Benjamin Merkt, Jugendguide in der KZ-Gedenkstätte in Tailfingen, besuchte den Holocaust-Überlebenden Mordechai Ciechanower zu seinem 100. Geburtstag in Israel. Foto: Merkt

Als junger Erwachsener überlebte Mordechai Ciechanower zahlreiche Konzentrationslager, darunter Auschwitz und Hailfingen-Tailfingen. Kürzlich feierte er in Israel nun seinen 100. Geburtstag. Obwohl er sich sicher war, diesen nie zu erreichen.

Obwohl sein Geburtstag bereits mehrere Wochen zurückliegt, ist der Trubel rund um sein großes Jubiläum am 27. Februar nur langsam abgeebbt: Der Holocaust-Überlebende Mordechai Ciechanower ist 100 Jahre alt geworden.

Wie bereits in den vergangenen Jahren reiste Benjamin Merkt, Jugendguide und Vereinsvorsitzender an der KZ-Gedenkstätte in Tailfingen, auch dieses Jahr wieder zu Ehren Ciechanowers nach Israel und besuchte diesen in Ramat Gan bei Tel Aviv. Mit im Gepäck befanden sich zahlreiche Glückwünsche von Weggefährten vom Bundeskanzleramt.

Angesprochen auf die wohl wichtigste Frage, wie es ihm geht, antwortet der Jubilar routiniert: „Wie Sie wissen bin ich bereits ein sehr alter Mann“ und fügt gleichwohl hinzu: „Aber noch ist mein Gesundheitszustand in Ordnung“.

Der letzte Überlebende aus Tailfingen

Mordechai Ciechanower blickt in seinem Wohnzimmer gemeinsam mit Benjamin Merkt auf sein Leben zurück, welches mittlerweile ein Jahrhundert lang andauert: „Ich war mir sicher, dass ich das Alter von 100 Jahren nicht erreichen werde, auch nicht 90 Jahre und auch nicht 80 Jahre, weil ich sehr viel mitgemacht habe in meinem Leben – sehr viel mitgemacht“.

„Von der ganzen Kompanie, in der ich damals nach Hailfingen-Tailfingen gekommen bin, bin ich der Letzte der noch am Leben ist. Ob das Schicksal ist, das weiß ich nicht. Und trotzdem werde ich meine Geschichte weitergeben so lange ich kann“, erzählt er. Nach vorne gebeugt, mit erhobenem Zeigefinger und einer festen Stimme fährt der gebürtige Pole fort: „Ich bin schon unzählige Male tot gewesen, mehr als 95 Prozent tot war ich bereits, unzählige Male, und doch stehe ich auf meinen Füßen bis zum heutigen Tage“.

In Mordechai Ciechanowers Wohnung hängen unzählige Bilder und Erinnerungen. Alle mit einer eigenen Geschichte dahinter. Foto: Merkt

Seine nachlassenden Kräfte verbieten ihm mittlerweile eine Rückkehr nach Deutschland, dem „Land der Täter“, dem er vor mehr als 20 Jahren mit seinem ersten Besuch auf deutschem Boden die Hand zur Versöhnung reichte und mit vielen Gesprächen und Vorträgen die Widerstände gegen ein lokales Gedenken in der Gäuregion durchbrach.

Bundespräsident Steinmeier dankt ihm

Neben ihm kniend zeigte Benjamin Merkt ihm ein zuvor aufgenommenes Video, in dem sich unter anderem langjährige Freunde wie Birgit Kipfer, Johannes Kuhn, Harald Roth und viele andere persönlich an ihn wandten. „Das ist für mich das schönste Geschenk“ kommentiert Ciechanower sichtlich gerührt die Grüße aus Deutschland.

Auch zahlreiche Gratulationen der höchsten Würdenträger der Bundesrepublik Deutschland, darunter auch Bundestagspräsidentin Bärbel Bas und Bundeskanzler Olaf Scholz, fanden ihren Weg nach Israel. Steffen Seibert, Botschafter Deutschlands in Israel, überbrachte Ciechanower die Glückwünsche von Bundespräsident Steinmeier: „Sie haben unermüdlich gekämpft für den Erhalt der Erinnerung und die Aufklärung über die Gräuel des Holocausts. Dafür bin ich Ihnen von Herzen zutiefst dankbar“.

Steinmeier steht für Israel

Mit einem Versprechen und einem ins eigene Land gerichteten Appell schließt das deutsche Staatsoberhaupt ab: „Ich versichere Ihnen, dass ich mich unermüdlich für Israel, gegen Antisemitismus und Rassismus einsetze und dafür engagiere, dass jüdische Menschen Deutschland als ihre Heimat betrachten. Denn in einem Land, in dem Juden nicht leben können, können und wollen wir Deutsche nicht leben.“

Mordechai Ciechanower – ein Freund für viele

Für Benjamin Merkt fiel der Abschied schwer, so könnte es durchaus der letzte Besuch bei seinem Freund Mordechai Ciechanower gewesen sein, dementsprechend emotional war für ihn der Gang in den Aufzug. „Ich werde Sie nicht vergessen, bis zu meinem letzten Tag im Leben“, versicherte ihm Merkt. Der 100- jährige hob die Hand zum, ein kurzes „Shalom, auf Wiedersehen“. Dann schlossen sich die Türen des Aufzugs.