"Active Sitting Solutions" nennt sich die neueste Errungenschaft von Interstuhl –

"Active Sitting Solutions" nennt sich die neueste Errungenschaft von Interstuhl – der Name ist Programm: Es geht nicht mehr nur um Möbel, es geht um "Lösungen". Zuletzt machten die "Solutions" Furore auf der Fachmesse Orgatec; am Montag war die Politik zu Gast in Tieringen.

Landeswirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut, Staatssekretär Thomas Bareiß und Landrat Günther-Martin Pauli Seite an Seite auf der Interstuhl-Hollywoodschaukel – so entspannt sitzen diese Drei vermutlich nur selten beieinander. Das Möbel ist sozusagen die Kirsche auf einer Torte, die sich "Hub" nennt. Der Drei-Buchstaben-Name steht für eine neue Produktlinie von Möbeln für Kommunikationszonen oder Rückzugsbereiche, deren Spektrum vom Bürostuhl über raumbildende Wandelemente bis zu Beistelltischen reicht. Hier steht nicht mehr das einzelne Möbel im Vordergrund, sondern der Arbeitszusammenhang – inklusive Schaukel.

Für den Arbeitsalltag dürfte diese allerdings nicht ganz so bedeutsam sein wie Interstuhls spektakulärste Neuheit, der Bürostuhl PUREis3, der auf der Orgatec prompt einen Innovationspreis erhielt. Anders als herkömmliche Drehstühle gibt PUREis3 nicht nur nach vorne und nach hinten nach, sondern auch seitlich – dank einem Materialverbund von Polyamid und Glasfaser, den Interstuhl selbst entwickelt hat, kommt die ganze Windrose zu ihrem Recht. Das bedeutet, dass künftig jeder Muskel in Rücken und Nacken bewegt werden kann, ohne dass man deshalb erst aufstehen müsste.

Allerdings ist noch lange nicht ausgemacht, dass die neue Bewegungsfreiheit am Arbeitsplatz auch angemessen genutzt wird. Wer gewohnt ist, in Anbetung vor dem Bildschirm zu erstarren, dem nützt der schönste PUREis3 nichts. Aus diesem Grund kümmert sich Interstuhl künftig nicht mehr nur um das Möbel, sonder auch um den, der es benutzt. Gemeinsam mit Navi-Hersteller Garmin haben die Tieringer den "Sensor S 4.0" entwickelt, der unter den Sitzflächen von sechs verschiedenen Stuhlmodellen – nicht nur von PUREis3 – angebracht werden kann und dort das Sitzverhalten kontrolliert. Seine Daten gibt er an eine App weiter, die dem Nutzer zeigt, ob er locker sitzt und seine Sitzhaltung gelegentlich so verändert, dass kein Muskel über Gebühr strapaziert wird – oder ob er seit einer halben Stunde verkrampft und in starrer Haltung über seiner Arbeit kauert. Der Sensor ist bereits als Medizinprodukt der Klasse eins zertifiziert – gesünder geht es nicht.

Indes will der Umgang mit dem Sensor gelernt sein – als drittes Element der "Active Sitting Solutions" hat Interstuhl deshalb in Zusammenarbeit mit Sportwissenschaftlern ein Trainingsprogramm entwickelt, das aus zwölf ganzheitlichen Einheiten besteht. Die Teilnehmer lernen von speziell geschulten Multiplikatoren, wie sie mit dem Sensor umgehen müssen, welche spezifische Stuhleinstellungen in der jeweiligen Situation die günstigsten sind und welche Übungen und Ausgleichsbewegungen sich am besten in den sitzenden Alltag integrieren lassen.

Mit einem Angebot wie diesem wird Interstuhl faktisch zum Gesundheitsdienstleister auf höchstem Niveau. Letzteres hat allerdings seinen Preis: Allein in die Entwicklung des Sensors hat Interstuhl Millionen investiert, und weitere Investitionen werden folgen: Noch kann die App ihre Daten lediglich auf den PC oder die Garmin-Watch hochladen – das Smartphone fehlt noch, und auf das Smartphone kann schwerlich verzichten, wer im Wettbewerb die Nase vorne haben möchte.

Der Zugang kann unerschwinglich werden

Hier liegt das Problem, das Interstuhl mit vielen schwäbischen Mittelständlern gemeinsam hat: Der Zugang zur schönen neuen Welt der Industrie 4.0 ist teuer und kann leicht unerschwinglich werden, wenn man nicht Google oder Alibaba heißt. Hier sind die Unternehmen auf Kooperationen angewiesen – und auf staatliche Förderung. Hoffmeister-Kraut und Bareiß versprachen, alles in ihren Kräften stehende zu tun, um zu helfen.

Der Landrat auch: Er kann sich Sensor-bestückte Sitzgelegenheiten im Landratsamt und Mitarbeiterschulungen in Tieringen durchaus vorstellen. Und Hollywood-Schaukeln? Da wird er wohl erst mal den Kreistag fragen müssen.