Mittendrin: Wo Hirsch und Hase sich gute Nacht sagen: Im Meßstetter Wildgehege haben Helfer viel zu tun

Erstaunlich, dass es möglich ist, zwölf Jahre im Raum Albstadt zu leben, ohne die Schönheit des Wildgeheges Meßstetten persönlich erlebt zu haben. Höchste Zeit, dort mal mit anzupacken.

Meßstetten. Gebürtige Spessarter glauben gelegentlich von sich, schon alles über Wald und Wild zu wissen. Falsch gedacht, wie sich bei meinem ersten – sicher nicht dem letzten – Ausflug ins Wildgehege Meßstetten herausstellt. Dort kümmern sich durchweg Männer um Schwarz-, Dam- und Rotwild, um Mufflons und Ziegen, Pfauen und Hasen, und das beschert jedem von ihnen drei Mal pro Jahr eine Woche lang Aufsichts- und Futterdienst, der freilich im Sommer nicht ganz so aufwendig und anstrengend ist wie im Winter. Eine gute Stunde, so berichtet Dominik Kästle, der mich zu seiner Runde mitnimmt, werden wir für den guten Kilometer brauchen. Im Winter seien es mehr als zwei – Schneeschippen gehört nämlich mit dazu.

"Im Sommer füttern wir ganz wenig zu", sagt Kästle. "Brot, Salat, Äpfel und sonstiges Obst – das meiste kommt von der Tafel." Der Anblick dessen, was zuerst von Bäckereien zum Tafelladen und von dort dann in Kästles riesige Körbe wandert, treibt mir fast die Tränen in die Augen: aus Wut über die Wohlstands- und Wegwerfgesellschaft. Die Wildsauen freilich, die sich mampfend über die Laibe und Brötchen hermachen, haben diesen Kummer nicht. Sie freuen sich darüber, neben Eicheln, Bucheckern und Kastanien noch ein Zubrot zu bekommen, und schubsen die Futterkonkurrenz auch mal beiseite. Kästle schmunzelt: "Beim Fressen hört die Freundschaft auf."

"Was wir füttern dürfen, ist vorgeschrieben", sagt Kästle, "und jeder neue Helfer geht erst zwei Wochen lang mit einem erfahrenen mit, der dann korrigierend eingreifen kann."

Mit der Idee eines Bundesförsters und einiger Jagdpächter aus Meßstetten hatte der Wildgehegeverein 1972 seinen Anfang genommen. Die Naturfreunde wollten etwas schaffen, wo jeder die sonst so scheuen Wildtiere sehen kann. 37 passive Mitglieder zählt der Verein heute – und 15 Aktive. Höchst Aktive.

Das Gehege selbst – zunächst nur für Rotwild – hatten sie erst nach und nach aufgebaut. Heute ist es – vorbildlich gepflegt und mit prächtigen Tieren bestückt – längst eine der größten Attraktionen der Region, ein Anziehungspunkt vor allem für Familien mit Kindern, die sich außerdem auf dem großen städtischen Spielplatz, Grillstelle inklusive, tummeln. Rund 60 000 Besucher pro Jahr zählt der Verein – eine geschätzte Zahl, denn der Eintritt ist frei. Zählen lassen sich nur die Einnahmen aus dem Verkauf der rund 7000 Futterpäckchen, für die Besucher einen Obolus entrichten.

Allerlei ist seit der Gründung passiert, berichten die Männer, darunter Vereinsvorsitzender Jürgen Grzesch und sein Stellvertreter Jörg Weiss, Kassierer Gerd-Rainer Kästle, der auch akribisch Buch führt über Wildbestand, Helfereinsätze, Fütterung und besondere Ereignisse, sowie Jörg Hohmann. Er ist es, der den Lesern des Schwarzwälder Boten mit fantastischen Fotos die Schönheit des Wildgeheges nahebringt und außerdem die kuriosen Geschichten kennt. Zum Beispiel jene von dem Hirschrudel, dass einen Sturmschaden am Zaun zum Ausbüchsen genutzt hatte, aber ganz schnell wiederkam: weil es den Tieren im Gehege so gut geht. Oder von jenem unvorsichtigen Besucher, der vor zwei Jahren an einem provisorischen Tor gerüttelt hatte. "Sieben oder acht Rothirsche sind raus", erinnert sich Hohmann, "aber bis auf zwei kamen alle binnen weniger Tage wieder."

Die restlichen Ausreißer habe einer auf einer Wiese gesehen, den damaligen Vorsitzenden Alfred Fauser verständigt, und der habe sie – gerade noch rechtzeitig, bevor ein Jäger sie abschießen konnte, wieder ins Gehege getrieben. "Wir müssen dem Landratsamt Bescheid sagen, wenn Hirsche entlaufen", so Hohmann, "und das hatte dann den Jäger verständigt."

