Flatz ließ sich 1991 von einem Glöckner zwischen Metallplatten hin- und herschwingen. Foto: Flatz Foundation/Videostill

Er weiß, wie man Menschen reizt: Passend zu seiner Ausstellung in der Pinakothek der Moderne in München hat Wolfgang Flatz seine Tattoos an einen Sammler verkauft. Ist das Provokation oder Kunst?

Am Ende kam es dann doch nicht zu einer der unappetitlichsten Kunstauktionen aller Zeiten. Ein Sammler schlug bereits vorab zu und kaufte alles, was der Künstler Wolfgang Flatz in München versteigern wollte: seine sämtlichen Tattoos. Er hat sich im Lauf der Jahre allerhand Schriftzüge in die Haut ritzen lassen – auf dem Rücken steht etwa in großen Buchstaben „Physical Sculpture“. Eines Tages, wenn Flatz stirbt, werden die Tätowierungen herausgeschnitten werden, präpariert und dem Sammler hinter Glas gerahmt überreicht werden. Wie genau seine Haut zur Kunst wird, hat Flatz in seinem Testament verfügt.

Man könnte die Auktion, die in der Münchener Pinakothek der Moderne hätte stattfinden sollen, für einen perfekten PR-Gag halten. Schließlich ist es in den vergangenen Jahren ruhiger geworden um den inzwischen 71-jährigen Künstler, sodass das Museum sicher gut ein wenig Werbung gebrauchen kann für die Sonderausstellung zu Flatz. Aber im Grunde reiht sich die Auktion bestens ein in das Werk des ewigen Provokateurs und ist wie alle seine Arbeiten für das Publikum vor allem eines: schmerzhaft.

Er zeigt uns, wozu der Mensch fähig ist

Schon beim Betreten der Ausstellung kann man sich blaue Flecken holen, denn die Besucher müssen sich ihren Weg durch ein Heer schwerer Boxsäcke bahnen, die von der Decke hängen. Je energischer man sie wegstößt, desto härter treffen sie doch nur einen selbst. Doch das ist noch harmlos, denn die Ausstellung begrüßt einen mit einer berühmt-berüchtigten Videoarbeit, bei der man schon fragen kann, wie es um die psychische Verfasstheit von Wolfgang Flatz wohl steht. Denn 15 grausame Minuten lang kann man zuschauen, wie er an den Füßen baumelt und von einem Glöckner wie ein Klöppel zwischen zwei Stahlplatten hin- und hergeschleudert wird. Am Ende der drastischen Aktion aus dem Jahr 1990/91 schmetterte Flatz nur noch bewusstlos gegen das Metall.

Aber es ist weniger der physische Schmerz, der diese und andere Arbeiten so brutal wirken lässt, als eher das Wissen, dass sich Menschen all das eben auch gegenseitig antun, sich quälen, foltern und Schmerzen viel größeren Ausmaßes zufügen. Letztlich erschüttert bei der Tattoo-Auktion auch weniger die Tatsache, dass der Künstler nach seinem Tod die Haut abgezogen bekommt, als das Wissen, dass die Nazis aus der Haut von KZ-Insassen Lampenschirme fertigen ließen.

Flatz hat sich wie Marina Abramovic bewusst Schmerz zugefügt

Wolfgang Flatz hat sich schon früh einen Namen als Provokateur gemacht. Er wuchs in Vorarlberg auf, absolvierte eine Lehre als Goldschmied, studierte Metalldesign und schließlich in München Kunstgeschichte. Er hatte es schon früh raus, auch jenseits der Kunstblase für Schlagzeilen zu sorgen – ob mit seiner Deutschen Dogge, die er Hitler nannte, oder mit einer Aktion 1979 in Stuttgart, als er sich zur nackten Dartscheibe erklärte und das Publikum aufforderte, ihn gegen Geld mit Pfeilen zu bewerfen.

Sicher benötigt man eine besondere psychische Disposition für solche autoaggressiven Aktionen. Dass Flatz sich wie die Performance-Künstlerin Marina Abramovic immer wieder Schmerz zufügte, damit aber nicht ganz so bekannt wurde wie sie, liegt vermutlich daran, dass seine Arbeiten lauter, schroffer, machohafter, aber auch plakativer wirken. So steht in der Pinakothek ein rotes Samtsofa, das von einem dicken Porsche förmlich bestiegen wurde. Flatz hat auch Motorräder dekoriert mit scharfkantigen Spiegelscherben oder ein Auto mit Lochblech und Gittern in eine Trutzburg umgebaut.

Er sei der „Spucknapf des guten Geschmacks“

Lange bevor es in Mode kam, hat Flatz sich bereits Botschaften auf den Körper tätowieren lassen – etwa einen Warencode, der zeigen sollte, dass Künstler immer auch als Ware missbraucht werden. Selbst wenn seine Ideen vordergründig effekthascherisch daherkommen, reflektieren sie auch ernste Themen wie Sterblichkeit, Sadismus, Macht und Eitelkeit – und en passant die Frage, was Kunst ist oder sein darf. Er sei „der Spucknapf des guten Geschmacks“ gewesen, heißt es in einer Soundarbeit, der „dunkle Fleck auf dem Unschuldskleid“. So deckt Flatz letztlich auch manchen Selbstbetrug im Kunstbetrieb auf. So schäbig es sein mag, seine eigene Haut feilzubieten, so schäbig ist es, dieses durchtriebene Spiel mitzuspielen.

In der Ausstellung hängt auch ein lebensgroßes Foto des nackten Künstlers mit Gipsfuß. Es sollte eigentlich als Ausstellungsmotiv in ganz München plakatiert werden. Man ahnt, dass es einen kleinen Skandal gegeben hätte. Nun ist es nicht die Öffentlichkeit, sondern der Künstler, der sich empört: Die zuständige Firma Ströer zensierte das Vorhaben kurzerhand und weigerte sich, das Bild des nackten Künstlers aufzuhängen – aus Gründen des Jugendschutzes.

Info

Künstler
 Wolfgang Flatz, Jahrgang 1952, wuchs in Vorarlberg auf, absolvierte eine Lehre als Goldschmied, studierte Metalldesign und schließlich in München Kunstgeschichte. Er hatte es schon früh raus, auch jenseits der Kunstblase für Schlagzeilen zu sorgen – auch mit seiner Deutschen Dogge, die er Hitler nannte.

Ausstellung
 „Flatz – Something Wrong With Physical Sculpture“ in der Pinakothek der Moderne in München läuft bis 5. Mai, Di und Mi 10 – 20 Uhr, Do – So 10 bis 18 Uhr.