IG-Metall-Bezirksleiter Roman Zitzelsberger mahnt, dass die Autoindustrie in Deutschland nur dann eine Zukunft haben werde, wenn es ihr gelinge, Mobilität klimafreundlicher zu machen. Foto: dpa

Im Schatten der Berliner Autogipfel startet die SPD-Südschiene eine Reihe von Mobilitätsgipfeln. Zum Auftakt in Stuttgart wird deutlich, dass die Industrie notfalls mit gesetzlichen Maßnahmen zur Umrüstung von Fahrzeugen mit zu hohem Schadstoffausstoß verpflichtet werden soll.

Stuttgart - Das Wahlkampf-Pech verfolgt die SPD auch in der Abgaskrise: Erstmals lud ihre sogenannte Südschiene von fünf Landesverbänden zu einem von mehreren Mobilitätsgipfeln nach Stuttgart, doch stand der Auftakt im Schatten der Treffen im Kanzleramt. So hatte Angela Merkel am Montag zum zweiten Auto-Gipfel und am Mittwoch die Betriebsratschefs der deutschen Autokonzerne nach Berlin eingeladen. Somit hatte es die SPD wiederum schwer, ihrer Position Gehör zu verschaffen.

Der Tenor in der Liederhalle lautete folglich: Die Ergebnisse der Merkel-Gipfel reichen nicht aus. Unter anderem verlangen die Sozialdemokraten, dass die Autoindustrie rasch die Wirksamkeit der von ihr angebotenen Software-Updates nachweisen müsse. Wenn diese nicht bis 2018 wirksame Fortschritte bei der Luftreinhaltung brächten, sei die Branche zum Hardware-Austausch verpflichtet, der aber keinesfalls zu Lasten der Verbraucher gehen dürfe. Die Hersteller sollen die Kosten übernehmen. „Die Autoindustrie steht in der Verantwortung“, sagte SPD-Vize Thorsten Schäfer-Gümbel. Komme sie dieser nicht nach, „wird nachgeholfen werden“, brachte er gesetzliche Verpflichtungen für Nachrüstungen ins Spiel. Fahrverbote in Städten durch eine blaue Plakette will die SPD vorerst vermeiden. „Es muss alles getan werden, damit die Fahrverbote nicht kommen“, sagte Baden-Württembergs SPD-Landeschefin Leni Breymaier. „Erbärmlich“ nannte sie es, wenn Gerichte statt der Politik darüber befinden würden.

„Die Autoindustrie an den Haken nehmen“

Mit der Verdopplung des Hilfsfonds für abgasbelastete Städte auf eine Milliarde Euro – am Vortag im Beisein von Oberbürgermeistern und Ministerpräsidenten im Kanzleramt verkündet – zeigt sich die SPD nur bedingt zufrieden. Sie hatte die Verdoppelung zwar gefordert, erwartet nun aber, „dass sich die nicht-deutschen Automobilhersteller auch daran beteiligen“. Die machten sich einen „schlanken Fuß“, rügte Schäfer-Gümbel. Der hessische SPD-Vorsitzende mahnte zudem eine „Wiederbelebung der klassischen Industriepolitik“ mit mehr Abstimmung von Politik, Verbänden und Gewerkschaften an. Der Mobilitätswandel werde die Republik stärker beschäftigen als die Energiewende, meint er. Die Südverbände wollen nun binnen eines Jahres ein „ganzheitliches Mobilitätskonzept“ erarbeiten, das die Interessen aller Beteiligten vereinigt. „Das kann nur die SPD“, sagte der Rheinland-Pfälzer Daniel Stich. In der Tat hat keine Partei dieses Ziel, den Ansprüchen von Beschäftigten, Verbrauchern, Umweltschützern und der Industrie gleichmaßermaßen gerecht zu werden – was fast einer Quadratur des Kreises gleichkommt. Man dürfe Arbeit und Umwelt nicht gegeneinander ausspielen, sagte Schäfer-Gümbel. Das nächste Treffen Anfang nächsten Jahres ist in Bayern geplant.

IG-Metall-Bezirksleiter Roman Zitzelsberger, Teilnehmer beim ersten Autogipfel Anfang August im Kanzleramt, monierte, dass die Politik sich nicht dazu durchgerungen habe, die Autoindustrie mit mehr Verbindlichkeit zu Umrüstungen „an den Haken zu nehmen“. Und der Gewerkschafter beklagte einen teilweise „mäßigen Sachverstand“ in der Abgasdebatte, die einen „richtigen Keil in die Gesellschaft treibt“. Dies führe zu einem „hohen Maß an Unsicherheit“ in den Belegschaften, die Angst um ihre Arbeitsplätze hätten. „Wir brauchen eine Sicherheit im Wandel insbesondere für die Beschäftigten.“ Wie Schäfer-Gümbel warnte er davor, sich auf Elektromobilität als künftig maßgebliche Antriebstechnologie festzulegen. Stattdessen plädierten beide für eine Technologieoffenheit.

„Die Innovationsfähigkeit tropft aus allen Poren“

Martin Koers, Abteilungsleiter beim Verband der Automobilindustrie, machte eine „mediale Kakophonie“ für das vorherrschende Gefühl verantwortlich, dass die Autoindustrie vermeintlich nichts tue – obwohl ihr „die Innovationsfähigkeit aus allen Poren tropft“. „Wir brauchen keine (Elektro-)Quoten und keine Verbotspolitik“, drängte er die Politik zum Maßhalten. Vielmehr müsse die Industrie – wie Tesla etwa – Begehrlichkeiten und Begeisterung für neue Technologien wecken.

Die BUND-Landesvorsitzende Brigitte Dahlbender nahm daher eine Außenseiterposition ein. „Wir kommen nicht darum herum, den Pkw-Bestand erheblich zu reduzieren“, sagte sie. Man sollte nicht Bedarfe für Tesla, sondern für neue mobile Dienstleistungen wecken. Ohne eine neue Mobilitätskultur seien die Klimaschutzziele nicht zu erreichen. In diesem Strukturwandel könne Baden-Württemberg ein Leuchtturm werden, hofft sie. So radikal wagt in der SPD in der Sorge um die Beschäftigten – wenig überraschend – niemand zu denken.