Symbolbild. Foto: Symbol-Foto: Schutt

Seit den Terroranschlägen in Paris kämpfen die Asylbewerber gegen Vorurteile. "Das hat nichts mit dem Islam zu tun".

Meßstetten - Die Terroranschläge in Paris haben auch die Asylbewerber in der Landeserstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge (Lea) in Meßstetten aufgeschreckt. Bei manchen ist zwei Wochen danach der Schock noch immer zu spüren – und die Angst, was das bedeutet.

"Das Leben liegt in Gottes Händen", sagt Abdulsalam Warde. Langsam lässt der 60-Jährige aus Homs in Syrien die Gebetskette aus grünen Plastikperlen durch seine Hand gleiten. "Was in Paris passiert ist, macht uns traurig, traurig im Herzen" – und wütend: "Diese Leute haben nichts mit dem Islam zu tun", betont der Muslim. "Wir sind vor diesen Leuten, vor dem Krieg geflohen und jetzt erfahren wir, dass es auch in Europa nicht sicher ist, das macht uns Angst."

Für den Syrer ist klar, sollte ihm jemand begegnen, der terroristische Gedanken hat, würde er den sofort anzeigen: "Die Menschen sollen in Sicherheit leben wie Brüder." So hat der 60-Jährige auch nichts gegen schärfere Grenzkontrollen einzuwenden: "Du weißt nicht, wer da alles reinkommt, Deutschland muss sehr vorsichtig sein." Und er schlägt vor, arabische Informanten bei den Flüchtlingen einzuschleusen, um Informationen zu erhalten. Er selbst wäre bereit, so eine Kontaktperson zu sein.

Keine Lösung sei, zu Hause zu sitzen, meint Warde, der sich schwer krebskrank auf den Weg nach Deutschland gemacht hatte und hier in Frieden und gesund leben will: "Auch die Muslime sollen rausgehen und klar machen, dass sie nichts mit Terrorismus gemein haben." Mit den Anhängern des "Islamischen Staates" lasse sich nicht reden: "Das sind Teufel, die bringen alle um, die nicht die gleiche Einstellung zum Koran haben." Dennoch hofft er, das der IS in den Griff zu bekommen ist, wenn alle Länder der Erde mithelfen, auch jene Staaten, die bislang die Terroristen unterstützt haben: "Unser Herz ist mit Frankreich."

"Mit den Menschen sind die Herzen gestorben"

"Ja, ich habe Angst", bekennt Obada Halima, Angst davor, dass auch unter den Flüchtlingen einer eine Bombe zündet. "Die sind überall", sagt der 25-Jährige aus Damaskus. Auf Facebook hatte er von den Anschlägen gelesen. Seine erste Reaktion war ein Schock: "Da sind Menschen gestorben und mit ihnen ist unser Herz gestorben." Das sei nicht gut für die Flüchtlinge: "Die Leute schauen uns jetzt anders an, obwohl wir nicht daran schuld sind." In der Lea hat er allerdings bislang keine Veränderung und Vorbehalte bemerkt. Der Terror lasse sich nur von innen heraus zerstören, ist er überzeugt.

Misstrauen zwischen den Flüchtlingen spürt derweil Mohammad: "Die Deutschen haben Recht, wenn sie weniger Vertrauen haben zu den Flüchtlingen als früher", meint der 38-jährige Christ aus Aleppo in Syrien. Auch er hat Angst, dass sich Terroristen unter den Flüchtlingen befinden. "Der Terror trifft doch alle und schaut nicht darauf, ob einer Muslim, Christ oder Jude ist." In Deutschland fühlt er sich jedoch sicher: "Das ist ein gesetzliches Land." In Syrien hat er Medizin studiert, das will er hier fortsetzen, während er hofft, dass der Terror in seinem Heimatland ein Ende findet und Frieden einkehrt. Dazu müssten alle Länder zusammen Hand in Hand gemeinsam gegen den Terrorismus arbeiten.

Dolmetscherin Naglaa Yusif-Ali nickt, als Ahmadouk Nashat seine Empfindung schildert: "Ich bin traurig im Herzen wie alle Menschen, die keinen Krieg und in Sicherheit leben wollen. Wir haben gedacht, wir sind in Deutschland in einem sicheren Land und der Terror kommt nicht zu uns, aber jetzt ist er doch gekommen", sagt der 26-Jährige. Der Sunnit sieht Auswirkungen auf sein Leben: "Viele Leute denken, dass die Muslime alle Terroristen sind, aber wir sind vor dem Terror geflohen, und Terror hat nichts mit Religion zu tun."

Deshalb will er durch sein Leben ein Beispiel geben, einfach so sein, wie er ist, damit "die Deutschen sehen, dass ich auch ein Mensch bin, sie den wirklichen Islam erleben" – ohne Missverständnisse. So fordert er die Muslime auf, in die Öffentlichkeit zu gehen und über den wahren Koran aufzuklären. "Das ist unsere Aufgabe und Pflicht, um Vorurteile abzubauen." Von dichteren Grenzen hält er wenig: "Es ist unmöglich, die Gedanken zu kontrollieren, die Idee geht über die Grenze hinweg, und härtere Kontrollen treffen Unschuldige: Familien und Kinder."

"Die haben mich persönlich angegriffen"

Eine Künstlerin, die momentan in der Lea lebt, bringt es auf den Punkt: "Durch diesen Terror fühle ich mich persönlich angegriffen, frei zu leben und frei zu gestalten."

Es sei ein unfairer Kampf, betont Ahmadouk Nashat, denn der "Islamische Staat" komme aus dem Hinterhalt und greife unschuldige Menschen an, die sich nicht wehren könnten. Dem beugen will er sich nicht: "Es bleibt ein Risiko, es gibt keine 100-prozentige Sicherheit. Davon lasse ich mir aber mein Leben nicht einschränken."