Vor dem Münchener Oberlandesgericht schweigt Beate Zschäpe – im Gefängnis plaudert sie über Kochrezepte und bedroht Mitgefangene. Foto: dpa

Eine Zellennachbarin gewährt Einblicke in das System aus Beziehungen und Bedrohung, das Beate Zschäpe, die Angeklagte im Münchner NSU-Prozess, im Gefängnis Stadelheim aufgebaut hat.

München - Hier also lebt Beate Zschäpe seit März. Rote, gegossene Betonwände. Gleich hinter den hellen, drei Meter hohen Mauern stehen die Grabsteine des Friedhofes am Perlbacher Forst. Sind die Fenster gekippt, weht der Wind den Lärm der Autos von der Kreuzung Stadelheimer Straße/Tegernseer Landstraße in die Zelle 124. Dreimal in der Woche bringen maskierte Elitepolizisten die mutmaßliche Rechtsterroristin zum sieben Kilometer entfernten Oberlandesgericht. Dort verantwortet sich Zschäpe dafür, dass sie zehn Menschen ermordet haben soll.

Kommt sie abends zurück nach Stadelheim, Trakt 3, dritter Stock, Frauengefängnis, hält die 38-jährige hof. Autogramme für die Teenager und Zwanziger im Knast. Bewundernd lecken Drogenabhängige, Dealerinnen und Diebinnen den Speichel der berühmten Mitgefangenen: „Voll krass, Beate, wir haben dich im Fernsehen gesehen.“

Schwärmereien, die für eine Frau nicht auszuhalten waren: „Die Nähe zu dieser Person war mir unerträglich“ – sechs Monate lang hat die Frau, die in dieser Geschichte Renata Wilmers heißt, Zschäpes Nachbarzelle bewohnt. Weil sie sich illegal beschäftigen ließ, teilte sie sich mit der Rechtsextremistin aus Jena Dusche, Küche und Flur, begegnete sie Zschäpe beim Hofgang am Vormittag und Nachmittag. Außer dienstags, mittwochs und donnerstags. Wenn die Jenaerin im Saal A 101 des Gerichts an der Nymphenburger Straße schweigt.

In einem Prozess, der Zschäpe kaum zu beeindrucken scheint: „Wer bei Beate Zschäpe auf Reue hofft, wird enttäuscht werden“, ist Wilmers überzeugt. Sie ist angewidert von den kaltblütigen Morden, die die Ankläger der Bundesanwaltschaft der Rechtsextremistin vorwerfen. Wilmer stößt die Gleichgültigkeit ab, die die Frau des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) im Gefängnis zur Schau trägt. Wilmer wird selbst zur Anklägerin gegen Zschäpe, gegen ein düsteres Geflecht aus Beziehungen, Bevorzugung, Beeinflussung und Bedrohung.

Ein Teenager im Körper einer fast 40-Jährigen

„Andere würden von den Vorwürfen überrollt, die der Generalbundesanwalt gegen Beate erhebt. Aber sie gibt sich, als sei sie nicht betroffen von dem, was da verhandelt wird“, sagt Renata Wilmers. Offenbar aus gutem Grund: Zschäpe sei überzeugt, dass ihr nichts passieren könne, wenn sie weiterhin schweige. „Sie benimmt sich wie ein fröhliches Schulmädchen auf Klassenfahrt: alles eitel Sonnenschein.“

Ein Teenager im Körper einer fast 40-Jährigen. Eine, die ihre Zelle mit einem großen roten Papierherz, Postkarten, Fotos und dem dekoriert, was sie selbst bastelt. Eben so, wie sie auch den mutmaßlichen Unterschlupf des NSU-Trios in der Zwickauer Frühlingsstraße hergerichtet hatte. Musik höre Zschäpe laut. Für den Hofgang am Nachmittag flechte sie ihre Haare zu Zöpfchen und schlüpfe in pinkfarbene Jogginganzüge mit aufgedruckten Comicfiguren. Und schlage lächelnd zum Volleyball-Match auf dem einem der beiden roten Tartanplätze auf. „Eine grinsende Knast-Prominente, die auf den Stufen am Rand des Sportplatzes hofhält“, sagt Renata Wilmers.

Eine, die es genießt, angehimmelt zu werden: Zu Zschäpes „Gefolge“ gehörten eine Drogensüchtige, eine notorische Schlägerin und junge Mädchen. „Fast alle deutsch, meist blond mit Pferdeschwanz“, erzählt die Mitgefangene. Mittags gegen elf trifft sich Zschäpe mit ihren Bewunderinnen im Gruppenraum zum Mittagessen. Während die meisten anderen Frauen in ihren Zellen essen, „ziehen Zschäpe und ihre Clique über andere her“. Oder plaudern über Kochrezepte und Handarbeiten. Gerne auch über Zschäpes Heimat Thüringen.

Um 11.45 Uhr würden alle wieder in ihre Zellen gesperrt, um 14.30 Uhr sei die Zschäpe-Runde wieder zusammen: zum Kaffeetrinken in fröhlicher Runde. Wilmers ist überzeugt: „Wüsste man es nicht besser, man würde Beate Zschäpe nicht mit der Mordserie in Verbindung bringen. Ihre naive Lieb-Kind-Fassade ist nahezu perfekt. Das ist sicherlich ein Grund dafür, dass der NSU so lange unentdeckt geblieben ist“.

