Heiko Hofmann über den Gemeinderat, der sich fortan gerne auch als Rat der Weisen bezeichnen darf.

Salomonisch, dieser Beschluss. Ausgleichend, gerecht, praxisnah. Fortan darf sich Nagolds Gemeinderat gerne auch als Rat der Weisen bezeichnen – von so epochaler Tragweite könnte das Beschlossene sein. Um was es geht? Nun, nennen wir es mal "Das System Seifenbatsche" – ein Stadtentwicklungsprogramm, das weltweit für Furore sorgen könnte.

Es geht um ein Problem, das jede Kommune kennt: Im Norden Nagolds, entlang der Hauptstraße, steht ein altes Fabrikgebäude, im Volksmund "Seifenbatsche" genannt. Marode ist das Haus. Durch und durch. Hatte ja auch schon so manchen Nutzer kommen und vor allem wieder gehen sehen. Die Stadt erwarb das Areal. Den Abriss als klares Ziel vor Augen.

Der kommt nun auch. Das war bereits beschlossene Sache. Doch der Gemeinderat diskutierte in dieser Woche noch eine geniale Zusatzklausel dazu: Falls es zu einer Neubebauung kommt, soll der Schein gewahrt bleiben – und die neue Fassade im alten Fabrik-Glanz erstrahlen.

Zugegeben, das "System Seifenbatsche" erinnert an die berühmten Potemkinschen Dörfer. Sie wissen schon, jene Dörfer, die der russische Feldmarschall Potemkin einst nur mit Fassaden errichtet haben soll, um für seine Zarin den schönen Schein zu wahren.

Die Geschichte ist erfunden? Mag sein. Doch das heißt noch lange nicht, dass sie nicht als Inspiration dienen kann. Gerade für Lokalpolitiker. Man nehme ein hässliches Gebäude, es darf auch gerne eine moderne Bausünde sein, und verkleide es mit einfachsten Mitteln mit einer schicken Fassade. Eine bemalte oder bedruckte Leinwand tut’s vollkommen.

Dieses "System Seifenbatsche" eröffnet Nagold ganz neue Möglichkeiten. Der Alte Turm mutiert zum Eiffelturm, der Blick auf den Schlossberg fängt statt der ollen Ruine künftig Schloss Neuschwanstein ein, und das Reinhold-Fleckenstein-Stadion wird zur Allianz-Arena.

Nagolds Stadtplaner können künftig in ganz neuen Dimensionen denken. Parkplatzmangel im Norden? Nun, da könnte man doch gleich eine ganze Häuserzeile in der Calwer Straße als Parkhaus umhüllen – vorbildliche Öko-Begrünung inklusive. Auch an die lieben Kleinen sollten wir denken, wenn zum Beispiel der Kleb-Spielplatz als Europapark umrüstet wird. Und seien wir doch mal ehrlich: Unser tristes Viadukt verträgt auch etwas mehr Pep – der Pont du Gard in Nagold? Oder sollte doch lieber die Golden Gate Bridge das schöne Waldachtal überspannen? Alles ist möglich, nichts undenkbar.

Willkommen in der Stadt des Scheins. Die ganze Welt könnte Nagold in sich vereinen. Heerscharen an Touristen strömten herbei, um den einzigartigen Nagolder Welt-Stadtbummel zu erleben. Natürlich darf niemand die offiziellen Besichtigungsrouten verlassen. Das "System Seifenbatsche" funktioniert nur, wenn keiner hinter die Kulissen schaut. Aber wer will das schon – wirklich hinter die Kulissen schauen?

Zumal man dann das Ende der Tour verpassen könnte. Und dort wartet eine echte Sensation. Die befindet sich im Rathaus, unter dem Dach. Es ist der Raum, in dem der Rat der Weisen tagt, manche nennen ihn Sitzungssaal. Doch der Raum könnte so viel mehr sein. Das "System Seifenbatsche" taugt nämlich auch für den Innenausbau. Und so präsentieren wir voller Stolz: das verschollene Bernsteinzimmer!