Von der B 10 aus soll die neue Neckarbrücke in Richtung Bad Cannstatt wachsen. Dafür werden zwölf riesige Einzelteile mit Pressen über den Fluss geschoben. Foto: Lichtgut - Oliver Willikonsky

Bei der Wilhelma entsteht eine neue Brücke über den Neckar. Auf ihr sollen Züge und S-Bahnen den Fluss überqueren können, unter ihr auf einem Steg Fußgänger und Radfahrer. Am Montag ist das erste große Stahlsegment über den Neckar geschoben worden.

Stuttgart - Ein riesiges Stahlteil liegt auf einer provisorischen Arbeitsplattform. Direkt unter dem 200 Tonnen schweren Koloss rauscht der Verkehr über die B 10 in Richtung Wilhelma. Rechts und links wird noch mit Fett nachgeschmiert, damit es gleich richtig flutscht. Dann setzen zwei im Vergleich winzige Hydraulikpressen an – und das 22 Meter lange und 25 Meter breite Stahlteil setzt sich in Bewegung. Zentimeter für Zentimeter schiebt es sich in Zeitlupe in Richtung Neckar. Nach zweieinhalb Stunden und 20 Meter Strecke hat es seine vorläufige Position erreicht.

Was da am Montag direkt über den Köpfen der Autofahrer passiert, nennt Christoph Lienhart „einen großen Meilenstein“. Der Österreicher ist Gesamtabschnittsleiter für den Teil des Projekts Stuttgart 21, der zwischen dem Hauptbahnhof, Feuerbach und Bad Cannstatt liegt. Dazu gehören nicht nur Tunnel, sondern auch die neue Neckarbrücke. Sie wird künftig die Ufer unterhalb des Schlosses Rosenstein und auf der anderen Seite in Bad Cannstatt verbinden.

Das laut Bahn „spektakuläre und stadtbildprägende Bauwerk“ wird an der Stelle stehen, an der einst der beliebte Holzsteg über den Fluss geführt hat. Der bereits 1998 prämierte Entwurf des Stuttgarter Ingenieurbüros Schlaich, Bergermann und Partner sieht eine 345 Meter lange Stahlsegelbrücke vor. Die seitlichen Stahlsegel sollen dabei nicht nur als Teil des Brückentragwerks dienen, sondern auch als Schallschutz. Vier Gleise werden über die Brücke führen – je zwei für den S-Bahn-Verkehr sowie für Fern- und Regionalzüge. Unter der Konstruktion wird ein separater Steg für Fußgänger und Radfahrer hängen, um die alte Verbindung zwischen beiden Ufern wiederherzustellen.

Zwölf Elemente werden über den Neckar geschoben

Doch bis dahin muss erst einmal die Brücke entstehen. Dabei gilt das Motto: Der Klügere schiebt nach. Nach dem ersten Stahlsegment, das am Montag nach vorne bewegt worden ist, folgen noch elf weitere. So schiebt sich die Konstruktion nach und nach über endgültige und provisorische Pfeiler von der Rosensteinseite in Richtung Bad Cannstatt. Jeder dieser zwölf Takte wird alles in allem etwa sechs Wochen in Anspruch nehmen. Beim letzten Takt, der alle Elemente umfasst, müssen die Pressen an die 3000 Tonnen bewegen.

Bisher liegen die rund 35 Millionen Euro teuren Arbeiten im Zeitplan. Sie werden eng mit der Stadt abgestimmt, die direkt nebenan den neuen Rosensteintunnel für die B 10 baut. „Die Neckarbrücke ist ein Großprojekt für sich“, sagt Lienhart angesichts der komplexen Aufgabe zwischen Schnellstraße, Stadtbahnstrecke, Fluss und vielen Leitungen. Besonderes Augenmerk muss auch auf den Mineralwasservorkommen liegen. „Wir befinden uns im Heilquellen-Schutzgebiet. Wir konnten aber alle 200 Bohrpfähle sicher herstellen, sodass kein Mineralwasser ausgetreten ist“, freut sich Lienhart. In diesem besonders sensiblen Punkt sei bisher alles gelaufen wie geplant: „Jetzt können wir uns auf den Stahlbau konzentrieren.“

Wann Fußgänger den Steg benutzen können, ist noch offen

Der wird noch einige Zeit in Anspruch nehmen. Bis alle zwölf Elemente über den Fluss geschoben worden sind und der Rohbau beendet ist, wird es Ende 2019 werden. Danach folgt die Ausrüstung der Brücke mit der erforderlichen Bahntechnik. Wann der Steg für Fußgänger und Radfahrer geöffnet werden kann, ist noch offen. Nach derzeitigem Stand jedenfalls noch nicht 2019. Der Zeitpunkt hängt auch davon ab, wann die Stadt den Anschlusssteg über die B 10 bauen kann. „Wir befinden uns da in genauer Abstimmung, damit die Gesamtverbindung zeitgleich und möglichst schnell hergestellt werden kann“, sagt Sebastian Heer, der Bahn-Teamleiter für die Neckarbrücke.

Auch was mit der bisherigen Bahnbrücke in direkter Nachbarschaft geschehen soll, ist noch nicht entschieden. Ihr Abriss wäre extrem aufwendig. Es gibt verschiedene Ideen, wie sie weiter genutzt werden könnte, etwa für Fußgänger. Allerdings müsste die Stadt sie dann wohl kaufen und instand halten.

Das ist aber noch Zukunftsmusik. Zunächst einmal entsteht flussabwärts die neue Brücke. Zentimeter für Zentimeter in Zeitlupe – bis das Cannstatter Ufer irgendwann erreicht ist.