„Die Beate hat mir versprochen, dass du fertig gemacht wirst“

Allerdings: Wer Wilmers glaubt, für den bekommt die Knast-Idylle Risse. So hörte die Mitgefangene, wie eine der Gefolgsfrauen einer Ausländerin auf dem engen Gang drohte: „Die Beate hat mir versprochen, dass du fertig gemacht wirst.“ Wilmers war dabei, als Zschäpe mit einer ihrer Kumpaninnen über den Prozess sprach und sagte: „Der Richter ist ein Schwein, das hab’ ich schon gemerkt. Die wollen jetzt zwei Zeugen vereidigen lassen. Wenn die das tun, kriegen die Zeugen ein Problem. Dafür werde ich sorgen.“ Sie sah, wie die Rechtsradikale eine Mitgefangene anfuhr: „Dein Gesicht merke ich mir. Das hat Konsequenzen.“Dabei habe sich die derart Bedrohte nur darüber lustig gemacht, dass Zschäpe an diesem Tag keine Post bekommen hatte.

Eine Ausnahme, denn sonst würden der prominenten Gefangenen die Briefe bergeweise zugestellt. Die meisten kämen von Privatleuten. „Das erhöhte Aufkommen an Post für Zschäpe belastet die Poststelle derart, dass andere Untersuchungshäftlinge oft wochenlang auf ihre Post warten mussten“, hat Renata Wilmers festgestellt. Jeder Brief wird von Justizvollzugsbeamten gelesen, bevor er einer Gefangenen ausgehändigt wird.

Besonderes Aufsehen erregte eine Paket-Lieferung aus der Haftanstalt Köln-Ossendorf, in der Zschäpe bis kurz vor Prozessbeginn im März einsaß: „Das waren mindestens sechs Kartons, voll mit privater Kleidung. So viele Klamotten sind sonst niemandem in der gesamten Anstalt erlaubt.“ Untersuchungshäftlinge dürfen eigene Kleidung tragen. In vielen Gefängnissen aber beschränken die Anstaltsleiter die Anzahl der Kleidungsstücke. Bei Zschäpe wurde offenbar eine Ausnahme gemacht. „Sie hat sogar einen eigenen Abstellraum für ihre Sachen bekommen, weil die in der Zelle gar keinen Platz hätten.“

Zschäpe gibt alle zwei Wochen im Gefängnis-Laden hohe Summen Bargeld aus

Die private Kleiderkammer ist wohl nicht die einzige „Hafterleichterung“, die der Rechtsextremistin in Stadelheim gewährt werden: „Ich habe gesehen, wie sie im Büro einer Beamtin telefonierte“, erzählt Renata Wilmers. „Das ist eigentlich unmöglich.“ Wer telefonieren wolle, müsse zuerst einen Termin bei einer Sozialarbeiterin machen. Eine Mitgefangene, die vom Tod ihrer Mutter erfuhr, habe nicht einmal da ihre Geschwister anrufen dürfen. „Aber bei Beate Zschäpe ging es um Banalitäten. ,Da bin ich jetzt aber froh, dass ich meine Bastelsachen aus Köln bekomme‘, hat sie am Apparat gesagt.“

Zschäpes Zelle sei seit März nicht einmal durchsucht worden, wirft Wilmers den privaten Betreibern des Münchener Frauengefängnisses vor. Eigentlich ist es vorgeschrieben, „Gefangene, ihre Sachen und Hafträume“ in unregelmäßigen Abständen nach Waffen, Drogen und Mobiltelefonen zu durchsuchen. Aber, berichtet Wilmers, „einige Schließerinnen pflegen einen beinahe freundschaftlichen Umgang mit Beate. Ich hatte das Gefühl, dass die Beamtinnen teilweise Angst davor haben, Zschäpe dumm zu kommen. Dass auch sie fürchten, dass sie sonst Schaden nehmen könnten.“

Nicht nur sie, sagt Wilmers, sei fest davon überzeugt, dass die Neo-Nazi gute Verbindungen „nach draußen“ habe. Ein Indiz dafür: Zschäpe gibt alle zwei Wochen im Gefängnis-Laden hohe Summen Bargeld aus. Häftling können sich von Verwandten oder Freunden auf ein eigens für sie eingerichtetes Konto bei der Landesjustizkasse Geld überweisen lassen. Ein Limit für diese Zuweisungen gibt es nicht. Doch meist fallen sie niedrig aus. Anders offenbar bei Zschäpe: „Sie muss jede Menge Geld haben. Sie kauft stets für 100 bis 200 Euro ein“: Haarfärbemittel, Marken-Kosmetik, Zigaretten, große Mengen Mineralwasser, Milka-Schokolade, Essiggurken – und einmal 21 Dosen Thunfisch. „Sie stand meist als Erste in der Schlange, und ihr Einkaufswagen war immer voll.“ Woher dieses Geld stammt ? Wilmers weiß es nicht. Zu ihrer Mutter hat Zschäpe kaum noch Kontakt, ihre Großmutter ist schwer krank.

Aus „rechtlichen Gründen“ will der Leiter der JVA Stadelheim, Michael Stumpf, die Vorwürfe nicht kommentieren

Natalie Kettinger ist Redakteurin der „Abendzeitung München“. Gemeinsam berichtet unsere Zeitung mit der „AZ“ vom NSU-Verfahren.