Er hat Auschwitz-Birkenau überlebt und kommt nun nach Nagold: Mordechai Ciechanower Foto: Archiv

Mordechai Ciechanower fliegt aus Israel ein. "Dachdecker von Birkenau" auch in Tailfingen interniert.

Nagold - Mordechai Ciechanower ist Jude. Heute lebt er in Israel. Als Mitglied eines Dachdecker-Trupps hat er einst das Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau überlebt. Jetzt kommt der 92-Jährige nach Nagold – auf Initiative von Bernd Schlanderer, Walter Kinkelin und Irene Frey.

Was bewegt einen so hoch betagten Mann dazu, sich in einen Flieger nach Deutschland zu setzen? Fast 200 Menschen starben in den nicht einmal sechs Monaten, in denen im Gäu eine Außenstelle des KZ Natzweiler/Strutthof im Elsass eingerichtet war. Seit fünf Jahren gibt es die Gedenkstätte Hailfingen-Tailfingen auf dem ehemaligen Lagergelände nun. Dank ehrenamtlicher Forschungsarbeit sind die Namen aller 601 Häftlinge bekannt, die in ihrer Zeit in Hailfingen-Tailfingen Zwangsarbeiten in umliegenden Steinbrüchen verrichten und den Nachtjägerflugplatz ausbauen mussten. Einer von ihnen – Mordechai Ciechanower.

Manchmal reagieren Gesellschaften äußere Probleme an einer bestimmten Gruppe ab. "Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit" lautet der Fachbegriff, mit dem die Forschung ein solches Phänomen erfasst. Tritt dieser Fall ein, wird der geächteten Gruppe der Menschenwert abgesprochen. So wird alles weitere Vorgehen rechtmäßig. "Der Mehrheit verschafft das zunächst Entspannung, aber es endet immer im Desaster", erklärt Bernd Schlanderer, Geschäftsführer der Kreisdiakonie Calw. Immer wieder im Verlauf der Geschichte hat gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit Angehörige der jüdischen Gemeinschaft getroffen. Heute, 75 Jahre nach dem Holocaust, ist der Antisemitismus immer noch nicht verschwunden. Keine zwei Monate ist es jetzt her, dass Unbekannte eine Mauer in der Nagolder Innenstadt mit einer judenfeindlichen Parole beschmierten. Obwohl es Juden hierzulande seit der "Shoa", der planvollen Fast-Auslöschung der jüdischen Bevölkerung Mitteleuropas, kaum noch gibt.

"Er sieht Versöhnung als seinen Auftrag"

Irene Frey, Fachberaterin für Migration bei der Diakonischen Bezirksstelle Nagold, hat mit Schülern zu diesem Thema gearbeitet. Mit Klassen der Rolf-Benz-Schule besuchte sie eine Asylbewerberunterkunft. "Wann würde ich flüchten?", mit dieser Frage hätten sich die Schüler auseinandergesetzt. Auch zur KZ-Gedenkstätte in Hailfingen-Tailfingen machten sie sich auf.

Jetzt hat Mordechai Ciechanower sich aufgemacht. Die Stimmen derer, die erzählen können wie es war, werden rarer. Wer soll die Erwachsenen von morgen dann noch dazu ermahnen, so etwas nicht noch einmal zuzulassen? Walter Kinkelin ist nicht nur Vorsitzender des Trägervereins der Gedenkstätte im Gäu. Als Schulleiter des Nagolder Otto-Hahn-Gymnasiums hat er die Erwachsenen von morgen jeden Tag um sich. Die Notwendigkeit, dem Vergessen entgegenzuwirken sehen er wie Frey wie Schlanderer. Ein Grund, das fünfjährige Bestehen der Gedenkstätte – mit Ciechanower – zu begehen.

Tausende von Kilometern hat der alte Herr zurückgelegt. Mit nur einem Ziel. "Er sieht Versöhnung als seinen Auftrag", sagt Bernd Schlanderer über den Mann, dessen Schicksal sogar in einem Film festgehalten wurde.Am Freitag, 27. Juni, wird "Der Dachdecker von Birkenau" um 17.15 Uhr im Kino Waldhorn in Rottenburg gezeigt.

Am Dienstag, 30. Juni, wird Ciechanower morgens in Nagold Schüler treffen. Dann die Stadtoberen. Am Abend, um 19 Uhr, hat die Öffentlichkeit die Gelegenheit, Ciechanower zu hören, wenn er in der Stadtkirche die Abgründe ausleuchtet, die er durchschritten hat, die unglaublichen Wendungen nachzeichnet, die sein Leben genommen hat. Lebendiger kann Geschichte nicht werden.