Ein normales Leben oder große Not? Äusserlich sieht man eine schmucke Fassade, aber was sich im Inneren des Hauses hinter dem Fenster des Hauses abspielt, bleibt meistens verborgen. Foto: Gräff

Auf dem Land müssen vor allem alte Menschen mit Minirente leben. Aus Scham vor den Nachbarn wird geschwiegen.

Mittleres Kinzigtal - Altersarmut, ist das eher Jammern auf hohem Niveau? Die Antwort gibt ein Leserbrief im Schwarzwälder Bote. Vor allem der erste Satz der Leserin aus Bad Wildbad ist erschreckend. Sie muss mit 7755 Euro im Jahr ihr Dasein fristen. Der SchwaBo fragt nun, ob es Altersarmut auch im Kinzigtal gibt.

Die Frage muss Jürgen Bärmann mit "Ja" beantworten. Der vom Amtsgericht Wolfach bestellte rechtliche Betreuer ist nach eigenen Angaben täglich mit solchen Fällen aus dem Mittleren Kinzigtal, also eher im ländlich geprägten Raum, konfrontiert. 43 Menschen aus "seinem" Gebiet Haslach Gutach, Hornberg, Wolfach und Oberwolfach, davon etwa 50 Prozent junge Menschen, betreut Bärmann derzeit.

"Es sind aber vor allem alte Menschen, Kriegsfrauen oder auch Trümmerfrauen genannt, die mit einer Minirente dahinvegetieren müssen", sagt Bärmann im Gespräch mit dem SchwaBo. Er ist überzeugt, dass "hier in Deutschland im sozialen Bereich einiges schiefläuft". Nicht nur in der Stadt leben vor allem alte Menschen in großer Armut, auch auf dem Land. "Da wird vieles nur eher verdeckt aus Scham vor den Nachbarn im Dorf", weiß Bärmann. Gerade auf dem Dorf sei die soziale Kontrolle so groß, dass man sich lieber verstecke, als sich zu outen. Und er nennt Beispiele, die einem beim Zuhören die Haare zu Berge stehen lassen. "Können Sie sich vorstellen, eine ganze Woche lang nur von dünner Kartoffelsuppe zu leben, weil das Geld nicht reicht", fragt Bärmann. Er hat so einen Fall. Und noch andere. "Da kommt eine alte Dame durch wirklich eisernes Sparen so gerade mit ihrer Rente hin. Flattert dann die Nebenkostennachzahlung für ihre Wohnung in ihren Briefkasten bricht das auf Kante genähte Gefüge mit großem Getöse zusammen", erzählt Bärmann.

Menschen waren früher fast alle Selbstversorger

Warum vor allem die alten Menschen in große Not geraten, hat seinen Hintergrund. "Früher waren das alles Selbstversorger, die Männer gingen zur Arbeit, die Frauen versorgten die Kinder und kümmerten sich um den Haushalt", sagt Bärmann.

Meist starben die Männer im Rentenalter dann früher als die Frauen, und diese mussten von dem leben, was die Witwenrente noch hergab.

Jürgen Bärmann macht das wütend: "Es ist in meinen Augen ein Skandal, wenn eine Lebensleistung in der Form abgegolten wird." Natürlich gibt es die Möglichkeit, dass die Menschen beim Staat finanzielle Hilfe in Anspruch nehmen können. "Aber da erinnere ich an den Paragrafen 1 im Grundgesetz, nachdem die Würde des Menschen unantastbar ist", betont Bärmann.

Die alten Leute würden sich einfach schämen, andere um Hilfe zu bitten, meint er. Dazu komme auch noch das hochkomplizierte Ausfüllen der entsprechenden Formulare: "Das schaffen die Menschen ohne fremde Hilfe gar nicht mehr."

Dieses Dilemma bestätigt auch Henriette Haas. Die Vorsitzende des Ortsvereins Hornberg der Arbeiterwohlfahrt hat oft genug die Erfahrung gemacht, dass es die Leute schon gewöhnt sind, in Armut zu leben.

Sie hat für den Hornberger Awo-Tafelladen bereits über 100 Ausweise ausgestellt, Tendenz steigend. "Es ist erschütternd, wenn ich dann von einem Tafelladenbesucher höre, dass die Einrichtung ein Segen ist, weil er endlich mal etwas Abwechslung beim Essen erleben kann", sagt sie.

Fast unvorstellbar eigentlich in unserer hochkultivierten Gesellschaft. Um die 40 Familien betreut die Hornberger Awo, daneben sind es auch viele alte und alleinstehende Menschen.

