Nicht mit jedem Nachbarn ist gut Kirschen essen. Was erlaubt ist und was nicht, darüber haben wir mit einem Rechtsanwalt gesprochen. Foto: Rainer Fuhrmann/Shutterstock

Nach dem großen Aufruhr um einen Gartenstreit in Sulz zeigt eine Umfrage: Unsere Leser sind von ihren Nachbarn so richtig genervt. Aber welches Verhalten muss hingenommen werden und was geht gar nicht? Wir klären auf.

Steffen Graf hat in seinen 30 Jahren als Rechtsberater im Verband Haus & Grund Villingen-Schwenningen einige Nachbarschaftsstreits mitbekommen. Wir haben mit dem Rechtsanwalt über die Ärgernisse unserer Leser gesprochen.

Zum konkreten Fall in Sulz, bei dem sich ein 72-Jähriger über den Wildwuchs im Nachbargarten echauffiert, sagt Graf: „Bis zu einem gewissen Grad ist es so, dass ich die optische Erscheinung des Nachbargrundstücks zunächst einmal so hinnehmen muss.“ Das Ganze habe allerdings gewisse Grenzen. Etwa wenn Dinge über die Grundstücksgrenzen ragen und diese negative Beeinträchtigungen mit sich bringen. Jedoch müssten diese Beeinträchtigung wirklich erheblich sein: „Sei es durch Gerüche. Sei es dadurch, dass kein Licht mehr einfällt. Sei es dadurch, dass ständig was rüber fällt oder hängt“, nennt Graf Beispiele. Dann könne durchaus etwas unternommen werden. Andererseits hätten Gerichte in der Vergangenheit auch schon geurteilt: Solche Fälle müssen hingenommen werden. Eindeutig ist die Rechtslage also nicht.

Im Einzelfall gilt Selbsthilferecht

Nun zu den anderen Beschwerden: Über wuchernde Pflanzen haben mehrere Umfrageteilnehmer geklagt. Was also tun, wenn konkret etwas auf das eigene Grundstück wächst - etwa ein Baum? In solchen Fällen müsse der Nachbar mit einer angemessenen Frist aufgefordert werden, die Vegetation zurückzuschneiden. „Wenn er das nicht tut, eröffnen sich da im Einzelfall sogar Selbsthilferechte“, erklärt Experte Graf. Nach Ablauf gewisser Fristen dürfe der Beschwerdeführer den Baumüberhang sogar selbst entfernen. Graf ergänzt: „Ich könnte dem Nachbar dann sogar meine Aufwendungen berechnen.“

Ob die Rechnung aber beglichen wird? Zweifelhaft, urteilt der Anwalt und meint: „Da treffen sich die Nachbarn dann vielleicht auch relativ schnell wieder vor Gericht.“ Vorsicht ist unterdessen bei durchgehenden Hecken geboten - dort gebe es wegen des Tierschutzes eine sogenannte Vegetationsperiode. Deshalb besteht das Recht auf Rückschnitt nur zwischen Oktober und Februar.

Ärgernis Nummer eins bei unseren Lesern ist indes Lärm. Einige berichten von ständigem Rasenmähen, andere von lauter Musik und Partys in der Nacht. Aber auch von Gebrüll - von Bohren und Hämmern - ist die Rede. Hier gelten zunächst einmal die deutschlandweiten und auch regionalen Regeln. Sie würden vorgeben, „wann darf ich was machen“. Rasenmähen sei bundesrechtlich beispielsweise nur zwischen 7 und 20 Uhr erlaubt - sonntags ist es sogar ganztags verboten. Angezeigte Nachbarn müssen hier bei einem Verstoß mit einem Bußgeld rechnen.

Ruhezeiten regional unterschiedlich

Regional lauten die Polizeiverordnungen der Städte und Gemeinden im Übrigen unterschiedlich. „Es kann riesige Unterschiede geben“, berichtet Graf. Manche Gemeinden haben eine Mittagsruhe, andere nicht. „Das ist der Maßstab dafür, ob mein Nachbarn nebenan das eben darf oder nicht“, so der Anwalt.

Beim Thema Ruhezeiten können je nach Wohnsituation auch Hausordnungen eine Rolle spielen. Einer Hausordnung müsse aber konkret zugestimmt werden - wenn diese bei Einzug also nicht Bestandteil des Mietvertrags ist, ist sie auch nicht unbedingt bindend. Gleiches gilt für die schwäbische Kehrwoche - oftmals ebenfalls ein Bestandteil der Hausordnung. „Die ist nicht wirklich gesetzlich geregelt“, sagt Graf und lacht.

Bei Lärmstörungen empfiehlt der Rechtsberater ein Vorgehen mit Fingerspitzengefühl. Wenn jemand Geburtstag feiere und das komme nur einmal im Jahr vor, sei die Situation in einer Doppelhaushälfte eine andere wie etwa in einem Hochhaus. „Wenn’s dann jeder macht, dann haben wir im Sommer natürlich jedes Wochenende eine Party“, sagt er. Rechtlich gelte auch am Geburtstag um 22 Uhr die Nachtruhe und somit Zimmerlautstärke.

Videoüberwachung nicht zulässig

Und was machen Betroffene, die sich von ihren Nachbarn beobachtet fühlen? Eine Leserin schildert uns, dass ihr Nachbar mit seiner Überwachungskamera ihr Grundstück filmt. Videoüberwachung sei - bei entsprechender Beschilderung - nur auf dem eigenen Grundstück zulässig. Aber – „um Gottes Willen“ - darüber hinaus dürfe nicht gefilmt werden. Das sei absolut nicht zulässig und gehe nicht, betont Anwalt Graf. Öffentliche Bereiche wie die Straße und auch das Nachbargrundstück seien tabu.

Wenn der Grenzverlauf unklar ist, weil etwa die Grenzsteine nicht mehr existieren oder völlig verwittert sind, haben beide beteiligten Nachbarn das Recht, dass die Grenze neu vermessen wird. Graf ergänzt: „Auf Kosten beider Nachbarn, halbe halbe.“

Generell empfiehlt Steffen Graf bei allen Nachbarschaftsstreitigkeiten, erst einmal das Gespräch zu suchen. Und wenn die Fronten zerrüttet sind, sollten externe Personen als Vermittler hinzugezogen werden, um so eine Einigung zu erreichen. Das sei auch genau das, was das Gericht bei jeder zivilrechtlichen Auseinandersetzung anstrebe: eine gütliche Einigung mit einer Lösung für beide Seiten.