Haitianer montieren eine über die Haiti-Freundeskreise gespendete Solar-Leuchte. Foto: Privat

In Schramberg hatte die Haiti-Hilfe eine jahrzehntelange Tradition – was ist nach Auflösung des Vereins Ende 2019 daraus geworden?

Schramberg - Das einst reiche Haiti litt bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts unter sogenannten Entschädigungszahlungen für den entgangenen Gewinn der Kolonialmacht Frankreich an der Sklavenarbeit. Haiti gilt heute als ärmstes Land der westlichen Hemisphäre, aktuell kontrollieren kriminelle Gangs Teile der Hauptstadt.

Die grassierende Gewalt machte auch vor engen Vertrauten der Schramberger Haiti-Hilfe nicht Halt, sagt deren letzter Vorsitzende Jean-Marc Herrgott: "Der Pfarrer, der für die Haiti-Hilfe verantwortlich war, wurde erschossen." André Sylvestre, der unter anderem Leiter des Waisenhauses in Cap-Haïtien war, habe gerade die Bank verlassen, als Räuber ihn niederschossen, um seine Tasche mitzunehmen. Der Raub der Tasche scheiterte, "weil der Verwundete von Menschen umringt war", schreibt die Internetseite vaticannews.va im September 2021. Später ist Sylvestre seinen Schusswunden erlegen.

Kooperierender Pfarrer erschossen

"Ein großer Traum bewegt mich und zwar der, den anderen die Wohltaten, die ich selber bekommen habe, zurückzugeben", schrieb Sylvestre noch zur Motivation seines Engagements im "Haiti Journal", das anlässlich des 35-jährigen Engagements und des 20-jährigen Vereinsbestehens der Haiti-Hilfe Schramberg 2015 herauskam. Herrgott hatte Sylvestre bereits zweimal in Haiti getroffen und erinnert sich: "Es war sehr angenehm, mit ihm zu arbeiten."

Neuneinhalb Millionen Euro

Vom Jahr 1980 bis Anfang 2021 sind insgesamt fast neuneinhalb Millionen Euro über die Haiti-Hilfe Schramberg nach Haiti geflossen. Neben den Patenschaften unterstützte der Verein beispielsweise Schulprojekte in Ranquitte, die Gehörlosenschulen in Port-au-Prince und Cap-Haïtien sowie ein Alphabetisierungs- und Wiederaufforstungsprogramm in Nord-Haiti.

"Es ist ein Wunder, dass die Haiti-Hilfe Schramberg über wechselvolle 35 Jahre funktioniert hat, gewachsen ist und den Menschen in Palmari gezeigt hat, dass sie nicht allein sind, sondern dass sich eine kleine Stadt im Schwarzwald, einen Ozean entfernt, kümmert", schrieb Franz Baumann, Sonderberater für Umweltfragen und Friedensmissionen der Vereinten Nationen in New York im 35-Jahre-Jubiläumsheft. Vier weitere Jahre existierte die Haiti-Hilfe noch als Verein, bis sie sich auflöste.

Hoher Organisationsaufwand

Die Verwaltung der Gelder und die Verantwortung der immer älter werdenden Mitglieder sei immer größer geworden, sagt Herrgott zu den Gründen der damaligen Auflösung des Vereins. Besonders sei der "Organisationsaufwand bei dieser stark individuellen Hilfe" über die circa 450 Patenschaften sehr hoch gewesen, sagt Albert Bäumer, der mit seiner Frau Ilse maßgeblich für die Gründung der Haiti-Hilfe verantwortlich war. Vorteil von Patenschaften sei ein "starkes Gefühl einer konkreten, persönlichen Hilfe", so Bäumer.

Besonders das Kindermissionswerk in Aachen, über das die Spendengelder liefen, habe das Patenschaftsprojekt nicht mehr unterstützen wollen. Schwierig sei es zudem, sowohl sich in die Situation der Menschen in Haiti hineinzuversetzen, als auch immer genaue Einblicke in die Projekte zu haben, wenn man nicht dauerhaft dort lebt. So entstehen auch mal Missverständnisse: "Wir wollten den Baumbestand aufbauen, weil wir Ökologen sind", sagt Bäumer. Die Antwort einiger Haitianer sei gewesen: "Ein paar Obstbäume, die zu was taugen, sind viel wichtiger." Ein haitianischer Bischof diente dem Verein als Korrektiv: "Unsere Vorstellungen von hier, fürs Weltklima zu sorgen, ist dort in Haiti nicht sein Thema." Aber auch in Schramberg selbst hat die Haiti-Hilfe viel bewegt und dafür gesorgt, "dass einige Schramberger überhaupt drüben waren", so Bäumer.