"Ich denke aber, die Dunkelziffer derjenigen, die sich nicht trauen, sehr hoch ist", vermutet sie. Haas muss auch immer wieder darum kämpfen, dass genügend Lebensmittel für den Tafelladen gespendet werden. "Eine Zeitlang war da ein richtiger Einbruch, jetzt geht es gerade wieder", sorgt sie sich.

Beide, Henritte Haas und Jürgen Bärmann, sehen beim Thema Altersarmut dringenden Handlungsbdarf durch die Bundespolitik: "Da muss sich dringend etwas ändern."

Seite 2: "Jedre Bedürftige hat Rechtsanspruch"

"Der Fall klingt für mich erschütternd." Thorsten Frei, CDU-Bundestagsabgeordneter für den Wahlkreis Schwarzwald-Baar und Oberes Kinzigtal, reagiert betroffen, als ihm der SchwaBo die wenigen Leserbriefzeilen nach Berlin übermittelt .

"Trotzdem bleibt festzustellen, dass es den Rentnern in Deutschland noch nie so gut ging und die Altersarmit in unserem Land am geringsten ausgeprägt ist", sagt er im Gespräch mit dem SchwaBo. Die Altersarmut will er deswegen aber nicht wegreden: "Etwa drei Prozent der Rentner hier in Deutschland leben in der Tat von der Grundsicherung, und da ist jeder Einzelfall schlimm", betont er. Die Grundsicherung im Alter sieht er daher als eine große Errungenschaft an, die im Übrigen absolut kein Almosen darstelle: "Hier hat jeder Hilfsbedürftige einen Rechtsanspruch darauf, und diesen muss er auch wahrnehmen", erklärt Frei. Ihm sei das Schamgefühl der Bedürftigen durchaus bekannt, nur müsse man da einfach diese Barriere durchbrechen.

Ein klein wenig Linderung sieht Frei im geänderten Rentenrecht "Da werden Mütter, die ihre Kinder vor 1992 geboren haben, heute etwa 30 Euro mehr pro Kind und Monat bekommen." Sicherlich ein Tropfen auf den heißen Stein, aber: "Die Mütter, die nicht gearbeitet haben im Sinne, dass sie einem Erwerb nachgegangen sind, haben dennoch für die Gesellschaft eine Leistung erbracht, und die muss honoriert werden", sagt Frei. Eine Barriere sieht der Politiker allerdings bei den hochkomplizierten Formularen: "Da wünschte ich mir auch, dass die leichter zu verstehen sind."

Man könne allerdings Rente und Abgeordneten-Diäten nicht miteinander vergleichen, greift Frei den zweiten Satz der Lesebriefschreiberin auf. "Hier handelt es sich um das Gehalt eines Abgeordneten in Höhe von 7290 Euro, und die müssen versteuert werden wie bei jedem anderen Arbeitnehmer auch", rechnet Frei vor.

Weitergehende Aufwandspauschalen wie den Zweitwohnsitz in Berlin, die Miete seines Wahlkreisbürus oder für ein zweites Fahrzeug werden durch eine Aufwandspauschale abgerechnet. "Mich stört das Wort Diäten schon, eigentlich müsste es Gehalt heißen", betont Frei. Was er im Übrigen auch nicht in Ordnung findet, ist die Tatsache, dass die Abgeordneten quasi über die Höhe ihres eigenen Gehaltes bestimmen können: "Es wäre besser und vor allem fairer, unsere Diäten an der allgemeinen Lohnentwicklung zu orientieren."

Unabhängig davon hofft Frei, dass die Menschen, die in Altersarmut leben, die staatliche Unterstützung auch wirklich ohne Schamgefühl annehmen: "Kartoffelsuppe schmeckt ja ganz gut, aber wenn ich die jeden Tag essen müsste, wäre das nicht mehr der Hit."

Kommentar: Altersarmut

Von Eckhard Gräff

"Ich habe zum Leben zuviel und zum Sterben zu wenig": Viel zu oft wird dieser Satz eben mal im Spaß salopp dahergesagt, wenn das nötige Kleingeld gerade nicht da ist für ein Traumauto oder den Traumurlaub. Das Lachen bleibt einem aber im Halse stecken, wenn die Realität dieses Satzes hinterfragt wird. Gibt es doch in unserem reichen Deutschland Menschen, die ihr Leben lang für das wirtschaftliche Wohlergehen unseres Landes geackert haben und dann im hohen Alter am Hungertuch nagen. Unbegreiflich auch, wenn man bedenkt, dass man besonders im Kinzigtal im Wohlstand lebt und auch hier Lebensmittel weggeworfen werden. Mit 7755 Euro Rente im Jahr zu (über)leben, kann man sich gar nicht vorstellen. Diese Situation zu verbesseren, sollte nicht ein Problem von einigen helfenden Händen, sondern von uns allen sein. Denn helfen können sicher auf die ein oder andere Weise (fast) alle.