Gast Günther Beckstein (links) mit dem Nagolder CDU-Ortsvereinsvorsitzenden Carl Christian Hirsch Foto: Kunert Foto: Schwarzwälder Bote

Prominent: Ex-CSU-Ministerpräsident spricht über "Verantwortungs-Ethik" und Schießbefehl / Mit Haltung für neue politische Kultur

So wirklich Wahlkampf – wie vielleicht zu erwarten gewesen wäre – war der Auftritt von Bayerns Ex-Ministerpräsident Günther Beckstein beim neu geschaffenen Format "Frühjahrsempfang" des CDU-Stadtverbands Nagold irgendwie nicht. Eher eine Nabelschau der Christdemokraten selbst.

Nagold-Hochdorf. "Christ und Politik" hatte Beckstein seinen gut einstündigen Vortrag überschrieben. Weshalb der Veranstaltungsort mit dem Evangelischen Gemeindehaus in Nagold-Hochdorf auch ziemlich gut passte. Und auch von der Kapazität her locker ausreichend war – das Kaiserwetter draußen an diesem späten Sonntagvormittag war, gemessen an den leeren Plätzen im Gemeindesaal, eine harte Konkurrenz für den bekennenden Protestanten aus Franken und ersten evangelischen Ministerpräsidenten des Nachbar-Bundeslandes.

"Ich wollte dorthin, wo die Spannung am größten ist"

Dass Beckstein überhaupt lieber nach Hochdorf kam als zur zeitgleich stattfindenden Sicherheitskonferenz in München zu fahren, wo er nach eigenen Worten sonst eigentlich gewesen wäre, war Friedlinde Gurr-Hirsch zu verdanken, Mutter des neuen Nagolder CDU-Stadtverbandsvorsitzenden Carl Christian Hirsch. Die ließ es sich daher natürlich auch nicht nehmen, den hohen Gast aus Nürnberg, wo Beckstein seit seiner Kindheit lebt, zu begrüßen.

Womit Beckstein, der, wie er sagte, eigentlich nie in die Politik wollte und eher durch Zufall zu seinem ersten Mandat als bayerischer Landtagsabgeordneter gekommen sei, bereits bei seinem ersten persönlichen Beispiel passend zu seinem Vortragsthema angekommen war.

Denn Beckstein wohnt im Stadtteil Langwasser in Nürnberg – "wo meine Kinder als Deutsch-Muttersprachler in der Minderheit waren". Ein schwieriges Quartier, bereits eine "Grenzfläche der Politik". Die sich der heute 75-Jährige für sein politisches Wirken immer gezielt aussuchen sollte. "Ich wollte als evangelischer Christ leben", und der damals noch konfliktreichen Koexistenz mit der katholischen Kirche in seiner Heimatstadt und seinem Heimatland etwas entgegensetzen. Aber wenn schon, dann "keine langweilige Karriere", sondern: "Ich wollte dorthin, wo die Spannung am größten ist." Es sollte Beckstein gelingen: Von 1993 bis 2007 war er bayerischer Staatsminister des Innern – ein Prüfstein immer wieder für den Christen Beckstein. Zum Beispiel, wenn er einen Schießbefehl als Ultima Ratio auszustellen hatte, um eine Geiselnahme oder andere Krise zu bewältigen. "Was einen danach ein ganzes Leben umtreibt."

Sichtbares Zeichen dafür, dass sich der Mensch und Christ Beckstein seine politischen Entscheidungen nie leicht gemacht hat: Nach mehreren Hörstürzen ist Beckstein einseitig ertaubt und besitzt ein so genanntes (deutlich sichtbares) "Cochlea-Implantat", eine Hörprothese.

Es mag überraschen, dass der CSU-Mann als Erklärung für seine Haltung als (Innen-)Politiker ausgerechnet den ehemaligen sozialdemokratischen Bundeskanzler und Hamburger Innensenator Helmut Schmidt zitiert, der gesagt haben soll: "Mit der Bergpredigt kann man nicht die Welt regieren." Erst recht keinen Freistaat.

Daher sei die Politik für einen Christen eine stete Bewährungsprobe. Wobei Beckstein als langjähriges Mitglied der Landessynode der Evangelischen Kirche in Bayern und ehemaliger Vizepräses der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland um "die Gemeinheiten in der Politik und den kirchlichen Gremien" ganz genau weiß.

Weshalb er für sich zwischen "Gesinnungs-Ethik" – seinem christlichen Glauben und dem Leben nach den christlichen Geboten – und einer "Verantwortungs-Ethik" unterscheidet, wobei nur letztere für Politik und Amt tauge. "Es geht in der Politik nicht um die ewigen Wahrheiten, sondern um zweckmäßige Lösungen."

"Wer wirklich in Not ist, wird von uns aufgenommen"

Doch wo bleibt dann der Christ in der Verantwortung? Für Beckstein ist hier das deutsche Grundgesetz (Zitat: "Ein echtes Verfassungs-Wunder" das "absolut Beste, was es als Grundlage für ein Staatswesen" geben könnte – angefangen beim Paragraph eins: "Die Würde des Menschen ist unantastbar.") Da gebe es keine Unterschiede, ob Demenz-Patient oder Nobelpreisträger. Heißt, angewendet auf die aktuelle Flüchtlings-Diskussion: "Wer wirklich in Not ist, wird von uns aufgenommen." Wirtschaftsflüchtlinge abgewiesen. Auch wenn die schiere Menge der Flüchtlinge aus echter Verfolgung bereits die nächste Herausforderung werden könnte.

Mit diesem "Koordinaten-System" dekliniert Beckstein dann die aktuellen Themen für die Parteifreunde durch. Zum Beispiel die Konkurrenz rechts von CDU/CSU durch die AfD: "Die echten Extremisten in dieser Partei identifizieren und benennen", um den "wahren demokratischen Rechten" eine wirkliche politische Heimat zu sein.

Konkurrenz von der "anderen Seite", die Grünen: Das Umweltthema wieder zurückholen, schließlich war CSU-Mann Max Streibl der erste Umweltminister überhaupt (ab 1970); und überhaupt: "Die Schöpfung bewahren ist unsere Sache." Diesel-Krise: "Beim CO2 ist der Diesel eindeutig besser", wobei es eine Bekenntnis zur deutschen Automobil-Industrie brauche, an der zum Beispiel in Bayern "40 Prozent der Arbeitsplätze hängen." Beckstein: "Sägen wir nicht mutwillig den Ast ab, auf dem wir sitzen." Hier Ökonomie und Ökologie in Einklang zu bringen, sei wieder "Kernkompetenz" von CDU/CSU.

Am Ende ein besonderes Plädoyer zur politischen Kultur in Deutschland, anhand eines prominenten Beispiels: In einer Talkrunde bei Günther Jauch fährt Beckstein (seiner guten Freundin) Claudia Roth von den Grünen vor einem Millionen-Publikum lautstark über den Mund: "Du redest nur Blödsinn!" Jauchs verblüffte Frage: "Sie duzen Frau Roth?"

Woraufhin Beckstein von der tiefen Freundschaft zur politischen Gegnerin berichtete – was aber nichts am ebenfalls tiefen Disput bei den politischen Ansichten ändere: "Sie ist der Prüfstein meiner Toleranz", so Beckstein über Roth. Was diese mit den Worten quittierte: "Günther, das hast du aber schön gesagt."