange habe es keine schriftlich fixierte Rechtsprechung gegeben.
Der Grundgedanke war, dass ein Verbrechen eine Beleidigung Gottes sei und der Herrscher die Aufgabe habe, durch irdische Bestrafung des Missetäters Gott wieder zu versöhnen, um nicht seinen Zorn herauszufordern. Der Dekalog, die Zehn Gebote, waren Grundlage für die Gesetze der weltlichen Herrscher.
In den verschiedenen Stammesherzogtümern wurde erst zu Beginn des Mittelalters das Recht kodifiziert, so in der Lex Salica, später im "Sachsenspiegel" und der Lex Bajovariorum.
An den Pranger stellen
Für den Bedeutungszuwachs des Scharfrichters mag eine Wandlung im Gerichtswesen ausschlaggebend gewesen sein. Bis ins 13. Jahrhundert standen sich im "Akkusationsprozess" Kläger und Richter gleichberechtigt gegenüber. Im dann einsetzenden Inquisitionsprozess, der anfänglich nur für Kleriker gedacht war, verschob sich das Gleichgewicht zu Ungunsten des Delinquenten, denn nun musste dieser für eine Verurteilung ein Geständnis ablegen. Der Richter durfte dazu die Folter anwenden, was wiederum Aufgabe des Scharfrichters war, so die Ausführungen Kaufmanns.
Die ersten Aufzeichnungen über einen fest bestallten Scharfrichter stammen aus Augsburg aus dem Jahr 1276; bald darauf folgte München mit "Meister Hans".
Neben den Tätigkeiten für die Justiz hatte der Scharfrichter oft die Tätigkeit des Schinders oder Wasenmeisters wie auch die Kloakenreinigung durchzuführen. Von "zünftigen" Berufen war er ausgeschlossen, wie auch seine gesamte Familie. Leute an den Pranger zu stellen, war ebenso Aufgabe des Scharfrichters. Kaufmann schilderte nun den Ablauf einer Gerichtssitzung, deren Ergebnis schon immer festgestanden hat.
Nach einer kleinen Pause, in der die vom Referenten gezeichneten Stammbäume der Seidel-, Seidler-, Seitlerfamilien studiert werden konnten, kam Kaufmann auf einen weiteren Aspekt des Scharfrichterberufes, nämlich seine (tier-)medizinische Tätigkeit zu sprechen und zeigte auch Bücher, die von Scharfrichtern über dieses Gebiet veröffentlicht worden waren. Sie waren vor allem geschickte Wundärzte und Chirurgen. Ein Scharfrichter durchlief eine ebenso geregelte Ausbildung wie alle "zünftigen" Berufe.
Kleiner Schritt zu Hexerei
Dass sich Henker ihren Lohn durch medizinische Tätigkeit aufbesserten, kam ebenso zur Sprache, hatten sie doch oft einen wesentlich besseren Einblick in den menschlichen Körper als die an Universitäten ausgebildeten Ärzte – und waren den breiten Volksschichten näher. Natürlich war von da nur ein kleiner Schritt zur Geisterbeschwörung und Hexerei.
Nun kam der Vortragende auf die heute noch sichtbaren Spuren der Scharfrichter und damit zusammenhängenden Begriffe wie "Kopferplatz", "Rabenstein", "Galgenbühl" oder "Tour des bourreaux" in Straßburg. Auch Grabsteine der Familien Seidel oder Siedler mit der Berufsbezeichnung Scharfrichter sind in Donaueschingen oder Hüfingen erhalten.
Durch die "Abolition" konnte man sich aus dem geächteten Stand freikaufen. Dass die gesellschaftliche Anerkennung lange gedauert hat, lässt sich vermuten; auffallend ist, so der Referent abschließend, dass aus ehemaligen Scharfrichterfamilien überdurchschnittlich viele Veterinäre oder Ärzte hervorgegangen sind.