Cumhur Genc trainiert seine Mitglieder meistens selbst.             Fotos: Fritsch Foto: Schwarzwälder-Bote

Beim Selbstversuch im Taekwondo-Studio muss man auch einstecken können

Trainer Cumhur Genc führt die Mitglieder seiner Sportschule Tag für Tag in die Geheimnisse der koreanischen Kampfkunst ein. Und dabei können auch Gummimesser und Holzstöcke zum Einsatz kommen.

Nagold. Blau, weiß, schwarz – über die Gürtelfarben beim Kampfsport habe ich mir in meinem bisherigen Leben nicht viele Gedanken gemacht. Bis Heike Kienzle bei meinem Schnuppertraining im Taekwondo-Studio vor mir steht – bereit, gegen mich zu kämpfen. Ich bin aufgeregt, ziehe den Klettverschluss meiner Boxhandschuhe in Zeitlupe zu. Etwas Zeit zu schinden, scheint mir nicht die schlechteste Idee zu sein. Denn auch wenn das hier nur Training ist, haben mir die zwei zuvor kämpfenden Damen doch ein bisschen Respekt eingeflößt. Zimperlich sind sie hier nicht. Mein Blick fällt also auf ihren Gürtel: blau. "Ist das beim Taekwondo gut?", frage ich mich.

Während ich noch über die verschiedenen Gürtelfarben rätsele, holt mich die Stimme von Trainer Cumhur Genc, in die Realität zurück. "Kampfstellung", ruft er. "Oh man, jetzt wird’s ernst", denke ich mir. "Können wir nicht lieber noch ein paar Einzelübungen machen?"

Kaum haben sich Heike und ich kurz voreinander verbeugt, greift sie an. Kick rechts, Kick links, zwei kurze Schläge. Ich bin überfordert. "Also prügeln wir uns jetzt richtig?", rufe ich etwas verschüchtert und unsicher in Richtung Trainer. Ich dachte, ich stehe hier sozusagen noch unter Welpenschutz. Sein Blick zeigt zwar, dass "prügeln" hier wohl nicht das richtige Wort ist, doch mit einem kurzen Nicken bejaht er meine Frage.

1983 eröffnete Cumhur Genc das Taekwondo-Studio in Nagold, wo ich an diesem Abend im Damenkurs in die Kunst des Kampfsports eingeführt werde. Von Montag bis Freitag trainieren hier rund 100 Mitglieder – Kinder, Jugendliche und Erwachsene – Taekwondo. Fünf Trainer helfen Cumhur Genc aus, meistens trainiert er seine Mitglieder allerdings selbst.

So wie an diesem Abend. Während ich gegen Heike kämpfe, versuche ich mich einerseits an die zuvor geübten Kicks zu erinnern und sie andererseits dabei nicht zu verletzen. Denn während sie schon so viel Beherrschung an den Tag legt, dass ich nur einen leichten Klaps abbekomme, traue ich meinen Künsten in dieser Hinsicht so gar nicht. "Was, wenn ich zu fest zuschlage und sie tatsächlich verletze?", schießt es mir durch den Kopf. "Los, los, weiter!", ruft mir Cumhur wie zur Antwort zu.

Doch für mich läuft das hier alles andere als gut. Langsam dämmert mir: Mit einem blauen Gürtel hat man ganz schön was drauf. Kaum habe ich einen Treffer gelandet, muss ich von Heike wieder drei oder vier einstecken. Rippe, Hintern, Oberarm – ich habe das Gefühl, mein Körper ist eine einzige Zielscheibe. An meiner Defensivarbeit muss ich also definitiv noch arbeiten.

Immerhin lässt mir Heike ab und an eine kurze Verschnaufpause, ein echter Angreifer hätte da wohl weniger Mitleid. Als unser Kampf zu Ende ist, trage ich zwar ein, zwei blaue Flecken davon, still und heimlich bin ich nach dieser Abreibung allerdings froh, dass mir niemand mit einem schwarzen Gürtel zugeteilt wurde.

Genau so einen hat Trainer Cumhur Genc seit 1981. Um so weit zu kommen, musste Genc einige Hürden überwinden. Nach einem Jahr wollte ihm sein Vater das Training nicht mehr bezahlen. Um weiterhin Taekwondo lernen zu können, musste er eine andere Lösung finden. "Dann habe ich jeden Tag die Sportschule gefegt, um kostenlos zu trainieren", erinnert er sich. Heute ist er nicht nur Besitzer und Trainer der Taekwondo-Schule, sondern auch internationaler Kampfrichter.

Mehr als nur ein Kampfsport

Um auch nur in die Nähe eines solchen Wettbewerbs zu kommen, wäre es für mich noch ein weiter Weg. Meine Fähigkeiten enden in dieser Stunde bereits bei der Selbstverteidigungs-Übung. Da ich die Techniken noch nicht beherrsche, muss ich aussetzen. Die anderen Teilnehmer des Kurses bewaffnen sich mit einem Gummimesser und einem Holzstock. Jeder der Frauen ist nun einmal das potenzielle Opfer, die anderen Frauen greifen sie an. Auf einmal bin ich sogar ziemlich froh, dass ich noch nicht so weit bin. Der Kampf mit Heike und die vorigen Einzelübungen haben mir eigentlich gereicht.

"Ich sage mal, nach einem Jahr Training weißt du in etwa, wo’s lang geht", erklärt Genc. Frühestens nach einem halben Jahr merke man eine gewisse Entwicklung. "Taekwondo ist nicht nur einfach Kampfsport, es ist auch Gymnastik, Selbstverteidigung und Kraftsport." Das Wissen allein, wie man die Technik einsetzt, reiche dabei nicht. "Du musst es beherrschen", sagt er. Für mich ist es also noch ein weiter Weg. Immerhin, Genc spricht mir ein gewisses Potenzial für den Kampfsport zu. Um besser zu werden hilft also nur üben, üben, üben.