Proben der ominösen Substanz wurden per Hubschrauber zum Landeskriminalamt nach Stuttgart geflogen. Foto: Bernklau

Großeinsatz am Nagolder Berufsschulzentrum. Menschen klagen über Übelkeit. Normaler Schulbetrieb am Donnerstag.

Nagold - Großalarm am Nagolder Berufsschulzentrum. Eine zunächst als Gas identifizierte Substanz hat am Mittwoch 72 Menschen verletzt. Das LKA identifizierte den Stoff letztlich als das wenig gefährliche Diallyldisulfid. Ermittler sprechen von einem "üblen Scherz". Die Polizei ermittelt trotzdem wegen gefährlicher Körperverletzung.

Es ist gegen 9.40 Uhr, als Reinhard Maier verständigt wird. In einem Klassenraum im dritten Stock und in einem Kopierraum rieche es stechend nach Gas. Erste Menschen klagten über Übelkeit, Erbrechen, Augenreizen. Der Leiter der Rolf-Benz-Schule, der zugleich Chemielehrer ist, verschafft sich schnell einen Eindruck und schlägt sofort Alarm: Evakuierung des ganzen Gebäudes!

Binnen weniger Minuten ist der riesige Gebäudekomplex im Nagolder Bächlen, in dem sich zum Zeitpunkt des Geschehens rund 1500 Schüler befinden, leer. Alles sei in geordneten Bahnen abgelaufen, von Panik unter den Schülern keine Spur, berichten Augenzeugen.

Geborstenen Glaskörper sichergestellt

Der von der Schule abgesetzte Alarm erreicht binnen kürzester Zeit Feuerwehr, Polizei und Rotes Kreuz, die schnell mit einem Großaufgebot am Ort des Geschehens sind. Unter ihnen auch Kreisbrandmeister Hans-Georg Heide, der die Einsatzleitung übernimmt. Schnell ist klar, dass mehr als 70 Menschen durch die Substanz Verletzungen davongetragen haben. Die Rede ist von Übelkeit und Erbrechen, Reizungen von Augen und Atemwegen. Bei gut der Hälfte der Verletzten bessert sich der Zustand zunächst nicht. 16 von ihnen werden stationär im Nagolder Krankenhaus aufgenommen, zwölf ins Calwer Krankenhaus gebracht, sechs nach Herrenberg. Auch die Klinik in Sindelfingen wird in Bereitschaft versetzt.

Kräfte der Feuerwehr beginnen derweil damit, den großen Komplex zu entlüften. Feuerwehrleute mit Atemschutzgerät machen sich auf die Suche nach der Ursache und überprüfen mit Messgeräten die Belastungen der einzelnen Räume. In einem Schulraum finden sie einen geborstenen Glaskörper mit einer Restmenge einer unbekannten Substanz, die sie sicherstellen.

Polizei und Feuerwehr halten sich mit Informationen über die Ursache der Vorkommnisse zunächst zurück, bestätigen dann aber am frühen Nachmittag, dass jemand einen Stoff mit in die Schule gebracht habe, der dann – absichtlich oder aus Versehen – freigesetzt wurde und die Verletzungen bei den Schülern und Lehrern verursacht habe.

Sowohl Vertreter des Trägers Landkreis Calw als auch der Feuerwehr und der Polizei ordnen das Ganze schon am Mittwochmittag als "üblen Scherz" ein. Es werde aber "in alle Richtungen" ermittelt heißt es von der Polizei. Eine Gefahr für die Bevölkerung bestehe keine.

Um zu klären, welcher Stoff in den Räumen des Berufsschulzentrums freigesetzt wurde, sammelt die Feuerwehr Materialproben aus den betroffenen Räumen. Ein Polizeihubschrauber soll die Proben an Bord nehmen und zum Landeskriminalamt in Stuttgart bringen. Der Hubschrauber ist zwar schnell zur Stelle, zögert aber zunächst mit der Landung. Man müsse sicher sein, dass das Material sicher verpackt sei und eine Gefährdung der Hubschrauberbesatzung ausgeschlossen werden könne. Nach einigen Minuten des Informationsaustauschs landet der Hubschrauber auf dem Rasensportplatz in unmittelbarer Nähe zum Berufsschulzentrum. Beamte steigen aus, besprechen sich mit Vertretern der Feuerwehr, der Polizei und Einsatzleiter Hans-Georg Heide. Kurze Zeit später hebt der Hubschrauber mit den Proben mit Ziel Landeskriminalamt wieder ab.

Substanz stellt sich als Diallylsulfid heraus

Gegen 16.30 Uhr kommt teilweise Entwarnung aus Stuttgart. Bei der fraglichen Substanz handele es sich um Diallylsulfid (DADS), das teilweise sogar in der Lebensmittelindustrie verwendet werde, meldet das LKA. Von dem metallisch nach Knoblauch übel riechenden DADS gingen "keine weiteren Gefahren" aus. Gleichwohl habe das Polizeirevier Nagold Ermittlungen gegen Unbekannt wegen gefährlicher Körperverletzung aufgenommen.

Der Erste Landesbeamte Frank Wiehe und der für Brand- und Katastrophenschutz zuständige Landkreis- Dezernent Joachim Bley, die ebenfalls an den Ort der Geschehnisse geeilt sind, zeigen sich derweil trotz aller Besorgnis zufrieden mit dem Ablauf der Rettungsaktion. "Die Rettungskräfte, Feuerwehr und Polizei haben wirklich professionell zusammengearbeitet", so Wiehe gegenüber unserer Zeitung.

Nach einer weiteren Überprüfung der Räume durch die Feuerwehr, gibt diese den Schulkomplex wieder frei. Dem Schulbetrieb am Donnerstag stehe nichts im Wege, meldet die Polizei.