"Wir sind alle Idealisten", sagt Hans-Jürgen Grzesch. Und sie alle arbeiten ehrenamtlich im Gehege, so dass immer etwas übrig bleibt für Investitionen. Wenn sie Wildfleisch verkaufen, dann nicht um Geld zu verdienen, betont Jörg Hohmann, der sich an keinen natürlichen Todesfall unter den Tieren erinnern kann. "Wir müssen sie verkaufen, aber es bleibt nicht viel übrig."

Wird ein Tier "entnommen", wie die Mitglieder es nennen, muss zuerst ein Veterinär sich davon überzeugen, dass es allen Tieren im Rudel gut geht. Erst dann darf ein Berechtigter – zuvor ist eine Prüfung erforderlich – das Tier schießen und es zum Metzger bringen, wo es im Beisein des Tierarztes aufgebrochen wird. "Hier wird waidgerecht geschossen", erklären die Mitglieder. "Ohne Treibjagd und ohne Stress." Für jene, die hinterher das Fleisch oder die beliebte Wildwurst – ein Renner beim Weihnachtsmarkt – verzehren, heißt das: kein Adrenalin im Fleisch. Antibiotika und sonstige Medikamente, wie sie vielen Schlachttieren verabreicht werden, sowieso nicht. Fazit: Gesünder geht Fleischgenuss kaum.

Mufflonfleisch schmeckt ähnlich wie Lamm

Das Fleisch der Mufflons schmecke wie Lammfleisch – "nur einen Ticken wilder", sagt Dominik Kästle, als wir zu den gehörnten Wildschafen gehen. In ihrem Gehege hat ihnen die Firma Schotter-Teufel aus Straßberg mit Hilfe der Bundeswehr ein kleines Gebirge gebaut, an dem sie artgerecht ihre Hufe abwetzen können. Sie sind scheu, lassen sich auch mit Futter in der Hand nicht locken – anders als die Ziegen, die im selben Gehege zu Hause sind. Während Kästle ihre Tröge bestückt, darf ich sie von Hand füttern und muss herzlich kichern: Ihre feuchten kleinen Zungen kitzeln ganz schön.

Die stolzen Pfauen begrüßen uns mit Radschlag: Eitel spreizen sie ihr buntes Gefieder und würdigen Dominik Kästle kaum eines Blickes, als er ihnen Getreidemischungen und Würmer zum Mittagessen serviert. Ihre Voliere ist engmaschig, damit kein Fuchs eine Chance hat, und mit einem Gitter bedeckt, so dass auch Greifvögel in die Röhre gucken. Dasselbe gilt für das Nachbargelände, auf dem die Hasen leben. Dicht unter ihrem Häuschen zusammengekuschelt machen sie sich über Grünes her und mümmeln friedlich vor sich hin. Gäste zum Essen sind unerwünscht.

Also geht es weiter zum Damwild, mitten durch den Wald. Ab und an passieren wir eine kleine Schutzhütte, wie die Vereinsmitglieder sie immer wieder erneuern. Mit zehn älteren Tieren und einem Kalb sind sie den 16 Rothirschen – darunter fünf Kälber – gegenüber in der Unterzahl. Sieben ältere Mufflons und viel Lämmer zählt der Bestand, ein Pfauenpaar und fünf Hasen. Das Schwarzwild – 23 Sauen und Eber – bildet die größte Gruppe. Und ist mit Abstand am hungrigsten.

Hungrig sind Dominik Kästle und ich nach unserem Rundgang auch – aber vor allem durstig. Gut, dass es Wirtin Stella gibt, die als waschechte Griechin aber erst einmal eine Runde Ouzo ausgibt. "Damit erhöht sich der Wildbestand schlagartig, weil man alles doppelt sieht", scherzen die Mitglieder, die sich zum Feierabendbier um den Stammtisch vor der Vereinshütte versammelt haben.

Fröhlich erzählen sie Geschichten aus dem Wildgehege, das im Umkreis bis nach Stuttgart und zum Bodensee seine Fans hat, von den Zeiten, da die Flüchtlinge aus der nahen Landeserstaufnahme zum Staunen, aber auch zum Helfen bei großen Arbeitseinsätzen, kamen. Und von dem Fuchs, der ein Baguette klauen wollte, mit dem sperrigen Stangenbrot im Maul aber nicht mehr durch den Zaun passte. Kleine Sünden, so heißt es, bestraft der liebe Gott sofort.  Das 200 000 Quadratmeter große Wildgehege Meßstetten liegt an der Geißbühlstraße, einer Abzweigung der Landesstraße 433 zwischen Ebingen und Meßstetten, kurz vor dem Truppenübungsplatz Heuberg. Es ist ganzjährige bei freiem Eintritt geöffnet. Das Vereinslokal ist von April bis Oktober täglich offen.

Weitere Informationen: www.wildgehege-messstetten.de