Alfred Grosser und seine Frau beim Eintrag ins Goldene Buch der Stadt. Im Hintergrund (von links): Edouard Jacque, Jürgen Großmann, Hans-Joachim Fuchtel, Joachim B. Schultis, Rainer Prewo und Jean-Marc Fournel. Foto: Frtisch

Partnerschaft mit französischer Stadt wird gefeiert. Großer Festakt und buntes Programm.

Nagold - In einer 50-jährigen Partnerschaft gibt es mitunter Höhen und Tiefen. Die Jubiläumsfeierlichkeiten der befreundeten Städte Nagold und Longwy am Wochenende gehören aber sicher zu den Glanzlichtern dieser reifen Beziehung.

Die Stadt Nagold und das örtliche Partnerschaftskomitee legten sich gehörig ins Zeug, um den offiziellen Gästen aus Longwy gute Gastgeber zu sein. Die Palette der Veranstaltungen, die man gemeinsam erleben konnte erstreckte sich von der Kunst bis zum ökumenischen Gottesdienst. Und natürlich wurde kräftig gefeiert.

"Das sind Beziehungen, wie es sie in keinem anderen Land gibt"

Kernstück der Jubiläumsfeierlichkeiten war der Festakt am Samstagnachmittag. Auf Nagolds vielleicht schönstem Platz – der bereits 1987 der Partnerschaft mit Longwy gewidmet wurde und seitdem Longwyplatz heißt – saßen die Gäste im Schatten der großen Bäume und lauschten den zum Teil hochemotionalen Worten der Festredner. Es war alles dabei, was einen guten Festakt ausmacht: Die Fahnen der beiden Städte wehten im Hintergrund, die Stadtkapelle lockerte die Stimmung zwischen den Reden mit schmissigen Melodien auf, beide Nationalhymnen erklangen, es gab hochkarätige Ehrungen. Und: Mit dem 92-jährigen Publizisten Alfred Grosser hatte man sich einen echten Hochkaräter als Festredner gegönnt.

Grosser sprang in seinen Ausführungen quer durch die Jahrzehnte der deutsch-französischen Beziehungen. Er scheute sich auch nicht, hier und da an historischen Fundamenten zu rütteln und gab seinen ganz eigenen Einblick in die Beziehungen zwischen den "Erbfeinden" Deutschland und Frankreich. Doch welche Erbfeinde? Schon mit diesem Begriff hatte Grosser seine Probleme.

Der in Frankfurt am Main geborene, aber in Frankreich aufgewachsene Grosser machte deutlich, dass er und seine Mitstreiter nach dem Zweiten Weltkrieg nie an eine Kollektivschuld der Deutschen geglaubt hatten. Als Geburtsstunde Europas sieht Grosser den 9. Mai 1950 an, als mit der Unterzeichnung der Schumann-Erklärung erste Schritte zur deutschen Gleichberechtigung unternommen wurden.

Grosser war überzeugt: In der Weltpolitik gibt es keine Vergleiche zur Entwicklung des deutsch-französischen Verhältnisses. "Das sind Beziehungen, wie es sie in keinem anderen Land gibt". Und vor allem "unten", also unterhalb der politischen Ebene, funktioniere diese Beziehung besonders gut. "Das ist ungemein wichtig." Auf politischer Ebene habe man öfters miteinander Probleme gehabt – doch darunter nicht.

Macron und Merkel – in diesem Polit-Duo sieht Grosser großes Potenzial für die deutsch-französische Freundschaft und ganz Europa. Und so endete der erfolgreiche Autor seine Ausführungen mit dem Satz: "Ich bin positiv optimistisch."

Jürgen Großmann: "Erfolgs- und Zukunftsmodell Europa"

Das kann man auch wirklich sein, wenn man das Festwochenende in Nagold mitverfolgte. Voller Herzlichkeit begegneten sich Deutsche und Franzosen. Und im Rahmen des Festakts bekamen sogar drei Bürger aus Longwy die Nagolder Bürgermedaille verliehen – eine Ehre, die streng genommen nur Nagolder Bürgern zusteht. So weit reichen eben die partnerschaftlichen Beziehungen der beiden Städte. Kurzum: Joseph Morgese, Serge Bernat und Dominique Berlingo – drei langjährige Mitstreiter im Partnerschaftskomitee in Longwy – bekamen von OB Großmann die Bürgermedaillen verliehen. Vielen Nagoldern dürften die drei Herren durch ihre regelmäßigen Besuche auf dem Nagolder Weihnachtsmarkt bekannt sein, wo sie stets mit französischen Leckereien die Fahne Longwys hochhalten.