77 von ehemals circa 450 Patenschaften

Susanne Steiner-Kässer und Alwine Beck-Dold organisierten nach Auflösung des Schramberger Haiti-Hilfe-Vereins Haiti-Freundeskreise – Steiner-Kässer von ihrem neuen Wohnort in der Schweiz, Beck-Dold von Schramberg aus. Diese Kreise können zwar im Gegensatz zum früheren Verein keine Spendenbescheinigungen mehr ausstellen, was sie aber nicht daran hindert, aktiv zu werden. "Die Haiti-Hilfe hat auch als Freundeskreis angefangen und ist erst nach 15 Jahren ein Verein geworden", sagt Steiner-Kässer.

Wie auch bei der ehemaligen Haiti-Hilfe, gilt für die Projekte des Freundeskreises: "Die Spenden kommen eins zu eins an – wir nehmen selbst nichts", so Steiner-Kässer.

77 Patenkinder betreuen die Freundeskreise noch, sagt Beck-Dold. Die meisten der Patenschaften wurden noch unter dem Schramberger Verein abgeschlossen und werden nun weitergeführt, sagt Steiner-Kässer. "Einige Patenschaften haben erst kurz vor dem Ende der Haiti-Hilfe angefangen", so Steiner-Kässer, andere Paten haben sich gedacht: "zwei Jahre vor Schluss hören wir jetzt nicht einfach auf."

Patenschaften "nie gerecht"

Die Hälfte der Paten kommen noch aus Schramberg und Umgebung. Drei Familien seien nach Auflösung der Haiti-Hilfe als Paten noch hinzugekommen, als Sozialarbeiter vor Ort nach Unterstützung für sie gefragt hatten.

Die Einzel-Patenschaften seien allerdings "nicht unbedingt so zeitgemäß" und "nie gerecht", weil die jeweiligen Paten ihre Patenkinder mit unterschiedlichen Geldsummen unterstützen. "Längerfristig wird es wahrscheinlich keine Einzelpaten mehr geben", sagt Steiner-Kässer.

Tragischer Vorfall wird zu Projekt-Anstoß

Stattdessen spenden die Haiti-Freundeskreise von Steiner-Kässer und Beck-Dold nun in zwei Sozialkassen – eine in der Stadt Cap-Haïtien und dessen Umgebung, eine auf dem Land in Ranquitte/Palmari. Die Sozialarbeiter vor Ort können selbst entscheiden, wo das Geld aus dieser Sozialkasse gerade am meisten gebraucht wird. Auch dort ist die aktuelle Krise deutlich spürbar. Beispielsweise seien die Schulgebühren innerhalb eines Jahres deutlich teurer geworden, sagt Steiner-Kässer.

Seit Frühling 2022 läuft zudem noch ein weiteres Projekt: für 30 Euro pro Stück können Unterstützer Solarlampen für die Haitianer spenden. Anstoß für dieses Projekt war ein tragischer Vorfall: Ein kleines Mädchen war mit seiner blinden Großmutter allein gewesen, welche eine Öllampe auf einen darunter befindlichen Plastiksack umstieß. Das Mädchen hat die Großmutter schützen wollen, den Plastiksack aus dem Raum gezogen und sich solche Verbrennungen zugezogen, an denen sie schließlich gestorben sei.

Zwei Jahre vor Ort gewesen

"Sowas darf einfach nicht mehr passieren", ist der Tenor der Sozialarbeiter vor Ort gewesen und so kam die Idee von Solarlampen auf. Inzwischen hat der Freundeskreis 120 Lampen für haitianische Haushalte besorgt.

Steiner-Kässer war schon oft in Haiti, spricht selbst haitianisch. In den 80er-Jahren hatte sie zwei Jahre vor Ort unentgeltlich eine Erste-Hilfe-Station aufgebaut und geleitet. Kommendes Jahr will die Krankenschwester wieder Menschen in Haiti besuchen – wenn die Situation es hoffentlich zulässt.

Info

Spendenkonto für die Solarpanels und die Sozialkasse:

Kreissparkasse Rottweil

Alwine Beck-Dold

Freundeskreis Haiti Hilfe

IBAN: DE07 6425 0040 0009 3654 09