Foto: Fritsch Foto: Schwarzwälder Bote

Serie "Wir im Bürgerzentrum": Das Leitungsmitglied des Arbeitskreises Asyl unterstützt Flüchtlinge seit mehr als 30 Jahren

Vertrauen aufbauen, die Neuen im Alltag unterstützen und herausfinden, was sie wollen und brauchen. Das ist der Job von Helga Mühleisen. Im Leitungsteam des Arbeitskreises Asyl sei sie "die Frau vor Ort." Zwei- bis viermal pro Woche ist sie in der Gemeinschaftsunterkunft Haus Waldeck, pflegt dort den intensiven Kontakt zu Sozialarbeitern und Bewohnern.

Nagold. Als der Arbeitskreis 2013 gegründet wurde, habe sie sich sofort gemeldet. "Das Thema war mir wichtig", erklärt sie. Vor 30 Jahren seien schon einmal viele Flüchtlinge angekommen, vor allem alleinstehende Frauen aus Eritrea, erinnert sich Mühleisen. Damals sei sie Vorstand des Kinderschutzbundes gewesen, der gebeten wurde, sich um die Neuankömmlinge zu kümmern.

"Eine Gemeinschaftsunterkunft, wie das Haus Waldeck es heute ist, bietet jedoch ganz andere Herausforderungen", sagt sie. 115 Flüchtlinge mit insgesamt elf Nationalitäten leben dort aktuell zusammen. Der Arbeitskreis habe da alle Hände voll zu tun, biete unter Aufwendung etlicher ehrenamtlicher Stunden Spielangebote für Kinder, Lerngruppen, Sprachkurse und Unterstützung in bürokratischen Angelegenheiten. "Den meisten Flüchtlingen ist sehr wichtig, Deutsch lernen zu können, und dass ihre Kinder möglichst schnell in die Schule kommen." Mangelnden Willen zur Integration habe sie bisher bei keinem festgestellt. Alles, was die Neuankömmlinge brauchen, sei eine Perspektive. "Uns ist wichtig, dass die Leute wissen, sie können zu uns kommen, wir hören zu und versuchen, zu helfen." Fahrräder und eine dazugehörige Werkstatt habe der Arbeitskreis zum Beispiel organisiert, außerdem Kochtöpfe, weil besonders die Männer gerne gemeinsam in der Küche stehen.

Sie habe schon öfters überlegt, wie die Bewohner ihre Flucht überstanden haben. "Aber wir fragen niemals nach", sagt sie. "Die Leute sollen sich nicht gedrängt fühlen, von ihren Erlebnissen erzählen zu müssen." Viele machen sich auch Sorgen, was sie erzählen dürfen, weil sie aus ihrem Heimatland die ständige Überwachung gewohnt seien. Dauernd in Sorge um die Sicherheit. Immer auf der Hut. Bis sie Vertrauen in ihr neues Umfeld gewonnen haben, dauere es lange, weiß die Engagierte aus Erfahrung. "Man braucht Geduld und Zeit." Aber wenn es soweit sei, dann erzählen sie freiwillig ihre Geschichten. "Ein Flüchtling, der in Syrien schrecklich gefoltert wurde, hat mir einmal einen Bericht dazu gezeigt, was ihm alles angetan wurde", erinnert sie sich und wirkt bedrückt. Ob sie die Geschichten belaste, mit denen sie ständig in Berührung kommt? "Ja, manchmal", gesteht die 75-Jährige. "Da muss ich den nötigen Abstand wahren. Ich sage zum Beispiel auch immer ›Sie‹." Sogar, wenn ihr ihre Schützlinge auf der Straße um den Hals fallen, weil sie sich so freuen, jemanden zu kennen.

Schlechte Erfahrungen hat sie noch keine gemacht. Natürlich gebe es mal Streitigkeiten. "Es gab auch schon Schlägereien, auch zwischen Frauengruppen, und die Polizei war auch schon da", erklärt Mühleisen. "Aber die Polizisten bestätigen uns immer wieder, dass das Haus Waldeck im Vergleich zu anderen Unterkünften unauffällig ist", freut sie sich.

Probleme mit Flüchtlingen entstehen ihrer Meinung nach aus deren schwerer Situation heraus. "Viele sind traumatisiert und mit dem neuen Umfeld überfordert. Hin und wieder merkt man, dass einige an der Kante dessen sind, was sie aushalten können." Ein anderer Faktor seien die Verständigungsprobleme. Wenn man eine Sprache nicht gut könne, kämen Aussagen schnell falsch rüber. "Man sagt dann nicht: Könnte ich bitte haben?, sondern einfach: Ich will", nennt sie ein Beispiel. Verständigungsprobleme gebe es gelegentlich auch kulturbedingt. "Araber lehnen zum Beispiel nie etwas ab, weil das bei ihnen unhöflich ist. Einmal war ich also mit Araberinnen in der Vesperkirche", erinnert sich die kleine, zackige Frau. "Sie haben alles genommen, was ihnen angeboten wurde, wie sie es aus ihrem Kulturkreis gewohnt sind. Und es dann nicht gegessen. Die Bedienungen haben es ihnen übel genommen."

Die negativen Situationen tangieren sie jedoch weniger, als die Positiven. Einmal, erzählt sie, sei ein Bus mit 30 Neuankömmlingen so viel zu spät gekommen, dass nur noch sie im Haus Waldeck war. Niemand hatte an diesem Tag mehr mit seiner Ankunft gerechnet. Mit den 30 Menschen sei sie dann völlig überfordert dagestanden. "Und dann kamen die anderen Bewohner und haben alle ganz selbstverständlich mit angepackt, tragen geholfen und den Neuen das Haus gezeigt", berichtet sie begeistert. "Diese Hilfsbereitschaft hat Eindruck auf mich gemacht. Ich kriege heute noch Gänsehaut." In solchen Momenten wisse sie, dass die Arbeit sich lohne. "Eine der ersten, die 2013 kamen, war eine Mutter mit fünf Kindern", sagt sie. "Die konnte in ihrem Land nur zwei Jahre zur Schule gehen, dann musste sie Teppiche knüpfen." Der Arbeitskreis habe sie nach besten Kräften unterstützt und nun habe sie den Führerschein gemacht, die Theorieprüfung sogar auf Deutsch. "Das macht mich sehr stolz."

Die erste Sitzung des Arbeitskreises fand Ende 2013 im damaligen katholischen Kernenzentrum statt. Mit der Nutzung des Haus Waldeck als Asylbewerberunterkunft kamen Sorgen in der Nachbarschaft auf, was mit ein Grund für die Entstehung des Arbeitskreises war. Diverse Arbeitsfelder haben sich entwickelt, auf denen sich die 20 Mitglieder engagieren und die Flüchtlinge im Alltag unterstützen. Im Bürgerzentrum ist man mit verschiedenen Angeboten präsent.