Die Worte der beiden Stadtoberhäupter waren indes geprägt von Dankbarkeit. Nagolds OB Jürgen Großmann, dem auch die Begrüßung der zahlreichen Ehrengäste oblag, verwies darauf, dass angesichts der europakritischen Stimmen die Partnerschaft in einem ganz neuen Licht erscheine. Denn das "Erfolgs- und Zukunftsmodell Europa" werde nicht von jedem mitgetragen. Sein Amtskollege aus Longwy, Jean-Marc Fournel, verwies auf die Anfangsjahre der Partnerschaft, als sich die jungen Leute von damals in den 1950er-Jahren aufmachten, freundschaftliche Bande aufzubauen. "Bei uns in den Städten gab es den Willen, noch weiter zu gehen", so Fournel. Und so kam es am 17. Juni 1967 in Longwy zur Unterzeichnung der Partnerschaftsurkunde. Was sich daraus entwickelt hat, hätte man sich damals aber nicht vorstellen können. Fournel: "Doch wir haben es geschafft."

Fournel war es auch, der in seiner Rede darauf einging, dass man nach 50 Jahren Partnerschaft eine gewisse Reife erreicht habe; jedoch: "Es bleibt auch noch eine Menge zu tun." Und so verwies Fournel angelehnt an "einen gewissen Politiker" darauf, dass "ich ein Nagolder bin".

Und noch ein offizieller Akt folgte: Mit ihren Unterschriften bekräftigten die Beteiligten – darunter auch Nagolds Alt-Oberbürgermeister Prewo und Schultis – ihre Partnerschaft mit der Unterzeichnung einer neuen Urkunde. Schließlich wolle man nach vorne schauen, so Gastgeber Jürgen Großmann.

Beendet wurde der Empfang mit Gesang: Zum Stehempfang sangen die bunt gekleideten und gut gelaunten Sänger des Chors "Kaleidophone" aus Longwy Chansons. Den Nagolder Musik-Beitrag lieferte das jugendliche A-cappella-Quartett "Ambitussen" mit eingängigen Pop-Songs aus den vergangenen Jahrzehnten.

Vom Winde verweht: Ganz schön zugig ging es beim Festakt auf dem Longwyplatz am Nagold-Ufer zu. Dabei war der zum Teil kräftige Wind natürlich als Abkühlung stets willkommen. Nur einmal, da wehte er zu stark und erfasste sogleich einen großen Sonnenschirm, der schließlich abgefedert im Publikum landete. Zum Glück verletzte sich niemand. In der Folge galten die kritischen Blicke der emsigen Organisatoren den noch stehenden Schirmen. Mit Erfolg. Keiner flog mehr davon. Der Schirm an der Redner-Bühne wurde fortan gar sicherheitshalber stets von einer städtischen Mitarbeiterin festgehalten. Für Nagolds Oberbürgermeister Jürgen Großmann war damit der Beweis erbracht: "Diese Partnerschaft kann nicht einmal der Wind zerstören."

So ein Festakt ist auch für den Übersetzer eine große Herausforderung. Um es gleich zu sagen: Holger Ehnes machte diesen Job hervorragend. Und zweimal durfte er sogar ein Päuschen einlegen. Festredner Alfred Grosser übersetzte seine Worte selbst. Und auch Longwys Bürgermeister Jean-Marc Fournel begann seine Rede ganz charmant in Deutsch, setzte dann aber nach einigen freundlichen Begrüßungsworten zum Übergang in seine französische Heimatsprache an: "Mein Deutsch ist nicht sehr gut, deswegen werde ich in Frankreich weiter sprechen." Nun, er blieb dann doch in Deutschland und hielt eine liebenswerte Rede, die er schließlich auch wieder in Deutsch beendete: "Mein Sprechen ist zu Ende."

Und auch das ist gelebte Partnerschaft: Bürgermeister Jean-Marc Fournel war vom A-cappella-Gesang des Nagolder Gesangsquartetts Ambitussen beim Stehempfang nach dem Festakt so angetan, dass er den vier jungen Damen sogleich eine Einladung zum Auftritt in Longwy aussprach. Beim Partnerschaftsfest in Longwy im September hätte er gerne die Nagolder Mädels als Bühnenprogramm dabei. Das ganze wurde sogleich per Handschlag bestätigt: Fournel klatschte die Nagolder Sängerinnen einzeln ab und bekräftigte: "Das ist bei uns ein Vertrag."