Die Protagonisten des Abends (von links) Helmut Raaf, Siegrid Plaschke, Weinredner Fritz Becker, Gewerbevereinsvorsitzender Ralf Benz, OB Jürgen Großmann, Rainer Jäger und Volker Simon. Foto: Schwarzwälder Bote

Weinrede: Mit Fritz Becker ist einer der ambitioniertesten Winzer Deutschlands zu Gast

Landesväter waren schon hier und auch ein veritabler EU-Kommissar, Blaublütige und zuletzt sogar ein Bischof. Aber mit Fritz Becker aus der Südpfalz stand ein ganz neuer Typus im Mittelpunkt der 18. Nagolder Weinrede. Ein Mann, so knorrig wie seine ältesten Weinstöcke, aber unterhaltsam allemal.

Nagold. Nach Julia Klöckner, der heutigen Bundeslandwirtschaftsministerin, und Kurt Beck, einstiger Ministerpräsident, ist Fritz Becker der dritte Pfälzer, dem die Hauptrolle bei dieser Traditionsveranstaltung des Nagolder Gewerbevereins, gleichsam festlicher Auftakt des Urschelherbstes, zufiel. Wobei Weinredebeauftragter Helmut Raaf, stets auf der Suche nach geeigneten Protagonisten, wie immer mit der ihm eigenen zielstrebigen Beharrlichkeit nachhelfen musste und den 70-jährigen Winzer so aus der pfälzischen "Heiterkeit des Seins" (Originalton Raaf) "in die Schatten der schwarzen Tannen" lotste.

Ganz leicht fiel es Becker an dem Abend offenbar nicht, von seinen Rebhängen zu lassen und stattdessen in der vollbesetzten Seminarturnhalle ans Weinfass zu treten. Es sei ihm "sehr, sehr schwer gefallen", sagte er unumwunden im Scheinwerferlicht von Nagolds Kulturtempel, der wieder den optimalen Rahmen für diese weinselige Veranstaltung bot. Denn Becker ist ein Besessener, der seinen Qualitätsansprüchen alles unterordnet. Insofern fiel es ihm nicht leicht, mitten in der Weinlese von seinen Trauben zu lassen, die so reif an den Stöcken hingen und dringend der Lese harrten.

Aber Fritz Becker schlüpfte barfuß in seine Sandalen und stellte sich – als etwas anderes Format dieser Weinrede – an diesem Abend den fachkundigen Interviewfragen von Siegrid Plaschke und Volker Simon. Beide sind Mitglieder der Weinfindungskommission, die im Vorfeld Beckers feine Tropfen in der sonnigen Pfalz getestet, für vorzüglich befunden und die Weinfolge passend zum Menü des langjährigen Sternekochs Stefan Beiter von Nagolds "Alte Post" zusammengestellt hatte.

Gourmet Rainer Jäger führt launig durch die Welt der Kulinarik

Was Beiter hier für rund 200 Gäste auf den Tisch zauberte, war mit das Beste, was bis dato bei einer Nagolder Weinrede kredenzt wurde. Sein gebeizter Lachs mit Kräutervinaigrette und Apfelsalat, das Trüffelei mit Petersilienrisotto und vor allem seine geschmorte Rinderschulter mit Carpaccio auf Kartoffelpüree in Zwiebelsauce entzückten nicht nur Gourmet Rainer Jäger, der launig durch die Welt der Kulinarik führte und sich, wie er sagte, am liebsten in manches Gericht hineingesetzt hätte.

Den Service an diesem Abend übernahmen, umsichtig angeleitet von Marina Hentsch, dezent und aufmerksam Mitglieder der Nagolder Stadtkapelle. Gewerbevereinschef Ralf Benz, der auf seine sympathisch-ungekünstelte Art durch den Abend führte, erntete mit zufriedener Miene, was in monatelanger Vorarbeit von ihm und seinen Mitstreitern akribisch geplant worden war. Bis hin zum letzten Sound- und Technikcheck am Abend zuvor, den Seminarturnhallenchef Wolfgang Schäfer – selbstverständlich – selbst übernahm.

Die Weinrede fügte sich, häppchenweise im Interviewformat, wie von selbst ins Gesamtgefüge, wobei Fritz Becker seiner demonstrativen, aber eben so authentischen Kauzigkeit selbstbewusst freien Lauf ließ: "Ich bin schon ein verrückter Hund." Er erzählte an diesem Abend freimütig aus dem nicht immer konfliktfreien Familienleben, von seiner Passion ("Ich kenne jeden Weinstock und führe mit jedem ein Gespräch"), schwärmte von seinem besten Terroir am Kammerberg auf elsässischem Boden und auch von seinem Alltagswein – dem grünen Sylvaner, der neben Chardonnay und Spätburgundern aus seinem Haus bei dieser Weinrede ausgeschenkt wurde. Denn, sagte Becker mit pfälzischer Direktheit: "Du brauchsch ein ganz normaler Wein zum Saufen, du kannscht nicht jeden Tag des Beste trinken." Das Nagolder Publikum goutierte es und lachte herzhaft.

Am Ende war sogar Fritz Becker überrascht, wie schnell dieser Abend vorübergegangen war. Oberbürgermeister Jürgen Großmann sprach bei des Winzers Eintrag ins Goldene Buch der Stadt Nagold denn auch von einer "außergewöhnlichen Persönlichkeit" und einem "nicht alltäglichen Ereignis". Becker revanchierte sich prompt und schrieb in den dicken Wälzer die Widmung: "Danke für den schönen Abend – der Wein war auch gut".